„Das Wachstum wird weitergehen“
Der Wirtschaftsweise Lars Feld über die Chancen und Risiken der deutschen Wirtschaft
ULM - Deutschlands Wirtschaft ist in guter Verfassung, die Beschäftigung auf Rekordniveau. Das gilt auch für die rund 32 000 Firmen in der Region der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ulm. Zu Jahresbeginn „laufen die Geschäfte so rund wie selten zuvor“, wie die Kammer jetzt mitteilte. Im IHK-Konjunkturgespräch erklärte der Ökonom Lars Feld, was zu tun ist, damit es so bleibt. Andreas Knoch hat bei dem Wirtschaftsweisen noch einmal genauer nachgefragt.
Gefühlt hangeln wir uns von Krise zu Krise. Dabei geht es Deutschland wirtschaftlich sehr gut. Sind die Deutschen zu pessimistisch?
Ich glaube, wir haben ein Wahrnehmungsproblem. Tatsächlich geht es den Deutschen wirtschaftlich heute so gut wie nie, die Wirtschaft brummt. Gleichzeitig bekommen die Menschen natürlich die Krisenherde auf der Welt mit. Das verunsichert.
Wie lange setzt sich der deutsche Wirtschaftsaufschwung noch fort?
Das Wachstum in Deutschland wird weitergehen. Die Prognosen für 2017 liegen im Durchschnitt bei 1,4 Prozent. In immer mehr Bereichen – etwa in der Bauwirtschaft oder im Maschinenbau – stoßen wir aber an Grenzen. Dort sind die Kapazitäten inzwischen überausgelastet.
Welche Risiken sehen Sie für die deutsche Wirtschaft?
Ein Risiko ist China. Dort steht die Frage im Raum, ob die Transformation des chinesischen Wachstumsmodells gelingt. Aktuell sieht es so aus, als ob die Führung in Peking das hinbekommt. Der Brexit und die protektionistischen Tendenzen der neuen Trump-Administration in den Ver- einigten Staaten sind aber weitere Risiken mit Schock-Potential.
Und im Inland? Stichwort Beschäftigung und Fachkräftemangel?
Die Beschäftigung ist zwar auf einem Rekordstand, von einem Fachkräftemangel kann man aber nicht sprechen. Das wird erst von 2020 an ein Problem werden, wenn nicht mehr genügend Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen.
Gerade im Südwesten wird E-Mobilität und ihre Auswirkung auf die Beschäftigung in der Autobranche diskutiert. Wird es drastische Beschäftigungseinbrüche geben?
Ich halte das für übertrieben. Der Verbrennungsmotor wird auf absehbare Zeit nicht durch den Elektromotor ersetzt – es sei denn, das wird politisch erzwungen. Das wiederum kann ich mir angesichts der Bedeutung der Branche für unser Land aber nur schwerlich vorstellen.
2017 ist Wahljahr. Welche Noten geben Sie der Koalition am Ende der laufenden Legislaturperiode?
Eine durchwachsene Note. Vor allem in der Steuerpolitik ist Einiges liegengeblieben. Dazu zähle ich beispielsweise die Korrektur der kalten Progression in der Einkommensteuer, die den privaten Haushalten rund 30 Milliarden Euro Kaufkraft entzogen hat. Bei der Reform der Körperschaftsteuer ging es nicht weiter. Und der Kompromiss bei der Erbschaftsteuer ist ebenfalls nicht der große Wurf. Ich habe Zweifel, dass die jetzige Lösung verfassungskonform ist. Eine breitere Bemessungsgrundlage und ein geringerer Steuersatz wären besser gewesen.
Was sind die dringendsten Aufgaben, die die neue Regierung Ihrer Meinung nach anpacken muss?
Punkt eins: Wir brauchen dringend eine Reform der Energiepolitik. Die Energiekosten in Deutschland sind im internationalen Vergleich zu hoch. Wir haben das Problem, dass wir teure Technologien mit viel Geld fördern. Besser wäre eine technologieneutrale Förderung der Energiewende. Punkt zwei: Wir müssen die Wirtschaft deregulieren. Damit meine ich die überbordende Bürokratie in vielen Wirtschaftsbereichen – vor allem im Dienstleistungssektor, aber auch im produzierenden Gewerbe. Viele Unternehmen machen Erweiterungsinvestitionen deswegen inzwischen nicht mehr in Deutschland sondern im Ausland. Punkt drei: Eine Reform der Sozialversicherungssysteme vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.
Sie haben den Brexit als Risiko angesprochen. Wie sollte die EU die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien angehen?
Sie sollte zweigleisig fahren. Sie sollte hart verhandeln und an den Prinzipien der EU – etwa zur Arbeitnehmerfreizügigkeit – nicht rütteln. Auf der anderen Seite muss es das Ziel sein, Großbritannien eng an den europäischen Wirtschaftsraum anzubinden – in beiderseitigem Interesse. Aber bin ich skeptisch, ob das gelingt. Die Schweiz hat sieben Jahre gebraucht, um die bilateralen Verträge mit den EU-Partnern aufzusetzen. Großbritannien hat vielleicht eineinhalb Jahre Zeit. Deshalb befürchte ich, dass wir nicht nur einen harten, sondern auch einen unkontrollierten Brexit bekommen.
Ist die Kritik an den deutschen Exportüberschüssen berechtigt?
Ich halte die Kritik für unberechtigt und warne davor, über steigende Löhne die Importnachfrage ankurbeln und damit für ausgeglichene Handelsbilanzen sorgen zu wollen. Das hätte nur einen Effekt: Wir verspielen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Der Schlüssel für eine stärkere Binnennachfrage sind höhere private Investitionen. Um das zu erreichen, müssen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass Investoren in Deutschland auf ihre investierten Mittel höhere Renditen erwirtschaften können. Im Übrigen hat Deutschland seine Exportüberschüsse gegenüber den anderen EUStaaten – mit Ausnahme Frankreichs – weitgehend abgebaut. Dir Kritik der EU-Kommission läuft ins Leere.
Nicht jedoch gegenüber den USA...
Das stimmt zwar. Doch da ist nicht Deutschland das Problem, sondern die USA mit ihrem ungeheuren Kapitalhunger. Denn Ungleichgewichte in der Kapitalbilanz laufen Ungleichgewichten in der Handelsbilanz voraus. Die USA müssten ihre Verschuldung abbauen, doch unter Trump ist das Gegenteil der Fall.
Die USA werfen Deutschland Ausbeutung vor und drohen mit einer Grenzsteuer auf Importe. Was bedeutet das für unsere extrem arbeitsteilige Weltwirtschaft?
Art und Weise dieser Steuer sind noch ziemlich unklar, sie wird – so sie denn kommt – aber ganz sicher nicht das Ende der Globalisierung einläuten. Wenn es auf eine Art Konsumbesteuerung hinausläuft, kann ich dem Konzept sogar Positives abgewinnen. Reine Importzölle werden vor der Welthandelsorganisation dagegen nicht durchgehen.
Raten Sie der EU in diesem Fall eine Klage vor der WTO?
Ja. Die EU ist gut beraten, eine solche Klage schon einmal vorzubereiten – und ich bin sicher, sie tut das auch.