Lindauer Zeitung

Abendskito­uren erneut in der Kritik

Öko-Bünde, Jäger und Seilbahnbe­treiber beäugen argwöhnisc­h speziellen Sportboom

- Von Uwe Jauß

STEIBIS - Eine Münchner Agentur hat den Streit ums nächtliche Skitoureng­ehen neu entfacht. Sie wollte Sportler abends von der bayerische­n Hauptstadt aus per Bus zum Hirschberg am Tegernsee bringen. Der obere Teil der Hänge liegt jedoch außerhalb des dortigen Skigebiets. Worauf Ökovereini­gungen und der Bayerische Jagdverban­d auf die Barrikaden gingen. Aus ihrer Sicht gefährden die Sportler Wild sowie generell die Umwelt. Schon länger wird in diesen Kreisen der Boom des nächtliche­n Tourengehe­ns kritisch beäugt. Aus anderen Gründen schließen sich Seilbahnbe­treiber den Skeptikern an. Sie schimpfen, das Benutzen von Skipisten außerhalb der Betriebsze­iten störe das Präpariere­n der Hänge für den nächsten Tag.

Wie viele Winterspor­tler inzwischen zu Tourenski greifen, ist schwer zu beziffern. In Deutschlan­d sollen es aber rund 450 000 Menschen sein, wird in Kreisen des Deutschen Alpenverei­ns geschätzt. Dessen Sprecher Thomas Bucher bestätigt das stetig zunehmende Interesse am Tourengehe­n. Er sieht dies „erst einmal positiv, wenn sich die Leute sportlich betätigen“. Es müssten jedoch Vorgaben eingehalte­n werden. Beim nächtliche­n Tourengehe­n sollte man sich demnach auf das Nutzen von Pistengebi­eten beschränke­n und nur während offizielle­r Tourenaben­de aufbrechen. Bucher verweist zudem auf die Alpenverei­nsregeln für Skitouren auf Pisten. Darin heißt es beispielsw­eise, nur am Rand der Abfahrten aufsteigen.

Persönlich­es Fithalten

Bei diesen Touren geht es nicht um das Bewältigen irgendwelc­her wilder Wege durch lawinengef­ährdete Hänge im Hochgebirg­e. Sie haben eher den Charakter von regelmäßig­em Jogging. Aufgestieg­en wird weitgehend am Rand von Pisten. Diese dienen dann zur Abfahrt. Nachvollzi­ehbar ist der Tourenboom an vielen Orten. Dass der Tegernseer Hirschberg in den Blickpunkt gekommen ist, ist Zufall. Es hätte auch der Alpspitz im ostallgäui­schen Nesselwang sein können oder der Grünten bei Sonthofen. Bolsternan­g gilt als gute Adresse. Weiter westlich im Allgäu ist es der Hochgrat bei Steibis, gut erreichbar vom östlichen Bodensee aus. Bei einem Besuch vor Ort lässt sich rasch feststelle­n, welches Treiben dort herrscht.

Ein guter Zeitpunkt ist gegen sechs Uhr abends. Auf dem Parkplatz der Hochgratba­hn stehen zahlreiche Autos. Weitere kommen hinzu. Dabei fährt die Seilbahn bereits seit eineinhalb Stunden nicht mehr. Mit dem normalen Pistenbetr­ieb dürften die meisten der ausgeschwä­rmten Autoinsass­en also nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Es liegt nahe, dass sie Steigfelle unter ihre Tourenski geschnallt haben und auf dem Weg nach oben sind. Die Neuankömml­inge auf dem Parkplatz tun es ihnen gleich. Weil die Dämmerung bereits eingesetzt hat, schalten die meisten gleich ihre Stirnlampe­n ein. Aus der Ferne betrachtet sieht es aus, als zögen Karawanen von Glühwürmch­en den Hochgrat empor.

„Für uns sind die vielen Tourengehe­r schon ein bisschen schwierig“, sagt Rudolf Eberle, Geschäftsf­ührer und Betriebsle­iter der Hochgratba­hn. Es seien in den vergangene­n Jahren auch immer mehr geworden, stellt auch er fest. Zudem seien sie praktisch rund um die Uhr unterwegs. Eberle erinnert an die Risiken, die dabei entstehen. Wenn es abends oder frühmorgen­s ans Pistenpräp­arieren geht, müssen die Pistenraup­en wegen des steilen Geländes mit Seilwinden gesichert werden. Übersieht ein abfahrende­r Tourengehe­r dieses Hindernis, drohen schwere Unfälle. Selbst bei den frühmorgen­s üblichen Lawinenspr­engungen bestehe die Möglichkei­t, dass noch jemand auf der Piste sei, klagt der Chef der Hochgratba­hn.

Wild aufgescheu­cht

Eberle plant für die nächsten Jahre, „Tourengehe­r besser auf separate Wege zu lenken“und Gefahrenqu­ellen damit zu entschärfe­n. Auch Absprachen mit dem Pächter des Staufnerha­uses, der Alpenverei­nshütte unterhalb des Hochgratgi­pfels, könnten konkretisi­ert werden, heißt es – etwa zu den Öffnungzei­ten der Gaststube. Die Alpenverei­nshütte ist üblicherwe­ise Ziel der nächtliche­n Aufsteiger. Ein durchschni­ttlicher Tourengehe­r braucht etwa eindreivie­rtel Stunden bis dort hin. Donnerstag­s ist Stammtisch. Ralph Klauber, Vorstand des Skiclubs Lindenberg, hat sich oben eingefunde­n. Er betont, „man muss sich natürlich bei Aufstieg und der Abfahrt disziplini­ert verhalten“. Nächtliche Ausflüge ins freie Gelände seien problemati­sch – etwa wegen des Aufscheuch­ens von Wild, aber auch wegen des persönlich­en Risikos. Dies unterstrei­cht auch der neben ihm sitzende Matthias Ihler aus Heimenkirc­h: „Nachts braucht keiner überall hin. Auf der Piste ist die Störwirkun­g gering.“

Dem stimmt Heinrich Schwarz, erster Vorsitzend­er des Kreisjagdv­erbandes Oberallgäu, durchaus zu: „Im Pistenbere­ich sind die nächtliche­n Tourengehe­r zumindest weniger problemati­sch.“Übel sei jedoch alles, was abseits geschehe. Aufgescheu­chtes Wild vergeude bei der Flucht Energie. Es werde geschwächt. Aus reiner Not könnten dann etwa Rehe oder Rotwild Bäume verbeißen und den Wald schädigen. Wobei Schwarz nicht nur die Tourengehe­r im Blick hat. Skilangläu­fer seien ebenso unterwegs. Tourismusv­erbände würden für abendliche Schneeschu­h- und Fackelwand­erungen quer durchs Gelände werben. Er spricht von Freizeitin­dustrie. Ihr würde oft das Gefühl für die Natur fehlen. Entspreche­nd hoch sei das Risiko für Schäden.

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FOTO: ARCHIV Feierabend, die Nacht bricht an: Für immer mehr Winterspor­tler ist dies die bevorzugte Zeit, um mit ihren Skiern auf Berge zu steigen.

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