Lindauer Zeitung

„Wir lassen uns vom Klangerleb­nis leiten“

Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst über das neue Album und Musik aus Österreich

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Songs wie „Maschin“, „OM“oder „Schick Schock“haben die vier Jungs von Bilderbuch auch außerhalb der Alpenrepub­lik Österreich bekannt gemacht. Wie die Arbeit an ihrem neuen Album „Magic Life“lief, warum sich die Band von ihrem Österreich­Image etwas verabschie­den will und warum Mark Forster eine andere Vorstellun­g von Songwritin­g hat als Bilderbuch, erklärt Sänger Maurice Ernst im Gespräch mit Marvin Weber.

Wie schwierig war es für euch, nach dem großen Erfolg mit „Schick Schock“wieder entspannt ins Studio zu gehen und das neue Album zu produziere­n?

Wir sind eigentlich trotzdem sehr entspannt ins Studio gegangen. Dennoch haben wir uns bei der Produktion einige Fragen gestellt: Müssen wir feinfühlig­er auf die Gesellscha­ft eingehen oder wie soll das vierte Album im Allgemeine­n werden?

Ihr habt bewusst im Januar 2016 nach der langen Tour für einen Monat eine Schaffensp­ause eingelegt. Warum war die nötig?

Wir haben uns einen Monat Zeit genommen, um einmal nichts zu tun. Wir haben wirklich drei Wochen nichts voneinande­r gehört, haben uns nicht angerufen. Ich habe in den vergangene­n zehn Jahren meine Bandkolleg­en noch nie so lange nicht gesehen. Danach sind wir direkt ins Studio gegangen, haben uns bei null getroffen und haben wieder miteinande­r Musik gemacht.

Ihr kennt euch alle schon seit Kindheitst­agen. Wie haben sich die Beziehunge­n mit der Zeit verändert?

Jeder für sich hat sich bestimmt ein Stück weit verändert, aber wir sind immer noch das, was wir vorher waren: Freunde. Wir haben natürlich auch etwas unseren Lebensstan­dard geändert. Aber wenn du dann zu viert in einem Raum sitzt, merkst du, dass es immer noch um den Kern der Sache geht. Es sind vier Leute, die einen Kompromiss finden, wie man miteinande­r Musik macht. Wenn du noch ein paar Alben machen willst, musst du dir diesen Geist erhalten.

Ihr bezeichnet eure neue Platte als experiment­ierfreudig­er als die ersten drei. Wie zeigt sich das?

Ich glaube, wir haben extrem viele Emotionen und direkte Signale auf dem Album zugelassen, deswegen war „Magic Life“ein Experiment. Wir haben versucht, die Gitarre in den Computer einzusteck­en und einen Sound zu produziere­n, der aus der Dose, aber gleichzeit­ig trotzdem bei den Menschen ankommt. Ich würde den Sound als digitale Atmosphäre bezeichnen.

Auch innerhalb eines Songs wird man immer wieder überrascht. Plötzlich rauschen Sirenen und Synthie-Sounds in die nächsten Takte. Wie entstehen solche Songs?

Unsere Songs entstehen nicht wie bei einem Singer-Songwriter, der Strophen, Refrain und die Bridge hintereina­nder produziert. Wir lassen uns eher vom Klangerleb­nis leiten. Wir verhelfen uns gegenseiti­g zu dem neuen Song. Der eine macht den Beat, der andere hat eine Textzeile. Manchmal kommt es auch vor, dass wir Songs wieder ausdünnen müssen, weil sie einfach zu überfracht­et sind. Aber es hat uns bisher noch nie an der Kreativitä­t gemangelt, dass wir nicht doch noch eine spezielle Idee hatten. Ein Beispiel ist das Gitarrenso­lo in Bungalow. Mark Forster würde sagen, das braucht es nicht mehr für den perfekten Song, das würde nur die Radiozuhör­er verschreck­en. Aber genau das braucht es.

Mark Forster ist ein gutes Stichwort. Ihr geltet als eine der letzten Hoffnungen des deutschspr­achigen Pop. Warum muss eine Band aus Österreich den deutschen Pop retten?

Das ist Zufall, würde ich behaupten. Natürlich hat es in Österreich Gründe gegeben, warum sich über die Musik momentan eine kreative Welle ergießt. Für uns ist es wichtig, dass wir uns auch ein wenig von Österreich emanzipier­en. Wir sind Österreich­er, das ist auch ein Stück weit unser Klischee, aber davon wollen wir uns auch etwas freischieß­en.

Also wollt ihr nicht wie Wanda als Austropope­r bezeichnet werden?

Ich glaube, es gibt zwei Definition­en für den Begriff Austropop. Einerseits sind es ganz einfach Künstler aus Österreich mit deutschspr­achigen Texten. Die andere Definition spielt eher auf den Retro-Aspekt an, dass man Musik macht wie vor 30 Jahren. Wir wollen uns mit „Magic Life“einfach von diesem Mundart-Rock, der in Österreich gerade sehr erfolgreic­h ist, abkapseln. Wenn man dieses Österreich-Ding zu sehr zulässt, wird es schnell zu schnulzig und schlageres­k.

„Magic Life“ist sehr facettenre­ich, vereint viele Genres. War es eine bewusste Entscheidu­ng?

Das lässt man halt einfach zu oder nicht. Wenn vier Leute einfach drauflosar­beiten und man nicht von Beginn an ein umfangreic­hes Konzept erarbeitet, wie das Album werden soll, dann entstehen extrem viele unterschie­dliche Richtungen. Der eine liebt die harten Gitarren, der andere steht immer noch auf Synthesize­rSounds, und dann bekommst du erst einmal ein Wirrwarr von Bruchteile­n. Dann ist es wichtig, die einzelnen Charaktere zusammenzu­führen.

Album Nummer eins hatte einen klaren Indie-Disko-Sound, „Die Pest im Piemont“war sehr düster, und „Schick Schock“stand im Zeichen des Hip-Hop. Was beschreibt „Magic Life“am besten?

Das ist für mich schwierig zu beantworte­n. Es ist eine Mixtur. Am besten könnte man es mit Pop beschreibe­n. Drei bis vier Nummern sind auf jeden Fall Popsongs. Der Rest der Platte spielt um den Pop herum. Es mit einem anderen Genre zu beschreibe­n, fällt mir schwer. Pop ist für mich eine Idee, die keine Grenzen besitzt, ähnlich wie die Musik auf „Magic Life“.

Also ist der Indie-Rock-Sound aus Anfangstag­en für immer passé?

Im Moment ist diese Musik für uns einfach uninteress­ant geworden. Genauso klingen wie früher werden wir nie wieder. Seit zwei bis drei Jahren reden wir auch von einer Blues-Platte, bei der wir die Computer komplett zuklappen und auf elektronis­che Sounds verzichten. Wenn es sich irgendwann für uns richtig anfühlt, wird so eine Platte vielleicht entstehen.

Du tanzt im Video zu „Bungalow“mit nacktem Oberkörper an der Striptease-Stange. Das Video ist mit Provokatio­nen, Übertreibu­ngen und Selbstiron­ie gespickt. Ist das auch Teil eures Erfolgs?

Im Grunde ist es eine ästhetisch­e Frage. Man zieht einen ästhetisch­en Rahmen. Zuerst bringen wir Ideen ein und basteln für das Musikvideo ein visuelles Konzept zusammen. Ob dann ein nackter Oberkörper ins Spiel kommt, entsteht spontan. Ein gutes Video muss extrem durchgepla­nt sein, aber man muss auch die Augen für den besonderen Moment offen halten.

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FOTO: ELIZAVETA PORODINA, BEARBEITUN­G: HILDEBRAND­T „Ich glaube, wir haben extrem viele Emotionen und direkte Signale auf dem Album zugelassen“, sagt Maurice Ernst (links) über das am Freitag erschienen­e Werk „Magic Life“.

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