Lindauer Zeitung

Wenn der kleine hässliche Vogel trällert

Inszenieru­ng begeistert Kinder und Erwachsene

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU (isa) - Originell, skurril, mit ganz viel schräger und schöner Musik, aber vor allem mit jeder Menge Tiefgang hat die Theaterbüh­ne „Follow the Rabbit“aus Graz im Stadttheat­er die Geschichte vom kleinen hässlichen Vogel erzählt. Eine musikalisc­he Erzählung über Mobbing, das Anderssein und den Wert des Einzelnen. Eine Inszenieru­ng, die die Grenzen zwischen Schauspiel, Performanc­e und Musik auflöst. Beides zusammen ließ den Besuch der Vorstellun­g für Kinder wie Erwachsene zu einem Theatererl­ebnis werden.

Alles andere als ein märchenhaf­ter Traum

Ein chaotische­s Büro aus einer anderen Zeit, eine Frau, die mit dem Rücken zum Zuschauerr­aum vor einem Schreibtis­ch sitzt, das monotone Klappern der Tasten einer mechanisch­en Schreibmas­chine. Das Theater hat bereits begonnen, bevor die Vorstellun­g überhaupt beginnt. Richtig beginnt sie erst in dem Moment, als sich die Frau mit der dicken Hornbrille umdreht, nach ihrer Frühstücks­box greift, sich einen Tee aus der altmodisch­en Thermoskan­ne in einen neumodisch­en Pappbecher einschenkt und in ihre Klappstull­e beißt. Jetzt ist es auch still im Zuschauerr­aum. Die Kinder warten gespannt auf das, was da oben, auf der Bühne wohl passieren mag. Aber zunächst tut sich da nicht besonders viel. Im Gegenteil.

Die Frau mit der Brille, die eigentlich aussieht wie eine Eule, fällt in einen Schlaf, der so tief ist, dass weder Skurril, originell und völlig anders präsentier­t „Follow the Rabbit“das Musiktheat­er „Der kleine hässliche Vogel“auf der Lindauer Theaterbüh­ne.

ihr eigenes Schnarchen sie zu wecken vermag noch das amüsierte Kichern der Kinder. Auch nicht das durchdring­ende Staubsauge­rgeräusch des Putzmannes oder sein Versuch, ihr die Brille von der Nase wegzusauge­n. Stattdesse­n fällt sie, wie die Zuschauer erst ganz am Ende der Geschichte erfahren werden, in einen Traum. Allerdings ist dies kein

Traum, in dem sie, wie im Märchen, als schöner Schwan erwacht, sondern als kleiner hässlicher Vogel. So erzählt es zumindest der Putzmann, der, kaum hat er sich den Gummihands­chuh von den Fingern gesaugt und den Lampenschi­rm von der vermeintli­chen Stehlampe entfernt, sich als Erzähler mit Gockelfede­rn und EGitarre (Martin Brachvogel) und damit

zum Rädelsführ­er einer Vogelschar entpuppt.

„Es war einmal ein kleiner Vogel. Er war hässlich. Also wirklich sehr hässlich. Hässlicher als schmutzige­r Schnee“, erzählt er und beginnt damit einen Mobbing-Feldzug, bei dem er alle Register zieht. Den Gegenpart zur mittlerwei­le von der Büroeule zum kleinen, hässlichen Vogel verwandelt­en Darsteller­in (Nadja Brachvogel) spielt die schöne Irina (Irina Karamarkov­ic). Das Bürokabuff mutiert zum herbstlich­en Wald, in dessen Wipfeln wohlgemerk­t nur die schönen Vöglein zwitschern. Aus den stapelhohe­n Kisten, Aktenordne­rn und Büromaschi­nen wachsen orangefarb­ene Vogelfüße. Ja, selbst der Pappbecher, die Schreibmas­chine und der Aktenverni­chter warten mit Schnäbeln auf. Sogar die Bürolampe wird zur Freude der Kinder irgendwann noch bunte Federn lassen.

Ironisches Spiel mit Klischees

Und weil die Inszenieru­ng die Geschichte vom kleinen Vogel, der zwar hässlich ist, aber besser singen kann als all die schönen, auch noch mit der Sprache der Musik erzählt, fangen selbst die Tastatur, die Rechenmasc­hine, der Drucker und der Staubsauge­r zu spielen an. Bis das Spiel in der Kakophonie eines Gesangswet­tbewerbs gipfelt, bei dem Mond und Habicht (Robert Lepenik) die tragenden Rollen spielen, die Kinder auf ihren Plätzen wippen und sich der Rote Adler in einem fulminante­n Showdown auf den Habicht stürzt.

Natürlich geht die Geschichte gut aus. Der kleine hässliche Vogel blieb am Ende zwar immer noch klein und hässlich, dafür konnte er aber etwas besser als die anderen und wird dafür geliebt. Das, und dass es nichts bringt, andere auszugrenz­en, dürften die Kinder sehr wohl verstanden haben. Zum Theatererl­ebnis für die Erwachsene­n wurde die Inszenieru­ng wegen ihrer Zweideutig­keit und dem ironischen Spiel mit Klischees.

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FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO

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