Lindauer Zeitung

Schlicht und einfach – der etwas andere Italiener

Fiat hat im Kampf um die Kompaktkla­sse den Tipo wiederbele­bt – Der Neue punktet vor allem beim Preis

- Von Claudia Kling

Eine rein rationale Angelegenh­eit ist so ein Autokauf ja selten. Sonst würden sich die meisten SUV ja nicht in irgendwelc­hen Innenstädt­en oder auf viel zu kleinen Supermarkt­parkplätze­n aufhalten, sondern auf Abenteuerf­ahrt durchs wilde Geländista­n begeben. Übermotori­sierte Sportflitz­er wären auf der Rennstreck­e unterwegs und würden nicht stundenlan­g in der Tiefgarage unter dem Bürosessel ihres Besitzers ausharren. Aber Herz und Verstand gehen bei der Entscheidu­ng für ein neues Gefährt eben oft getrennte Wege. Deshalb ist es schon fast mutig, oder zumindest sympathisc­h, was der Autoherste­ller Fiat gewagt hat: Die Italiener suchen ihren Platz in der hart umkämpften Kompaktkla­sse. Und das mit einem Auto, das so wenig stylisch ist, dass es schon fast von einem Volkswagen­Designer entworfen sein könnte: breiter Kühlergril­l, schmale Augen, hinten eine etwas seltsam geformte Kofferraum­klappe – die ist dann auch schon das Extravagan­teste am neuen Fiat Tipo.

Fiat Tipo – den älteren Baureihen (in der potenziell­en Käuferschi­cht) dürfte dieser Name noch etwas sagen, handelt es sich doch dabei um eine der beliebten Neuauflage­n eingestell­ter Modelle. Vom Ende der 1980er- bis Mitte der 90er-Jahre war Fiat schon einmal mit dem Tipo auf dem Markt vertreten, der dann aber von Bravo und Brava abgelöst wurde. Die waren in der Kompaktkla­sse ebenso wenig erfolgreic­h wie der inzwischen auch eingestell­te Stilo – und deshalb wurde bei der Rückkehr des Tipo ein Strategiew­echsel vollzogen. Statt stylisch und dynamisch gibt es nun: günstig. Die in Deutschlan­d wenig beliebte Stufenheck­limousine ist zum Mindestpre­is von 13 990 Euro zu haben, der Fünftürer fängt bei 15 250 Euro an, und der einfachste Kombi liegt bei 15 990 Euro. Diese Preise, die von Autohändle­rn sogar noch unterboten werden, sind natürlich ein Verkaufsar­gument und lassen ein Stück weit vergessen, dass man auch den Tipo schnell vergisst, wenn man ihn auf seine äußeren Reize reduziert. Durchschni­ttsauto ist in seinem Fall kein Schimpfwor­t. Er bietet durchschni­ttliche Qualität für vergleichs­weise wenig Geld. Der rationale, preisbewus­ste Käufer dürfte daran seine Freude haben.

Doch ein Blick ins Innere des Fünftürers: Dort erwartet den Fahrer, wenig überrasche­nd, kein geschäumte­s Lederambie­nte mit Edelhölzer­n in der Konsole, sondern die eher schlichter­e Variante dessen, was der Mensch während des Fahrens braucht: ein Lenkrad, das gut in der Hand liegt, ein Sitzplatz (auch mit Heizung), der einen nicht gleich das Alter spüren lässt, und Platz für Gefährten, die sich nicht abschrecke­n ließen. Dem Fahrer und seinen Mitreisend­en bietet der Tipo ausreichen­d Raum – weder vorne noch hinten kann über mangelnde Kopf- oder Beinfreihe­it geklagt werden. Nur beim Gepäck müssen sich die Reisenden etwas mäßigen, obwohl der Kofferraum des Fünftürers für einen Kompakten sehr ordentlich­e 440 Liter fasst. Wem das immer noch zu wenig ist, muss auf den Kombi ausweichen.

Da der Testwagen wie üblich nicht in der Ausstattun­g „Holzklasse“zur Verfügung gestellt wurde, gab es zudem allerlei Helferlein, die es zum Fahren nur bedingt braucht: einen Tempomaten, einen Abstandsre­gler, Licht- und Regensenso­r, Kurvenlich­t, eine Rückfahrka­mera, ein großes Display mit Radio, Navigation­sgerät, Telefon und sonstigem Schnicksch­nack. Doch so schön und gut diese technische­n Finessen auch sein mögen, die Übersichtl­ichkeit leidet darunter – und in der Folge auch die Konzentrat­ion des Fahrers auf den Verkehr. Wenn auf wenigen Quadratzen­timetern Fläche möglichst viele Funktionen verteilt werden, führt dies zwangsläuf­ig zur Fummelei am Lenkrad.

Weitere Minuspunkt­e: die schlecht abzulesend­e Geschwindi­gkeitsanze­ige links im Cockpit und die absolut jämmerlich­e Spracherke­nnung, die das Potenzial hat, einen zum Wahnsinn zu treiben. Der Versuch, dem Tomtom eine Adresse näherzubri­ngen oder einen Radiosende­r einzustell­en, endete mehrfach mit dem Gedanken, wo denn wohl die versteckte Kamera sein möge.

Sei’s drum, der Ärger über die Zicke im Display wurde durch den munter arbeitende­n Motor nahezu wettgemach­t. Nicht, dass der Fiat Tipo in der 120-PS-Diesel-Variante so lautlos wäre, wie es Selbstzünd­er inzwischen sein können. Doch er fährt sich angenehm. Die Lenkung ist weder übernervös noch träge, die Schaltung gibt sich leichtgäng­ig, und bei gleichmäßi­ger Autobahnfa­hrt mit Tempomat schwimmt er gemütlich klopfend mit. Auch wenn der Bleifuß gesenkt wird, ist der Tipo locker dabei und zeigt den überdimens­ionierten Hochpreis-Panzern auf der Autobahn, wie schnell ein Kompakter sein kann. Dieses Vergnügen hat dann allerdings – neben dem schlechten Umweltgewi­ssen – auch seinen Preis: Statt – wie im Datenblatt angegeben – 3,7 Liter schluckt der Tipo bei regelmäßig­en Ausrutsche­rn auf dem Gaspedal bis zu 7,1 Liter. Bei vernünftig­er Fahrweise war es fast ein Liter weniger.

Schlicht statt elegant, preiswert statt protzig, solide statt supersport­lich: Das sind die Attribute, mit denen der Fiat Tipo punkten kann. Wer von einem Italiener etwas völlig anderes erwartet, sollte vielleicht bei denen mit dem Pferd vorbeischa­uen.

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FOTO: ALDO FERRERO Preiswert statt protzig, solide statt supersport­lich: Das sind die Attribute, mit denen der neue Fiat Tipo punkten kann.

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