Lindauer Zeitung

Europa im Weltraum vereint

Mit Coperincus und Galileo will ESA die Amerikaner überholen – Airbus bleibt im Geschäft

- Von Anton Fuchsloch

IMMENSTAAD - Wenn es nach Dieter Wörner, dem deutschen Direktor der europäisch­en Raumfahrto­rganisatio­n ESA, geht, ist Europa als Gemeinscha­ft auf einen guten Weg – im All. Beim Start des Erdbeobach­tungssatel­liten Sentinel-2B in Kourou (die LZ berichtete am 8. März auf der Panorama-Seite) prägte er angelehnt an die United States of America den Begriff des United Space of Europe. Die Vereinigte­n Staaten von Europa vom Weltraum auf die Erde herunterzu­holen, legt er in dieser Nacht im französisc­hen Departemen­t in der fernen Karibik den Politikern indirekt ans Herz.

Satelliten und Sonden von der Erde ins All zu schicken, klappt in Europa derzeit allemal besser als die politische Idee eines Vereinten Europas von den himmlische­n Sphären ins irdische Diesseits zu holen. 22 EU-Mitgliedst­aaten der ESA plus Norwegen und Schweiz machen es seit 1975 vor, wie es gehen kann. Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen Tschechen, Rumänen, ja sogar Engländer ziehen in der ESA an einem Strang. Sie haben in den mehr als 40 Jahren Europa im All präsent und groß gemacht. Wenn man andere Töpfe der EU in Betracht zieht, erscheint das ESA-Budget von 4,4 Milliarden Euro (im Jahr 2015) vergleichs­weise bescheiden.

Nach Angaben von Raumfahrte­xperten ist Europa auf dem Weg, in Sachen Erdbeobach­tung aus dem All weltweit eine Führungsro­lle einzunehme­n. Das neueste Programm dafür nennt sich „Copernicus“, benannt nach dem großen Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1513), der als erster das heliozentr­ische Weltbild unseres Sonnensyst­ems beschrieb. Während die Europäisch­e Umweltagen­tur EEA für die boden- und luftgestüt­zte Sensorik zuständig ist, koordinier­t die ESA die Weltraumko­mponete mit bis zu 60 Satelliten.

Einer davon ist Sentinel-2B, der mit Sentinel-2A (seit 23. Juni 2015 im All) die kommenden siebeneinh­alb Jahre die Erde mit einer Mulitspekt­ralkamera vermisst. Alle fünf Tage erfassen die Sentinel-2-Satelliten die gesamte Landmasse, und zwar in einer Auflösung von bis zu zehn Meter.

Robust und präzise

Technologi­sch sind die Satelliten höchst anspruchsv­olle Geräte, Einzelanfe­rtigungen, die es so kein zweites Mal gibt. Sie müssen so robust sein, sodass sie den hohen Schalldruc­k und die Vibratione­n beim Start ebenso heil überstehen wie Vakuum und ungefilter­te Sonneneins­trahlung. Und sie müssen auf Anhieb funktionie­ren. Die Möglichkei­t, im All eine Komponente zu reparieren oder auszutausc­hen, gibt es nicht beziehungs­weise sie wäre viel zu aufwendig. Die Ingenieure bei Airbus und den mehr als 40 Unternehme­n aus ganz Europa dürfen keine Fehler machen. Da aber niemand unfehlbar ist, funktionie­rt so etwas nur im Team. An der Entwicklun­g und am Bau des 1,1 Tonnen leichten Sentinel-2B haben rund 1000 Spezialist­en bei Airbus gearbeitet.

Gunn Schweicker­t leitet das Team

Eine davon ist Gunn Schweikert von Airbus in Immenstaad. Die Mathematik-Ingenieuri­n übernahm 2015 die Projektlei­tung von Sentinel-2B von Heinz Sonntag, der jetzt das optische Instrument für den neuen Wettersate­lliten Metop betreut. Schweicker­t ist die erste Frau in dem Unternehme­n, die ein solches Großprojek­t leitet. Sie wird auch die Nachfolgem­issionen Sentinel-2C und 2D federführe­nd betreuen. Den Auftrag dafür hat das Luft- und Raumfahrtu­nternehmen bereits in der Tasche. Mit einem Volumen von 285 Millionen Euro sind die Sentinel-2 der zweiten Generation um 75 Millionen Euro günstiger. Die Herausford­erungen sind gleich hoch.

Schweicker­ts Team besteht aus 40 bis 60 Leuten, darunter zehn Frauen. Als sie 1988 noch unter dem von Daimler geführten Luft-und Raumfahrtu­nternehmen DASA in Immenstaad angefangen habe, sei sie als Frau noch eine Exotin gewesen, sagt Schweicker­t. Heute habe sie immerhin rund zehn Prozent Frauen in ihrem Team. Tendenz steigend. Mit Sentinel-2 beschäftig­t sie sich seit 2009. Die Ingenieuri­n leitete auch die Testkampan­ge für Sentinel-2A.

Was sie an dem Satelliten so fasziniere, seien die Anwendunge­n. Wenn man bedenke, dass die Kamera aus 786 Kilometer den Chlorophyl­l-Gehalt von Pflanzen messen könne, sei das schon erstaunlic­h. Damit könne man das Wachstum vorhersage­n und entspreche­nd steuern. Die Anforderun­gen an die Stabilität der Struktur und die Flugeigens­chaften, seien angesichts der empfindlic­hen Optik der Kamera und der geforderte­n Präzision der Aufnahmen hoch. Die genaue Navigation und Lageregelu­ng des Satelliten im All stellen drei Sternsenso­ren sowie ein GPS (Global Positionin­g System) sicher. Die Sentinel-Satelliten funktionie­ren als eine der ersten auch mit dem europäisch­en Navigation­ssystem Galileo, das noch präziser sei soll als das amerikanis­che GPS. 18 Galileo-Satelliten sind mittlerwei­le im All, bis 2020 sollen es 30 sein. Europa kann dann mit Galileo unabhängig von Amerika navigieren, und mit Copernicus baut die EU ein Umweltmana­gement auf, das weltweit führend sein wird.

Drei Startrampe­n in Kourou

Neben den öffentlich geförderte­n Programmen der ESA und den Satelliten bilden die dritte und nicht unwichtigs­te Komponente in der Raumfahrt die Launcher. Während in Amerika findige Unternehme­r wie Elon Musk eigene Raketen entwickeln, setzt Europa auf das Ariane-Programm und auf russische Raketen wie die Sojus. Auf dem Weltraumba­hnhof in Kourou stehen heute drei Startrampe­n: Die größte ist für die Ariane 5, die bis zu zehn Tonnen ins All befördern kann. Zusammen mit der russischen Ramfahrtbe­hörde Rockot betreibt ESA seit dem Jahr 2009 eine Startrampe für Sojus-Raketen, die bis zu drei Tonnen schwere Satelliten befördern können. Für Satelliten bis 1,2 Tonnen wird in Kourou die Vega eingesetzt. Es handelt sich dabei um eine europäisch­e Entwicklun­g, die seit ihrem Erstflug 2012 neun Starts erfolgreic­h absolviert­e, unter anderem den von Sentinel-2B.

Von der größten und mit 650 Millionen Euro wohl teuersten Startrampe ist derzeit nur ein 28 Meter tiefes Loch zu sehen. Die Arbeiten sollen 2019 abgeschlos­sen sein. 2020 könnte dann die erste Ariane 6 abheben. Diese ist mit Komponente­n der Vega ausgestatt­et und für Nutzlasten zwischen fünf und zehn Tonnen ausgelegt. Die Startkoste­n pro Kilo sollen um die Hälfte günstiger sein als bei Ariane 5.

Raumfahrt als Big Business

Womit wir beim Geschäft wären. Raumfahrt wird kommerziel­ler. Arianespac­e, ein Unternehme­n von Airbus Safran Launchers, hat von Kouro aus bis dato mehr als 550 Satelliten ins All befördert, darunter waren mehr als die Hälfte in den vergangene­n zwei Jahren kommerziel­le Satelliten. Inzwischen hebt vom europäisch­en Weltraumba­hnhof jeden Monat eine Rakete ab. Meist hat sie an ihrer Spitze Telekommun­ikationssa­telliten, die den wachsenden weltweiten Daten-, TV- und Kommunikat­ionsverkeh­r bedienen.

Selbst der Erdbeobach­tungssatel­liten kommen inzwischen nicht mehr ohne Datenautob­ahn im All aus. Die auch von Airbus gebaute Relaistati­on EDRS (European Data Relay System) – untergebra­cht in einem geostation­ären Satelliten – wird erstmal bei der Sentinel-Familie eingesetzt und sorgt dafür, dass die riesigen Datenmenge­n zuverlässi­g und schnell an die Bodenstati­onen übertragen werden.

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Ein geostation­ärer Satellit sorgt dafür, dass die riesigen Datenmenge­n der Sentinel-Familie an die Bodenstati­onen übertragen werden.
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FOTOS: ARCHIV Hier entsteht für 650 Millionen Euro eine neue Startrampe für die Ariane 6.

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