Lindauer Zeitung

Die spätzlesch­abende Oberschles­ierin

Charlotte Schroth feiert ihren 95. Geburtstag

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LINDAU (cf) - Eigentlich hat Bürgermeis­ter Karl Schober irgendwo in der Wohnung hinter der älteren Dame, die ihm die Tür öffnete, das Geburtstag­skind vermutet und gesucht. Denn die Frau, die da vor ihm stand, hätte er nie auf 95 geschätzt. Doch Charlotte Schroth konnte ihn davon überzeugen, dass sie die richtige Empfängeri­n seines Blumenstra­ußes sei.

Schlagfert­ig und humorvoll präsentier­te sich die rüstige Charlotte dem Vertreter der Stadt, die gleich einen weiteren Stuhl heranschaf­ft, damit alle sitzen können. Die gebürtige Oberschles­ierin wuchs im niederschl­esischen Goldberg auf, wo ihre Eltern eine Schreinere­i betrieben. Nach der Vertreibun­g Ende des Zweiten Weltkriege­s landete sie im Schwarzwal­d, in der Nähe Pforzheims, von wo ihr Mann stammte. Ende 1999, also nach dem Jahrhunder­thochwasse­r in Lindau, zog sie hierher, nachdem ihr Mann, ein ehemaliger Berufssold­at, verstorben war und ihr Sohn Lothar seine Heimat bereits hier am Bodensee gefunden hatte.

Charlotte Schroth versorgt sich noch komplett selbst

Das Geburtstag­skind versorgt sich noch komplett selbst, sie kocht jeden Tag. Es gibt sicher nicht viele Oberschles­ierinnen, die das Schaben der Spätzle vom Holzbrett beherrsche­n, dort kannte man Spätzle ja gar nicht, „da gab es nur Klöße und Kartoffeln“, so die Jubilarin. Charlotte hat das im Schwarzwal­d gelernt und macht so noch immer ihre Spätzle. „Ich habe zwar alle möglichen Hilfsgerät­e, aber die brauche ich nicht“, meint sie bescheiden. Auch ihre Nudeln macht sie selbst, was auch nicht viele können und machen wollen. „Gut essen und trinken tut gut“, ist ihr Rezept.

Es versteht sich ja fast von selbst, dass Charlotte auch ihre Einkäufe selbst erledigt. „Der Bus hält ja quasi vor der Tür, und in Aeschach muss ich auch nicht weit gehen, um meine sieben Sachen zu kaufen“, erzählt sie, vom Stadtbus begeistert.

So habe sie immer etwas zu tun, nach dem Essen beispielsw­eise eine Runde Spaziergan­g, das hält sie offenbar fit. Im Haus, in dem sie wohnt, hat sie zwar wenig Anschluss, aber dafür kommen jede Menge Gäste zu ihr, auch so wird es ihr nicht langweilig.

Und da sind die regelmäßig­en Besuche beim Friseur, wo sie gerne als Versuchska­ninchen für die Auszubilde­nden ihr Haupt hinhält. Vertrauen in die Jungen hat sie, denn ihr Sohn, Friseurmei­ster in Schachen, wacht ja darüber, dass nichts passiert.

„Auf die Insel brauche ich nicht“, erklärt sie Karl Schober und auf den Einwand des Sohnes, von dort die Aussicht auf die Berge genießen zu können, meint sie lapidar: „Die sehe ich hier vom Balkon aus auch“.

Fast enttäuscht verabschie­det sie sich schließlic­h von Karl Schober, denn der hat sein Wiederkomm­en erst in fünf Jahren angekündig­t. „Wer weiß, ob ich da noch lebe“, meint sie scherzend. Die Voraussetz­ungen dafür sind aber günstig.

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