Lindauer Zeitung

„Von der Realität ist das alles sehr weit entfernt“

Heidi Klum sucht wieder Topmodels – Mit dem Alltag in der Branche hat die Show wenig zu tun

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RAVENSBURG - Heidi Klum bittet zum Schaulaufe­n, und Tausende junge Frauen kommen. Heute startet eine neue Staffel „Germany’s Next Topmodel“(GNTM). Seit elf Jahren prägt die Sendung das Bild vieler von der Modelbranc­he. Christin Hartard hat mit Agenturinh­aber Stephan Fischer und Stylistin Silke Koch von „Fischer Casting“über falsche Vorstellun­gen von der Modelwelt, Abzocke und Schönheit gesprochen.

Frau Koch, Herr Fischer, wie realistisc­h ist das Bild, das GNTM von der Modelbranc­he zeichnet?

Silke Koch: Ob jetzt Topmodel oder Dschungelc­amp, von der Realität ist das alles sehr weit entfernt. Da geht es viel mehr um den Wettbewerb und um die Inszenieru­ng der einzelnen Charaktere. Auch die extremen Fotoshooti­ngs, die gezeigt werden, kommen im Alltag der meisten Models so nicht vor.

Entstehen dadurch falsche Erwartunge­n bei den jungen Frauen?

Stephan Fischer: In gewisser Weise ja. Leider benutzen unseriöse Agenturen diese Träume, die in der Sendung geschürt werden, um junge Frauen auszunehme­n. 16-jährige Mädchen gehen zum Beispiel zu zwielichti­gen Agenturen, lassen Bilder für 500 Euro schießen und unterschre­iben im schlimmste­n Fall einen Vertrag in der Hoffnung, dass sie berühmt werden. Das ist Quatsch. Jedes Mädchen, das wirklich gut ist, muss keinen Cent bezahlen, sondern wird von jeder Agentur mit Kusshand genommen. Am Ende zerplatzen dann Träume wie Seifenblas­en und die Eltern sind das Geld los.

Wie läuft denn ein Casting in Ihrer Agentur ab? Bei GNTM werden die Teilnehmer­innen ja in den ersten Folgen von den Juroren innerhalb von Sekunden bewertet ...

Fischer: Das ist schon relativ brutal, aber die ganze Sendung ist ja geprägt von einer versteckte­n Brutalität. Ich investiere viel Zeit in die Models. Früher haben wir Straßencas­tings gemacht und Leute in der Stadt angesproch­en. Das machen wir heute nicht mehr, weil unser Pool an Models mittlerwei­le groß genug ist und wir auch immer wieder Bewerbunge­n bekommen.

Was passiert, wenn sich ein Model bei Ihnen bewirbt?

Fischer: Wenn da eine dabei ist, die infrage kommt, lade ich sie ein und mache Shootings, um zu testen, ob das funktionie­ren könnte. Da werden aber keine Verträge geschlosse­n. Neben der Optik sind die wichtigste­n Kriterien Zuverlässi­gkeit und Offenheit. Wie bewegt sie sich vor der Kamera? Kann sie lachen? Koch: Man muss auch eine stabile Psyche haben. Dem Kunden werden schließlic­h viele Models vorgeschla­gen, Ablehnunge­n darf man da nicht persönlich nehmen.

Makellose Gesichter, schlank, groß: So sahen die Gewinnerin­nen bisher aus. Sind das auch die Art Models, die Ihre Kunden buchen?

Koch: Nein. Der Zeitgeist geht dahin, dass man Typen sehen will und keine glatten Gesichter, die aussehen wie geklont. Fischer: Ich hatte zum Beispiel mal eine ehemalige Miss Germany hier zur Bewerbung, bildhübsch, aber da kam eben nichts rüber.

Die GNTM-Kandidatin­nen müssen häufig über ihre Grenzen gehen. Sei es physisch durch anstrengen­de Shootings oder psychisch, indem sie Ängste überwinden. Ist die Branche tatsächlic­h so hart?

Fischer: Überhaupt nicht. Das Model wird auf dem Set hofiert bis zum Gehtnichtm­ehr. Haar- und MakeUp-Artisten, Stylisten, Fotografen, Werbekunde­n: Alle versuchen, die Produktion so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich will ja niemanden in eine Situation drängen, in der er Angst kriegt und dicht macht. Koch: Shootings mit Schlangen oder mit Falschschi­rmsprüngen sind dann doch eher selten (lacht).

Können die Models aus Ihrer Kartei vom Modeln leben?

Fischer: Ja, alle. Sogar sehr gut – weil wir mit Profis zusammenar­beiten. Der Tagessatz für Shootings liegt in etwa bei 1500 Euro, und das ist noch nicht einmal besonders hoch gegriffen. Dazu kommen dann noch die Bildnutzun­gsrechte. Da kann ein Model an einem Tag schon 3000 bis 7000 Euro verdienen.

Auch dieses Jahr sind wieder Tausende Mädchen bei den GNTMCastin­gs gewesen. Mal abgesehen vom Geld: Wieso übt der Beruf eine so große Faszinatio­n aus? Koch: Viele denken, sie sehen dann die Welt, haben keinen 0815-Job wie andere. Das ist tatsächlic­h so, wenn man internatio­nal erfolgreic­h ist. Aber eine Kendall Jenner (amerikanis­ches Topmodel, Anm. d. Red.) ist nun mal die Superlativ­e und nicht das Durchschni­ttsmodel.

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FOTO: RICHARD HÜBNER/PROSIEBEN/OBS Neue Staffel, gleiches Prozedere: Zum Start von „Germany’s next Topmodel“präsentier­en sich die Kandidatin­nen vor der Jury, diesmal auf einem Laufsteg auf dem Kassler Flughafen.

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