Historiker durchleuchten Bayerns Behörden
Forscher untersuchen Umgang mit NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit
MÜNCHEN - Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München erforscht die NS-Vergangenheit von früheren Beamten in bayerischen Spitzenbehörden. Das Projekt will herausfinden, wie viele Beamte, die den Nationalsozialisten nahestanden, auch nach 1945 noch in hohen Positionen tätig waren.
Die junge Bundesrepublik wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Hilfe Zigtausender von Staatsdienern aufgebaut, die zuvor den braunen Herrschern dienten. Einer der spektakulärsten Fälle war der ehemalige bayerische Kultusminister Theodor Maunz (1957 bis 1964), der in der NS-Zeit verfassungsrechtliche Hilfskonstruktionen für den Unrechtsstaat lieferte. Später war er Mitbegründer eines Standardkommentars zum Grundgesetz.
Mehr als 60 Jahre nach Kriegsende wollte der Bayerische Landtag genauer wissen, wie stark der moderne Freistaat Bayern auf den Schultern leicht, mittel oder schwer belasteter ehemaliger NSDAP-Spitzenbeamter ruht. Bereits 2013 hat die Staatsregierung nach einem einstimmigen Beschluss aller Landtagsfraktionen beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) das Forschungsprojekt „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit“in Auftrag gegeben. Eine unabhängige Historikerkommission, so der Landtagsbeschluss, soll die „mögliche NS-Belastung der Staatsregierung systematisch aufarbeiten“.
Die Frage der Kontinuität
Das Unternehmen, zu dem im Dezember vergangenen Jahres die ersten wissenschaftlichen Arbeiten aufgenommen wurden, lässt sich der Freistaat Bayern nach Angaben von Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) 1,8 Millionen Euro kosten. „Im Mittelpunkt des Projekts“, so Spaenle am Montag in München, stehe die Frage nach einer „Kontinuität von Eliten aus dem Dritten Reich im Nachkriegs-Bayern“.
Man wolle über das reine Zusammenzählen von leichter oder schwer verstrickten Staatsdienern hinaus gehen, erläuterte IfZ-Direktor Andreas Wirsching. Man will herausarbeiten, wie stark Prägungen aus der NS-Zeit, aber auch aus der Weimarer Republik beim Führungspersonal der Bayerischen Staatsregierung nach 1945 vorhanden waren und sich zum Beispiel auf Innenverwaltung, Polizei und Verfassungsschutz, aber auch auf den Umgang mit ehemaligem NSVermögen und Landesgesetze wie das Polizeiaufgabengesetz von 1954 ausgewirkt haben. Untersucht werden dazu auch Personalpolitik und Karriereverläufe.
Man werde sich auch mit Einzelfällen befassen, sagte Wirsching. Da habe es zum Beispiel einen Holocaust-Überlebenden gegeben, der auf den Stufen eines Polizeipräsidiums auf den Polizisten traf, der ihn vor 1945 drangsaliert hatte.
„Gigantische Quellenmassen“
Ein Roma habe in der Landesentschädigungsstelle, die Opfer des Nationalsozialismus entschädigen sollte, den Mann getroffen, der die Deportation seiner Familie angeordnet habe. Der Beschluss des Beamten: Der Mann habe keinen Anspruch auf Entschädigung. „Gigantische Quellenmassen“sollen für das Projekt ausgewertet werden, wie Wirsching sagte.
Sensationen erwartet Wirsching nicht mit Blick auf die Verwicklung in den Nationalsozialismus von bislang hoch angesehener Persönlichkeiten der Nachkriegszeit. Das sei alles weitgehend bekannt, meinte der IfZ-Chef. Rein akademisch sind die historischen Forschungen der jüngeren Vergangenheit aber wohl auch nicht zu betrachten. Der Blick auf die „zweite Reihe der Ministerialbürokratie“werde sich verändern.
In den 1980er- und 1990er-Jahren jedenfalls wäre eine solche umfassende Studie wohl nicht denkbar gewesen, meinte Wirsching: „Solange die Generationen, die aktiv waren, das öffentliche und politische Feld beherrschen, ist es schwierig, sich auch aus Befangenheiten und Loyalitäten zu lösen.“Bildungsminister Spaenle sagte zu seinem belasteten Vorgänger: „Ein Theodor Maunz genügt in der Ahnengalerie.“