Von Siegern und Besiegten
Historiendramen und Porträts über Karl Marx und Joseph Beuys auf der Berlinale
BERLIN - Filme über historische Ereignisse und Personen waren dieses Jahr ebenso wie Künstlerbiografien ein großes Thema bei der Berlinale. Das begann schon mit dem Eröffnungsfilm „Django“. In „Viceroy’s House“geht es um die Zeit des indischen Unabhängigkeitskampfes, in Sam Garbarskis „Es war einmal in Deutschland“um Juden, die sich 1945 nach ihrer Entlassung aus dem KZ im Land ihrer Peiniger zurechtfinden müssen. Stanley Tucci drehte mit „Final Portrait“einen Spielfilm über Alberto Giacometti. Andres Veiel wählte die Form der Dokumentation, um Joseph Beuys und seine Kunsttheorie darzustellen.
„Geschichte wird von Siegern geschrieben“, heißt es zu Beginn von „Viceroy’s House“. Der britisch-indische Beitrag beginnt 1947 mit der Inthronisierung Lord Mountbattens (gespielt von Hugh Bonneville, dem Lord Grantham aus „Downton Abbey“) als letztem Vizekönig. Er soll den Prozess der Unabhängigkeit Indiens möglichst schmerzfrei für die Regierung seiner Majestät moderieren. Dafür freilich ist es längst zu spät, wie Mountbatten und seine energische Frau Edwina (Gillian Anderson) bald erfahren. Die Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan ist längst beschlossene Sache.
Prunk versus bittere Armut
Die indische Regisseurin Gurinder Chadha hat das Historiendrama opulent in Szene gesetzt, verliert aber über der Ausstattungsorgie ihr Thema nicht aus den Augen. Den wahnsinnigen Aufwand, der bei der Hofhaltung im Palast getrieben wird, kontrastiert sie mit der Armut und der Ausbeutung der Bediensteten. Am Beispiel einer Liebe zwischen der Muslima (Huma Qureshi) und dem Hindu Jeet (Manish Dayal) werden die religiös begründeten Konflikte deutlich, die den Subkontinent noch heute zerreißen.
Sam Garbarski, der belgische Regisseur, der als Kind jüdischer Eltern 1948 in Planegg bei München geboren wurde und in Bayern aufwuchs, kehrt mit „Es war einmal in Deutschland“auf die Berlinale zurück. Vor zehn Jahren hatte er hier mit der Tragikomödie „Irina Palm“und einer phänomenalen Marianne Faithfull in der Titelrolle einen großen Erfolg beim Publikum. Nun erzählt Garbarski eine Geschichte aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. David Berman (Moritz Bleibtreu) hat als einziger seiner Familie das Konzentrationslager überlebt. Im Auffanglager trifft er auf Leidensgenossen. Alle haben nur ein Ziel: weg aus diesem Land, weg von den Menschen, die ihnen alles genommen haben. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzen sich die Überlebenden ins Geschäft, ziehen als Wäschevertreter von Haus zu Haus und treffen auf die, die nichts gewusst haben oder schlimmer, immer noch die alten, antisemitischen Sprüche loslassen. Und doch ist „Es war einmal in Deutschland“kein düsteres Drama. Auch in seinem neuen Film erkennt Garbarski im Tragischen auch das Komische.
Wie verhalten sich Menschen in der Diktatur? Wie gehen sie nachher damit um, dass sie vom Unrecht profitiert, dass sie sich schuldig gemacht haben? Auch der ungarische Beitrag „1945“von Ferenc Török stellt diese Fragen. Und der Norweger Erik Poppe erzählt in „Kongens Nei“, wie sein Heimatland den Zweiten Weltkrieg überlebt hat: Als die Wehrmacht 1940 ohne Kriegserklärung in Norwegen einmarschiert, beweist der König Mut – und fordert ihn auch von seinen Landsleuten. Sie sollen nicht dem Faschistenführer Quisling folgen, wie es Hitler gerne hätte.
Raoul Peck ist einer der renommiertesten und interessantesten Vertreter des politischen Kinos. Der 1953 auf Haiti geborene Regisseur, der im damaligen Zaire aufgewachsen, in New York, Berlin und Paris studiert hat, machte international mit einer Dokumentation und einem Spielfilm über den kongolesischen Politiker Patrice Lumumba auf sich aufmerksam. Jetzt ist der 63-Jährige, der 1996/1997 auch Kulturminister in Haiti war, gleich mit zwei Filmen auf der Berlinale vertreten. Mit dem Spielfilm „Le Jeune Karl Marx“und mit der Dokumentation „I Am Not Your Negroe“über den amerikanischen Schriftsteller James Baldwin.
Marx spricht Französisch
Der junge Marx? Irgendwie verbindet man mit Karl Marx und Friedrich Engels immer Bilder von alten Männern mit langen Bärten aber nicht die Gesichter von August Diehl oder Stefan Konarske. Und dass in einem Film über deutsche Philosophen permanent Französisch oder Englisch gesprochen und das Deutsche quasi als Geheimsprache genutzt wird, sorgt für weitere Irritation. Aber es stimmt eben: Karl Marx war gerade 30, Friedrich Engels 28 Jahre alt, als sie 1848 gemeinsam das Kommunistische Manifest herausbrachten. Und Marx sprach schon deswegen gut Französisch, weil er zunächst nach Paris und dann nach Belgien ins Exil musste. Engels arbeitete in der britischen Niederlassung seines Vaters, und Marx verbrachte später den größten Teil seines Lebens in London. Natürlich ist der Film keine leichte Unterhaltung, Hegel und Proudhon und der Bund der Gerechten und und und. Da wird dem Zuschauer einiges abverlangt. Aber warum auch nicht?
Die Revoluzzer von gestern
Auch Andres Veiel setzt bei seinem Künstlerporträt über Joseph Beuys viel voraus. Aber man erfährt auch Neues über den Mann, den die einen als den Wegbereiter des erweiterten Kunstbegriffes und Schöpfer der „sozialen Skulptur“verehren, die anderen immer noch für einen Scharlatan halten. In dokumentarischen Aufnahmen von den 1960er-Jahren an lässt Veiel das Bild einer damals jungen Generation entstehen, die brechen wollte mit der Welt von gestern, mit dem Geist der NS-Zeit.
Im Vergleich dazu kommt Stanley Tuccis Film über den alten Alberto Giacometti ziemlich harmlos daher. Geoffrey Rush darf den exzentrischen Maler und Bildhauer spielen, und er kommt dem Künstler äußerlich sehr nahe. Giacometti ist nie zufrieden, wieder und wieder überarbeitet er seine Skulpturen, seine Bilder. Der junge amerikanische Kunstkritiker James Lord (Armie Hammer) soll dem Meister Porträt sitzen. Was als kurze Session geplant war, droht zu einem nicht enden wollenden Prozess zu werden. Giacomettis künstlerische Kompromisslosigkeit, seine Selbstzweifel, seine Launen lassen die Sitzungen zur Tortur werden. Am Ende auch für den Zuschauer.