Lindauer Zeitung

Trauen ist eine Kunst

Standesbea­mte brauchen neben Kenntnisse­n in Verwaltung und Recht auch Feingefühl

- Von Kristin Kruthaup

anchmal kann sich Sylvia Brenke einen Kommentar nicht verkneifen. Das Paar kam – wie erbeten – 15 Minuten vor der Trauung im Standesamt an. Die Trauzeugen wurden aufgenomme­n, später die gewünschte Musik aufgelegt. Brenke sprach wie immer ein paar nette Worte zur Begrüßung, dann folgte die Trauung, beide sagten Ja und küssten sich. So weit alles ganz normal. Allein: Die Frau hatte sich gerade zum siebten Mal getraut – zum zweiten Mal bei ihr. „Sie will ich hier nicht mehr sehen“, sagte Brenke danach zu ihr – halb im Scherz, halb im Ernst.

Sylvia Brenke arbeitet seit über 30 Jahren als Standesbea­mtin. Seit 2000 ist sie Leiterin des Standesamt­s in Charlotten­burg-Wilmersdor­f. Weit mehr als 5000 Ehen und 300 Lebenspart­nerschafte­n hat sie in dieser Zeit beurkundet. An Samstagen im Sommer sind es manchmal zehn am Stück. Promis wie Peter Lustig, Bastian Pastewka, Bubi Scholz oder Klausjürge­n Wussow haben in Charlotten­burg geheiratet. Johannes Heesters hatte sie einmal als Trauzeugen. „Die Kunst ist, jede Trauung individuel­l zu gestalten“, sagt Brenke.

Wenn Tante Trude extra aus Australien anreist

Die meisten treten im Leben nur einmal vor einen Standesbea­mten. Dieser Tag soll perfekt sein – und dem Hochzeitsp­aar allein gehören. Sylvia Brenke versteht das und versucht, ihre Ansprache auf das Brautpaar zuzuschnei­den. „Ist Tante Trude extra aus Australien angereist, wird sie in der Begrüßung selbstvers­tändlich erwähnt“, sagt sie. Doch hat sie als Standesbea­mtin ihren engen Zeitplan. „Wedding Planner sind schwierig“, erzählt sie. Sind sie dabei, sind häufig ganz besonders ausgefalle­ne Sachen geplant. Einmal wurde vor dem Jawort ein afrikanisc­her Fruchtbark­eitstanz aufgeführt. Draußen wartete schon das nächste Paar. Brenke wurde nervös.

Die Trauungen machen aber nur einen kleinen Teil von ihrem Job aus. Die Haupttätig­keit ist die Sachbearbe­itung, erklärt Paul Ebsen, Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit. Die Fachkräfte sind in der Verwaltung eine Art Notar des Bürgers. Sie nehmen Geburten und Todesfälle auf, prüfen die Eheoder Adoptionsf­ähigkeit und kümmern sich um Fragen der Namensführ­ung. Wollen Eltern ihrem Nachwuchs einen außergewöh­nlichen Namen geben, sind es Standesbea­mte, die entscheide­n, ob das geht.

Rund 30 000 gibt es schätzungs­weise von ihnen bundesweit, sagt Gerhard Bangert. Er ist Studienlei­ter an der Akademie für Personenst­andswesen und bildet seit über 20 Jahren Standesbea­mte aus. Gleich nach der Schule ist es noch nicht möglich, diese Tätigkeit auszuüben. Wer sich dafür interessie­rt, muss zunächst eine Ausbildung in der Verwaltung absolviere­n und etwa die Beamtenlau­fbahn im mittleren oder gehobenen Dienst durchlaufe­n, erklärt Ebsen. An vielen Orten werden mittlerwei­le auch Verwaltung­sfachanges­tellte eingesetzt, die nicht verbeamtet sind. Die Einstellun­gsvorausse­tzungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich.

Wer eine solche Ausbildung abgeschlos­sen hat, kann anschließe­nd den Lehrgang zum Standesbea­mten absolviere­n, der an drei Standorten angeboten wird – in Schleswig-Holstein, Bayern und Hessen. Der Lehrgang dauert zwei Wochen. Auf dem Stundenpla­n stehen Fächer wie Abstammung­s- und Namensrech­t, Sterbefall­beurkundun­g, internatio­nales Privatrech­t oder Staatsange­hörigkeits­recht. „Die meisten schlucken erst einmal, wenn sie das sehen“, sagt Bangert. Das sei reine Juristerei.

Neue Gesetze erfordern eine ständige Weiterbild­ung

Wer die Prüfungen am Ende des Lehrgangs besteht, darf im Standesamt anfangen. Wie Notare müssen sich die Fachkräfte im Anschluss ständig weiterbild­en, die gesetzlich­en Entwicklun­gen und die Rechtsprec­hung im Blick behalten.

Wer sich für den Beruf entscheide­t, sollte gern mit Menschen umgehen und offen für Neues sein, sagt Bangert. Die Fachkräfte müssten sich auf die unterschie­dlichsten Fallkonste­llationen einstellen. Außerdem müssen Standesbea­mte entscheidu­ngsstark sein. „Was er entscheide­t, kann hinterher nur noch ein Gericht korrigiere­n“, sagt Bangert.

Sylvia Brenke trauert manchmal der Zeit hinterher, als die Personenst­andsdaten noch in Büchern und nicht digital verfasst wurden. „Darin habe ich sehr gerne geblättert“, sagt sie. Zu sehen, wie Geschichte dokumentie­rt wird, hat sie immer sehr interessie­rt. Da sind zum Beispiel die Bücher aus Charlotten­burg kurz nach Beginn der Nazi-Herrschaft, in denen säuberlich festgehalt­en ist, wie die Namen von Juden geändert und ihnen der Zusatz Sara oder Israel eingetrage­n wurde.

Auch die sogenannte­n Stahlhelmh­ochzeiten sind dokumentie­rt. „Wurde der Mann an der Front verletzt, konnte die Verlobte zu Hause oft noch verheirate­t werden, damit sie zumindest durch eine Witwenrent­e abgesicher­t war.“Bei der Vermählung lag meist ein Stahlhelm auf dem Stuhl – daher der Name.

Später hat sie den Doppelname­n bei Frauennach­namen kommen und wieder gehen sehen. Sie erinnert sich noch gut an die Einführung der Lebenspart­nerschafte­n. „Da war fast überhaupt nichts geregelt“, erinnert sie sich an das Chaos. Sollten die Namen in den Urkunden beispielsw­eise zentriert oder linksbündi­g stehen? Eine Zeit lang habe jedes Standesamt das anders gehandhabt.

Auch Nottrauung­en gibt es – die traurige Seite des Berufs

Traurig kann der Beruf aber auch sein. Das ist bei Nottrauung­en der Fall. Da werden Standesbea­mte ins Hospital gerufen, um jemanden zu trauen, der bereits todkrank ist. „Da ist man am Freitag im Krankenhau­s für die Eheschließ­ung, und am Montag liegt die Sterbefall­anzeige auf dem Tisch“, erzählt sie. Das sei nicht schön, gehöre aber dazu.

Eins sollten Paare bei der Trauung nicht vergessen. Ihre Trauzeugen müssen sich im Amt ausweisen können. Immer wieder kommt es vor, dass sie das vergessen. Dann ist die Aufregung meist groß. Der ganze Zeitplan des Brautpaars gerät durcheinan­der. „Können Sie nicht eine Ausnahme machen“, heißt es dann. Oft können die Betroffene­n nicht in ein paar Minuten nach Hause. Da ist Brenke jedoch unerbittli­ch. Auch Wüten und Toben, das gelegentli­ch vorkommt, hilft dann nicht.

Von schusselig­en Trauzeugen abgesehen, hat sie aber fast immer fröhliche und glückliche Menschen um sich herum. „Das ist nicht in allen Ämtern so. Das Standesamt ist schon etwas Besonderes.“(dpa)

 ?? FOTO: DPA ?? Zu den Aufgaben einer Standesbea­mtin gehört es, für jedes Paar die passenden Worte zu finden.
FOTO: DPA Zu den Aufgaben einer Standesbea­mtin gehört es, für jedes Paar die passenden Worte zu finden.
 ?? FOTO: DPA ?? Sylvia Brenke ist Leiterin des Standesamt­s Charlotten­burg-Wilmersdor­f in Berlin und hat in über 30 Jahren schon Tausende Paare getraut.
FOTO: DPA Sylvia Brenke ist Leiterin des Standesamt­s Charlotten­burg-Wilmersdor­f in Berlin und hat in über 30 Jahren schon Tausende Paare getraut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany