Die Revolution hat Geburtstag
Das Landesmuseum Zürich erinnert an Lenin und seinen Umsturz in Russland 1917
ZÜRICH - Die Schweiz geht voran: Das Landesmuseum in Zürich eröffnet heute eine Ausstellung zur Russischen Revolution. Sie dokumentiert auch die Beziehungen zwischen Russland und den Eidgenossen.
Die Schweizer beherbergten sechs Jahre lang den berühmtesten Revolutionär: Lenin (1870-1924). Als er in Genf, Bern und Zürich lebte und Bibliotheken besuchte, schenkten sie ihm keine Beachtung. Auch den Sozialdemokraten ist er kaum aufgefallen. Sie hielten ihn für einen Schwätzer. Und er, kaum, dass er über die Grenze war, attestierte Ihnen, sie seien Spießer mit Gefallen am parlamentarischen Kleinkram.
Die Ausstellung im Landesmuseum Zürich ist verwinkelt angelegt und schlägt auch inhaltlich viele Haken. Ihr Thema ist nicht die Revolution, sondern die Revolutionen. Schließlich kannte das Jahr 1917 in Russland zwei solcher Ereignisse, eines im Frühjahr, eines im Herbst.
Der Putsch der Bolschewiki
Die Februar-Revolution führte zur Absetzung des Zaren und etablierte ein heikles Verwaltungssystem, in dem die vom Parlament gestützte Provisorische Regierung und die neu gegründeten Arbeiter- und Soldatenräte miteinander, nebeneinander und gegeneinander agierten. Der Oktober beendete die Gemengelage. Lenins Bolschewiki putschten sich an die Macht. Der Begriff Revolution geht hier aus Tradition durch. Es war ein Staatsstreich. Die Ausstellung zeigt eines der Fotos von 1920, das die Massenbeteiligung nachträglich nachstellt: Fake News. Schon damals musste die Straße voller sein.
Um die Verhältnisse, die 1917 in Russland herrschten, anschaulich zu machen, rudert die Ausstellung weiter zurück: zur Revolution von 1905 und dem „Blutsonntag“, an dem das Militär auf streikende Arbeiter schoss. Der Zar ließ nun ein Parlament zu, sein unqualifiziertes Regiment quälte sich zwölf Jahre weiter.
Der zweite Raum widmet sich dieser Zarenzeit und ihren sozialen Gegensätzen. Und den Einwanderern. Bis 1917 zogen 20 000 Schweizer nach Russland: Zuckerbäcker aus Graubünden, Uhrmacher aus dem Jura, Gouvernanten aus der Romandie, die der russischen Oberschicht Französisch beibrachten. Russland lieferte im Gegenzug Revolutionäre. Die neutrale Schweiz mit ihrer Meinungs- und Pressefreiheit war das bevorzugte Exil für politisch Verbannte. Mehr als die Hälfte lebte in Zürich.
Gleich im ersten Raum macht die Ausstellung noch ein Türchen auf und schlägt die russische Avantgarde-Kunst der Revolution zu. Sie tut das exemplarisch, mit Leihgaben der Fondation Beyeler. Die zeigen, wie die Avantgardisten europäische Stile mixen, dann 1-a-Propagandakunst entwerfen – bis Stalin plumpen Naturalismus einfordert. Aber da ist man im Jahr 1932.
Einen Raum nutzt die Ausstellung für eine eindrucksvolle Installation. Sie dokumentiert hier den Sozialismus mit all seinen Errungenschaften und all seinen Abgründen: Wirtschaftspolitik und Hungersnot, Gulag und Elektrifizierung. Und entsorgt das Klischee, dass seine fatale Entwicklung nur die Erbfolge von Good-Guy Lenin zu Bad-Guy Stalin gewesen sei. Lenin bewunderte die zentralistische Kriegswirtschaft des deutschen Militärs. Er hielt sie, nicht gerade nachvollziehbar, für effektiv, und machte damit die Bürokratie zur Hofreitschule des Sozialismus. Der Raum ist ein riesiger Parcours aus Schreibtischen vor einer monumentalen Lenin-Statue. Das könnte ein Bühnenbild sein.
Am Ende stehen Erinnerungen an die bekanntesten Schweizer Arbeiterführer. Der Publizist und spätere Nationalrat Robert Grimm (18811958) war Lenin in beidseitiger Ablehnung verbunden. Fritz Platten (1888-1942) war ein begeisterter Kommunist, eine eindrucksvolle Erscheinung. Der „rote Fritz“, Schlosser bei Escher-Wyss, war groß, das mächtige schwarze Haar machte ihn in jungen Jahren zum „proletarischen Pin-up“. Platten war Lenin völlig ergeben. Und Lenin vertraute ihm. Im April 1917 ließ er ihn mit der deutschen Botschaft aushandeln, wie er nach Russland zurückkommt. Platten ging mit auf die Reise und schrieb ein Buch darüber. Es erschien 1924.
1923 war er in die Sowjetunion ausgewandert. Seine Naivität führte zu einem tragischen Ende. Erst fiel seine Frau den stalinistischen Säuberungen zum Opfer, die er noch rechtfertigte. Dann wurde er selber wegen Waffenbesitzes verhaftet. Die Pistole, eine Mauser, hatte Lenin ihm in Zürich geschenkt. Platten wurde in ein Lager deportiert. Vier Jahre lang schrieb er erfolglos Eingaben. 1942 wurde er erschossen, am 22. April. Es war Lenins Geburtstag.