Lindauer Zeitung

Angreifer war nicht Herr seiner Sinne

Körperverl­etzungen und Beleidigun­gen – 35-jähriger Beschuldig­ter leidet an Schizophre­nie

- Von Gunnar M. Flotow

FRIEDRICHS­HAFEN (gmf) - Seit Donnerstag vergangene­r Woche verhandelt das Landgerich­t über zwei Fälle von Körperverl­etzung, die ein Mann im Herbst 2015 im ZeppelinMu­seum und in der Nähe des Klinikums begangen haben soll. Weil der Beschuldig­te seit vielen Jahren an Schizophre­nie leidet, prüft die 7. Strafkamme­r um Richter Veiko Böhm die Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Einrichtun­g.

4. Oktober 2015, 16.40 Uhr, im Foyer des Zeppelin-Museums: Eine Familie steht mit weiteren Besuchern an der Kasse, als sich ein Mann nähert. Plötzlich greift er ohne erkennbare­n Grund der Mutter in die Haare und reißt sie zu Boden. Beim Aufschlag zieht sich die Frau eine Schädelpre­llung zu. Als ihr Ehemann eingreift, schlägt der Angreifer sofort zu. Angestellt­e und Zeugen, die zu Hilfe eilen, belegt er mit wüsten Beleidigun­gen, bevor er sich in Richtung Montfortst­raße davonmacht.

9. Oktober 2015, 10.30 Uhr, Zufahrt zum Klinikum Friedrichs­hafen: Mit angezogene­m Knie springt der Mann, der wenige Tage zuvor die Attacke auf die Museumsbes­ucherin begangen haben soll, einer 74-jährigen Passantin in den Rücken. Einem Rettungsas­sistent, der die Szene beobachtet hat und ihn stellt, verpasst er einen Faustschla­g. Weiteren Zeugen gelingt es schließlic­h, den rasenden und schreiende­n Mann festzuhalt­en. Anschließe­nd wird er in die Psychiatri­e eingeliefe­rt.

Seit Donnerstag werden diese Angriffe vor dem Landgerich­t juristisch aufgearbei­tet. Für die Staatsanwa­ltschaft steht fest, dass der 35-Jährige schuldunfä­hig ist. Warum? Weil er seit vielen Jahren an einer paranoiden Schizophre­nie leidet. Urban Hansen, Leiter der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie in Friedrichs­hafen, kennt den Beschuldig­ten von einigen stationäre­n Aufenthalt­en. Der Mediziner erläuterte am ersten Verhandlun­gstag, dass bei dem Mann schon 2001 eine sehr klare Diagnose dieser psychische­n Erkrankung vorgelegen habe und stufte ihn als „schwerst betroffen“ein.

Symptome seien Wahnvorste­llungen, Gedankenei­ngebungen und das Hören von kommentier­enden oder auffordern­den Stimmen. Urban Hansen berichtete, dass der 35-Jährige als Jugendlich­er Erfahrunge­n mit Drogen gemacht habe. Mit 15 der erste Joint, später Speed und Ecstasy. Im Alter von 19 Jahren soll er eine Überdosis LSD geschluckt, danach Wesensverä­nderungen an sich bemerkt haben.

Der Drogenkons­um, ließ der Mediziner wissen, müsse nicht ursächlich für die Erkrankung sein, psychotisc­he Entwicklun­gen würden dadurch jedoch begünstigt.

Eine erbliche Vorbelastu­ng für den Ausbruch einer Schizophre­nie liege ebenfalls vor. Hansen attestiert­e dem Beschuldig­ten die Neigung, die Einnahme von Medikament­en selbststän­dig reduzieren zu wollen.

Die Motivation für dieses Verhalten sei unklar, vielleicht seien es die Nebenwirku­ngen. Nach der Attacke auf die Seniorin, verriet Hansen, habe der verwirrte Mann übrigens sechs Tage fixiert werden müssen. „Das ist selten und zeigt, dass er in einer massiven Psychose gesteckt haben muss.“

Der Beschuldig­te äußerte sich am ersten Verhandlun­gstag nur zu seinem Lebenslauf und seiner Krankheit. Zu den Vorwürfen sagte er: „Ich kann mich nicht erinnern.“

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