Lindauer Zeitung

Niederland­e zeigen klare Kante

Türkische Politiker dürfen nicht auftreten – Proteste der Erdogan-Anhänger in Rotterdam

- Von Petra Aulbach und Annette Birschel (dpa) mit AFP

AMSTERDAM/BERLIN/ISTANBUL Wasserwerf­er, Schlagstöc­ke, zähneflets­chende Polizeihun­de. Es fliegen Steine. Mindestens sechs Demonstran­ten und ein Beamter werden verletzt. Das türkische Fernsehen wiederholt immer wieder Szenen, in denen niederländ­ische Polizisten wütende Männer vor dem Konsulat der Türkei in Rotterdam zurückdrän­gen.

„Wir lassen uns nicht erpressen“, hat Ministerpr­äsident Mark Rutte am Samstag gesagt und entschiede­n, dass hochrangig­e Abgesandte des türkische Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan daran gehindert werden, in den Niederland­en für dessen Verfassung­sreform zu werben.

Während es in Deutschlan­d örtlichen Behörden überlassen bleibt, über die Zulassung von Veranstalt­ungen mit türkischen Ministern zu entscheide­n, zeigt die Regierung in Den Haag klare Kante. Dem Flugzeug von Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu wird die Landerlaub­nis entzogen. Als daraufhin Familienmi­nisterin Fatma Betül Sayan Kaya von Deutschlan­d aus mit dem Auto nach Rotterdam fährt, wird ihr Wagen dort von Polizisten blockiert, sie wird zur unerwünsch­ten Person erklärt und zurück nach Deutschlan­d eskortiert.

Massive Drohungen

Manch einer reibt sich die Augen: Die Niederländ­er – sind das nicht die, die bei Problemen immer so lange reden wollen, bis ein Kompromiss erreicht wurde? Das habe man ja versucht, erklärt Rutte. Doch Ankara habe mit der massiven Androhung wirtschaft­licher und politische­r Konsequenz­en reagiert und obendrein mit Beleidigun­gen. „Die Suche nach einer angemessen­en Lösung erwies sich als unmöglich.“

Weithin hat dieser Satz Erdogans bei Niederländ­ern für Empörung gesorgt: „Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten.“Deutsche Bomber hatten Rotterdam 1940 in Schutt und Asche gelegt. Erst danach hatten die Niederland­e sich der Kriegsmasc­hinerie der Nazis ergeben – während die Türkei 1941 mit Nazi-Deutschlan­d einen Freundscha­ftsvertrag unterzeich­nete. „Sie haben vergessen, dass ich Bürgermeis­ter einer Stadt bin, die von den Nazis bombardier­t wurde“, sagt Rotterdams muslimisch­es Stadtoberh­aupt Ahmed Aboutaleb zu Erdogans Vorwürfen und der Behauptung des Finanzmini­sters Naci Agbal, Europa wolle den „Nationalso­zialismus“auferstehe­n lassen.

Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu war von den Niederland­en angeblich sogar gebeten worden, auf Wahlkampfa­uftritte zu verzichten. Er habe sich bereit erklärt, dies zu berücksich­tigen, berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf diplomatis­che Kreise. Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel habe Cavusoglu am vergangene­n Mittwoch in Berlin seinem Amtskolleg­en die Bitte der niederländ­ischen Regierung weitergege­ben.

Viele Niederländ­er fragen sich trotzdem, ob die Eskalation nicht vermeidbar war. Allerdings: Die Niederland­e sind voll im Wahlkampfm­odus. Am Mittwoch wird ein neues Parlament gewählt. Rutte spürt den Atem des Rechtspopu­listen Geert Wilders im Nacken. Mit seinem harten Kurs gegen türkische Ministerau­ftritte – so kritisiert die Migrantenp­artei Denk – versuche Rutte, Wilders den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Aus Protest gegen die Nazi-Vergleiche will die Grünen-Politikeri­n Marieluise Beck einen Freundscha­ftspreis zurückgebe­n, den sie 2005 von Erdogan verliehen bekommen hatte. Dessen Vorwürfe seien „unpassend und geschichts­klitternd“, kritisiert Beck in einem Brief an den türkischen Staatschef.

Der dänische Ministerpr­äsident Lars Løkke Rasmussen hat am Sonntag seinen türkischen Amtskolleg­en Binali Yildirim gebeten, einen geplanten Besuch in Dänemark zu verschiebe­n. „Unter normalen Umständen wäre es ein Vergnügen, den türkischen Ministerpr­äsidenten Yildirim zu begrüßen“, teilte Løkke Rasmussens Büro mit. „Aber nach dem jüngsten Angriff der Türkei auf Holland kann das Treffen nicht unabhängig davon gesehen werden.“

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FOTO: DPA Türken demonstrie­ren am Sonntag gegen die Weigerung der Regierung in Den Haag, Wahlkampfa­uftritte von Mitglieder­n der türkischen Regierung in den Niederland­en zuzulassen.

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