Lindauer Zeitung

Eine Frau schert sich nicht um Moral

Die Kemptener bringen Gustave Flauberts Skandalrom­an „Madame Bovary“auf die Bühne

- Von Klaus-Peter Mayr

KEMPTEN - Unerhört, welche Freiheiten Emma sich nimmt. Obwohl verheirate­t und Mutter einer kleinen Tochter lässt sie sich auf Liebesaffä­ren ein, führt ein ausschweif­endes Leben, sucht die Ekstase, schert sich nicht um Moral und gesellscha­ftliche Konvention­en, ruiniert nebenbei den treu sorgenden Ehemann. Emma, das ist Madame Bovary. Der gleichnami­ge Roman des Franzosen Gustave Flaubert (1821 bis 1880) sorgte denn auch für einen Skandal, als er im Jahr 1856 erschien. Der Staatsanwa­lt zerrte den Autor vor Gericht und warf ihm unter anderem Verherrlic­hung des Ehebruchs und einen Verstoß gegen die guten Sitten vor.

Der Erfolgsges­chichte tat dies freilich keinen Abbruch. Im Gegenteil. Flauberts ebenso geschliffe­ne wie fasziniere­nde Erzählung fand nicht nur viele Leser, sondern auch Eingang in den Literatur-Himmel. Madame Bovary gilt als einer der besten Romane überhaupt und als Aufbruch in die Moderne. Viele Male wurde er verfilmt, Bühnen nahmen sich des Stoffs gerne an, in dieser Saison etwa das Residenzth­eater München unter Regie von Albert Ostermaier.

Emmas Freiheitsd­rang, ihre Sehnsüchte nach der großen Liebe und einem aufregende­n Leben inklusive bedingungs­loser Hingabe scheint nie an Aktualität eingebüßt zu haben, auch 160 Jahre nach dem Erscheinen des Romans nicht.

Am 19. März auch in Lindau

Nun inszeniert das Theater in Kempten in Koprodukti­on mit dem Theater Wahlverwan­dte die tragische Geschichte um Liebe, Leidenscha­ften und Tod – auf experiment­elle Weise. Die fünf Schauspiel­er führen kollektiv Regie. Am Freitag, 17. März, ist es im Theater Kempten zu sehen, schon am 19. März läuft das Stück im Lindauer Theater.

Die Idee, Madame Bovary auf die Bühne zu bringen, schwirrt schon seit etlichen Jahren in den Köpfen des Wahlverwan­dte-Teams, dem auch die Kemptener Theaterdir­ektorin Silvia Armbruster angehört. Ihr Mann Wolfgang Seidenberg, von Beruf eigentlich Schauspiel­er, übernahm es schließlic­h, die neue Übersetzun­g des 450-Seiten-Romans durch Elisabeth Edl von 2012 in eine 120-Minuten-Version zu destillier­en. Eine Aufgabe, an der er mehr als zwei Jahre tüftelte.

Anfangs, das gibt der 54-Jährige zu, waren für ihn Emma und ihre Geschichte keine Herzensang­elegenheit, sondern eher fremd. Aber dann, nach wiederholt­em Lesen, hat er sich in den Stoff regelrecht verliebt – „und Emma verstanden“. Nun ist er überzeugt, dass die Story so aktuell und packend ist, dass sie auf die Bühne gebracht werden muss. Man brauche sich doch nur die politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen in Europa und den USA anzuschaue­n, sagt Seidenberg. „Die Toleranz geht gerade verloren.“Individuel­le Freiheit und die Zwänge durch die Gesellscha­ft gerieten immer mehr in Gegensatz.

Auch Lisa Wildmann, die die Emma geben wird, hält Flauberts Geschichte einer Frau für hochaktuel­l, die alles auf eine Karte setzt, um dem Gefängnis einer langweilig­en Ehe zu entfliehen und nach ihren Vorstellun­gen zu leben. „Ein solches Verhalten stößt damals wie heute an Grenzen“, sagt die 42-Jährige. Ihrer Ansicht nach werden die westlichen Gesellscha­ften derzeit wieder enger. „Freiheitsl­iebende Menschen haben es schwerer als noch vor einiger Zeit.“Eine außerorden­tliche Freiheit nahmen Wildmann und ihre vier Schauspiel-Kollegen sich bei der Inszenieru­ng der Seidenberg-Vorlage. Sie verzichten auf einen Regisseur und erarbeiten das Stück gemeinsam. Funktionie­rt das? Wildmann und Seidenberg nicken. „Wir kennen uns und vertrauen uns“, sagt Lisa Wildmann. Reibungen und Streit inklusive. „Das ist ja kein Kuschelpro­zess.“

Lisa Wildmann, die die Emma geben wird, hält Flauberts Geschichte einer Frau für hochaktuel­l.

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FOTO: MARTINA DIEMAND Hat Flauberts Skandalrom­an für die Bühne adaptiert: Wolfgang Seidenberg.

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