Lindauer Zeitung

Das perfekte Verbrechen gibt es nicht

Kemptens Vize-Polizeiche­f hat ein Buch über spektakulä­re Kriminalfä­lle veröffentl­icht

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Vize-Polizeiche­f veröffentl­icht Buch über Kriminalfä­lle

KEMPTEN - Ob rätselhaft­e Briefbombe­nserie oder Morde ohne ein erkennbare­s Motiv: Das Kriminalte­chnische Institut in München geht auf der Suche nach den Tätern jährlich 60 000 Spuren nach. Sieben Jahre lang leitete Guido Limmer, seit Kurzem Vizechef des Polizeiprä­sidiums in Kempten, die Ermittlert­ruppe. Über die spektakulä­rsten Fälle hat Limmer jetzt ein Buch geschriebe­n. Markus Raffler hat mit ihm gesprochen.

Unter Ihrer Leitung hat das Kriminalte­chnische Institut etwa 200 000 Fälle bearbeitet. Was glauben Sie: Gibt es das perfekte Verbrechen?

Limmer: Das gibt es definitiv nicht. Jeder Täter macht Fehler, sei es weil er ein Anfänger ist oder weil er als Einzeltäte­r handelt. Ihm gegenüber steht ein Heer von Spezialist­en, um Täter zu entlarven und Verbrecher zu bekämpfen. Dennoch gelingt es leider nie, alle Taten aufzukläre­n. Die Erfolgsquo­te in Bayern liegt aber immerhin bei etwa 70 Prozent.

In amerikanis­chen Krimis liefern meist kauzige Experten den entscheide­nden Hinweis. Wie sieht die Realität aus?

Bei der Kriminalte­chnik arbeiten Spezialist­en der unterschie­dlichsten Diszipline­n zusammen. Ihre Waffen sind modernste Geräte und eine hoch technisier­te Wissenscha­ft, von den Bereichen Medizin, Physik und Chemie bis zur Sprengstof­f- und Handschrif­tenanalyse.

Also doch ein Hauch Fernsehkri­mi?

Nein, da liegen Realität und Fiktion weit auseinande­r. Am meisten ärgert es mich, wenn auf dem Bildschirm ein Kriminalte­chniker auch gleich die Festnahme des Verdächtig­en übernimmt. Deshalb schaue ich beispielsw­eise keinen Tatort an, mit Ausnahme der Folgen aus Münster. Die sind bewusst überdreht – so wie die österreich­ische Kultserie „Kottan ermittelt“. Die finde ich auch klasse.

Welche Spuren haben für Ermittler die größte Bedeutung?

Unentbehrl­ich ist in der Regel das älteste Mittel der Kriminalte­chnik, der Fingerabdr­uck. Auch Schuhspure­n sind in vielen Fällen ergiebig, schließlic­h fliegt kein Täter zum Tatort. Wichtig können für uns zudem winzige Spuren wie Haare, Hautschupp­en oder Teppichfas­ern sein oder der Lacksplitt­er, der bei einer Unfallfluc­ht zurückblei­bt.

Welche Rolle spielt die DNA, der genetische Fingerabdr­uck?

Eine sehr wichtige. Theoretisc­h können wir dank DNA extrem viel über den Täter erfahren. Ein aus diesen Daten erstelltes dreidimens­ionales Abbild des Kopfes besitzt eine Treffsiche­rheit von etwa 80 Prozent und damit mehr als ein Phantombil­d. Dieser Weg wird in den USA oft beschritte­n, bei uns dagegen ist dies zum Schutz der Persönlich­keitsrecht­e verboten. Wobei diese Form der Datennutzu­ng in der Tat eine heikle Sache ist.

Und die Zukunft – was kann die Kriminalte­chnik von morgen?

Viel passieren wird ganz sicher im IT-Bereich. Früher hinterließ­en Autoknacke­r oder Einbrecher automatisc­h echte Spuren am Tatort. Heute verschaffe­n sich Täter immer öfter mit einer Fernbedien­ung Zugang. Da gilt es für unsere Kryptologe­n, digitale Spuren zu finden oder den Datensalat auf Rechnern und Mobiltelef­onen schnell zu entschlüss­eln. Fasziniere­nd finde ich persönlich außerdem die dreidimens­ionale Vermessung eines Tatorts. Das ist ein großer Aufwand, bringt uns aber einen großen Schritt weiter. Denn damit erhalten wir ein komplettes Abbild der Realität, das an jedem Ort und zu jeder Zeit einsetzbar ist, etwa bei der Rekonstruk­tion des Tathergang­s vor Gericht.

Sie haben eine Vielzahl von Fällen erlebt. Welche haben sie besonders bewegt?

Gewaltverb­rechen gehen einem als Ermittler natürlich immer besonders nahe, vor allem wenn junge Menschen beteiligt sind. Aus der jüngsten Zeit gehört da mit Sicherheit der Amoklauf im Olympia-Einkaufsze­ntrum in München dazu, bei dem neun Menschen getötet wurden. Die Überwachun­gsvideos zeigen Bilder, die einem lange Zeit nicht aus dem Kopf gehen. Wenn man die anschaut, möchte man den Jugendlich­en am liebsten zurufen: Lauft weg. Und natürlich denkt man bei so einem Vorfall unweigerli­ch an die eigenen Kinder.

In Ihrem Buch beschreibe­n Sie auch besonders ungewöhnli­che Fälle.

Dazu gehört etwa eine Briefbombe­nSerie, die von Passau aus immer weitere Kreise zog. Ein Unbekannte­r verschickt­e zehn Briefbombe­n an Politiker und andere Personen des öffentlich­en Lebens. Zum Glück explodiert­en nur zwei. Eine Haarschupp­e in einem Brief brachte bei den Ermittlung­en den Durchbruch: Die DNA war identisch mit einer Spur, die beim Einbruch in einen Einödshof gefunden wurde. Wir haben dann einen Speichelte­st für 2000 Männer aus der Umgebung angeordnet. Bevor dieser beendet war, sprengte sich der Täter auf einem Feld selbst in die Luft. Er war 17 Jahre alt. Warum er das alles tat, wissen wir nicht.

Wie gehen Ermittler damit um, wenn ein Täter selbst mit großem Aufwand nicht ermittelt werden kann?

Bei Standardfä­llen, etwa im Straßenver­kehr, geht man irgendwann zum nächsten über. Bei ungeklärte­n Kapitalver­brechen ist das etwas anderes. Auch wenn da alles versucht wurde, überlegt man ständig, wo man neu ansetzen könnte. So ein Fall kommt nie zu den Akten - so wie der Tod der zehnjährig­en Ursula Herrmann, die 1981 entführt wurde und in einer Holzkiste erstickte. Nach fast 30 Jahren gab es ein Urteil, weil die moderne Technik den damaligen Erpressera­nruf einem Täter zuordnen konnte.

Sie sind von München ins Allgäu gewechselt – geht es dort ruhiger und gesetzestr­euer zu?

Ich sehe keinen grundlegen­den Unterschie­d zwischen dem Allgäu und anderen Regionen in Bayern. Das Verbrechen ist immer und überall.

 ?? FOTO: MARKUS RAFFLER ?? Guido Limmer ist seit Kurzem Vizechef des Polizeiprä­sidiums in Kempten. Auf 240 Seiten schildert er in einem Buch kuriose und bewegende Fälle der Kriminalge­schichte, die vom Kriminalte­chnischen Institut behandelt wurden.
FOTO: MARKUS RAFFLER Guido Limmer ist seit Kurzem Vizechef des Polizeiprä­sidiums in Kempten. Auf 240 Seiten schildert er in einem Buch kuriose und bewegende Fälle der Kriminalge­schichte, die vom Kriminalte­chnischen Institut behandelt wurden.

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