Europa im Weltraum vereint
Mit Coperincus und Galileo will ESA die Amerikaner überholen – Airbus bleibt im Geschäft
IMMENSTAAD - Wenn es nach Dieter Wörner, dem deutschen Direktor der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, geht, ist Europa als Gemeinschaft auf einen guten Weg – im All. Beim Start des Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2B in Kourou (die LZ berichtete am 8. März auf der Panorama-Seite) prägte er angelehnt an die United States of America den Begriff des United Space of Europe. Die Vereinigten Staaten von Europa vom Weltraum auf die Erde herunterzuholen, legt er in dieser Nacht im französischen Departement in der fernen Karibik den Politikern indirekt ans Herz.
Satelliten und Sonden von der Erde ins All zu schicken, klappt in Europa derzeit allemal besser als die politische Idee eines Vereinten Europas von den himmlischen Sphären ins irdische Diesseits zu holen. 22 EU-Mitgliedstaaten der ESA plus Norwegen und Schweiz machen es seit 1975 vor, wie es gehen kann. Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen Tschechen, Rumänen, ja sogar Engländer ziehen in der ESA an einem Strang. Sie haben in den mehr als 40 Jahren Europa im All präsent und groß gemacht. Wenn man andere Töpfe der EU in Betracht zieht, erscheint das ESA-Budget von 4,4 Milliarden Euro (im Jahr 2015) vergleichsweise bescheiden.
Nach Angaben von Raumfahrtexperten ist Europa auf dem Weg, in Sachen Erdbeobachtung aus dem All weltweit eine Führungsrolle einzunehmen. Das neueste Programm dafür nennt sich „Copernicus“, benannt nach dem großen Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1513), der als erster das heliozentrische Weltbild unseres Sonnensystems beschrieb. Während die Europäische Umweltagentur EEA für die boden- und luftgestützte Sensorik zuständig ist, koordiniert die ESA die Weltraumkomponete mit bis zu 60 Satelliten.
Einer davon ist Sentinel-2B, der mit Sentinel-2A (seit 23. Juni 2015 im All) die kommenden siebeneinhalb Jahre die Erde mit einer Mulitspektralkamera vermisst. Alle fünf Tage erfassen die Sentinel-2-Satelliten die gesamte Landmasse, und zwar in einer Auflösung von bis zu zehn Meter.
Robust und präzise
Technologisch sind die Satelliten höchst anspruchsvolle Geräte, Einzelanfertigungen, die es so kein zweites Mal gibt. Sie müssen so robust sein, sodass sie den hohen Schalldruck und die Vibrationen beim Start ebenso heil überstehen wie Vakuum und ungefilterte Sonneneinstrahlung. Und sie müssen auf Anhieb funktionieren. Die Möglichkeit, im All eine Komponente zu reparieren oder auszutauschen, gibt es nicht beziehungsweise sie wäre viel zu aufwendig. Die Ingenieure bei Airbus und den mehr als 40 Unternehmen aus ganz Europa dürfen keine Fehler machen. Da aber niemand unfehlbar ist, funktioniert so etwas nur im Team. An der Entwicklung und am Bau des 1,1 Tonnen leichten Sentinel-2B haben rund 1000 Spezialisten bei Airbus gearbeitet.
Gunn Schweickert leitet das Team
Eine davon ist Gunn Schweikert von Airbus in Immenstaad. Die Mathematik-Ingenieurin übernahm 2015 die Projektleitung von Sentinel-2B von Heinz Sonntag, der jetzt das optische Instrument für den neuen Wettersatelliten Metop betreut. Schweickert ist die erste Frau in dem Unternehmen, die ein solches Großprojekt leitet. Sie wird auch die Nachfolgemissionen Sentinel-2C und 2D federführend betreuen. Den Auftrag dafür hat das Luft- und Raumfahrtunternehmen bereits in der Tasche. Mit einem Volumen von 285 Millionen Euro sind die Sentinel-2 der zweiten Generation um 75 Millionen Euro günstiger. Die Herausforderungen sind gleich hoch.
Schweickerts Team besteht aus 40 bis 60 Leuten, darunter zehn Frauen. Als sie 1988 noch unter dem von Daimler geführten Luft-und Raumfahrtunternehmen DASA in Immenstaad angefangen habe, sei sie als Frau noch eine Exotin gewesen, sagt Schweickert. Heute habe sie immerhin rund zehn Prozent Frauen in ihrem Team. Tendenz steigend. Mit Sentinel-2 beschäftigt sie sich seit 2009. Die Ingenieurin leitete auch die Testkampange für Sentinel-2A.
Was sie an dem Satelliten so fasziniere, seien die Anwendungen. Wenn man bedenke, dass die Kamera aus 786 Kilometer den Chlorophyll-Gehalt von Pflanzen messen könne, sei das schon erstaunlich. Damit könne man das Wachstum vorhersagen und entsprechend steuern. Die Anforderungen an die Stabilität der Struktur und die Flugeigenschaften, seien angesichts der empfindlichen Optik der Kamera und der geforderten Präzision der Aufnahmen hoch. Die genaue Navigation und Lageregelung des Satelliten im All stellen drei Sternsensoren sowie ein GPS (Global Positioning System) sicher. Die Sentinel-Satelliten funktionieren als eine der ersten auch mit dem europäischen Navigationssystem Galileo, das noch präziser sei soll als das amerikanische GPS. 18 Galileo-Satelliten sind mittlerweile im All, bis 2020 sollen es 30 sein. Europa kann dann mit Galileo unabhängig von Amerika navigieren, und mit Copernicus baut die EU ein Umweltmanagement auf, das weltweit führend sein wird.
Drei Startrampen in Kourou
Neben den öffentlich geförderten Programmen der ESA und den Satelliten bilden die dritte und nicht unwichtigste Komponente in der Raumfahrt die Launcher. Während in Amerika findige Unternehmer wie Elon Musk eigene Raketen entwickeln, setzt Europa auf das Ariane-Programm und auf russische Raketen wie die Sojus. Auf dem Weltraumbahnhof in Kourou stehen heute drei Startrampen: Die größte ist für die Ariane 5, die bis zu zehn Tonnen ins All befördern kann. Zusammen mit der russischen Ramfahrtbehörde Rockot betreibt ESA seit dem Jahr 2009 eine Startrampe für Sojus-Raketen, die bis zu drei Tonnen schwere Satelliten befördern können. Für Satelliten bis 1,2 Tonnen wird in Kourou die Vega eingesetzt. Es handelt sich dabei um eine europäische Entwicklung, die seit ihrem Erstflug 2012 neun Starts erfolgreich absolvierte, unter anderem den von Sentinel-2B.
Von der größten und mit 650 Millionen Euro wohl teuersten Startrampe ist derzeit nur ein 28 Meter tiefes Loch zu sehen. Die Arbeiten sollen 2019 abgeschlossen sein. 2020 könnte dann die erste Ariane 6 abheben. Diese ist mit Komponenten der Vega ausgestattet und für Nutzlasten zwischen fünf und zehn Tonnen ausgelegt. Die Startkosten pro Kilo sollen um die Hälfte günstiger sein als bei Ariane 5.
Raumfahrt als Big Business
Womit wir beim Geschäft wären. Raumfahrt wird kommerzieller. Arianespace, ein Unternehmen von Airbus Safran Launchers, hat von Kouro aus bis dato mehr als 550 Satelliten ins All befördert, darunter waren mehr als die Hälfte in den vergangenen zwei Jahren kommerzielle Satelliten. Inzwischen hebt vom europäischen Weltraumbahnhof jeden Monat eine Rakete ab. Meist hat sie an ihrer Spitze Telekommunikationssatelliten, die den wachsenden weltweiten Daten-, TV- und Kommunikationsverkehr bedienen.
Selbst der Erdbeobachtungssatelliten kommen inzwischen nicht mehr ohne Datenautobahn im All aus. Die auch von Airbus gebaute Relaistation EDRS (European Data Relay System) – untergebracht in einem geostationären Satelliten – wird erstmal bei der Sentinel-Familie eingesetzt und sorgt dafür, dass die riesigen Datenmengen zuverlässig und schnell an die Bodenstationen übertragen werden.