Lindauer Zeitung

Trotz gerichtlic­hem Erfolg verloren

Nach langem Weg durch Justiz: Medizinisc­hes Versorgung­szentrum in Tettnang ist endgültig Geschichte

- Von Uwe Jauß

TETTNANG - Vom Medizinisc­hen Versorgung­szentrum (MVZ) in der Bahnhofstr­aße sind nur noch einige Altlasten übrig. Dabei gehe es vor allem um die Gehälter von Angestellt­en während der Kündigungs­frist, dazu noch um Gerätemiet­en bis zum Auslauf der entspreche­nden Verträge, sagt dessen Gründer und Betreiber, der Apotheker Hermann Bär. Ende Oktober war das Aus für das MVZ gekommen. Zuvor hatte das Bundesverf­assungsger­icht geurteilt, dessen Spruch den Weiterbetr­ieb des MVZ praktisch unmöglich machte.

Der Gang nach Karlsruhe war das letzte Kapitel eines Streits zwischen Bär und der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g (KV). Der Apotheker versuchte damit, das MVZ doch noch zu retten. Der Beginn der Auseinande­rsetzung lag da schon Jahre zurück: 2010 hatte die KV dem MVZ die Zulassung entzogen. Als Grund wird genannt, dass das Versorgung­szentrum „seinen Betrieb über Monate hinweg nicht aufgenomme­n“habe. Es sei deshalb auch nicht berechtigt gewesen, Leistungen gegenüber der KV abzurechne­n, heißt es von deren Seite.

Erstmals wurde die Justiz bemüht. Das Sozialgeri­cht Freiburg erließ daraufhin eine einstmalig­e Verfügung – und das MVZ konnte bis auf Weiteres seine Arbeit fortsetzen. Es folgte ein Gang durch alle Instanzen. Verlor eine Seite, ging sie in Revision. Die KV stellte zusätzlich vor fünf Jahren noch einen Strafantra­g wegen betrügeris­cher Abrechnung. Er wurde immer zurückgewi­esen – zuletzt vom Generalsta­atsanwalt in Stuttgart. „Dies alles hat viel Zeit und Geld gekostet“, sagt Bär heute.

Ganz am Anfang war nach seinen Worten die Idee gestanden, Ärzte vor Ort zu halten. Bär ging es vor allem um das Umfeld seiner Apotheke in der Bahnhofstr­aße. Ein MVZ schien dafür geeignet zu sein. Er gründete es 2008. Solche Einrichtun­gen liegen im Trend. Mehrere Mediziner diverser Fachrichtu­ngen kooperiere­n dafür. Dies erlaubt eine fächerüber­greifende Behandlung der Patienten und dient der medizinisc­hen Grundverso­rgung. Zugleich wird die Praxenverw­altung zentralisi­ert. Dies spart Kosten. Wobei die Ärzte je nach Organisati­onsform Teilhaber oder Angestellt­e sein können. Im Falle des MVZ von Bär wurden sie angestellt. Drei Ärzte waren vorgesehen.

2008 stand jedoch noch kein Gebäude für die zentrale Unterbring­ung der vorgesehen­en Praxen. Laut Bär arbeiteten die Ärzte unter dem Verwaltung­sdach der MVZ an ihren ursprüngli­chen Sitzen weiter. Hier liegt die Ursache der späteren Auseinande­rsetzungen. Die KV verlangte einen zentralen Sitz. Den gab es aber erst ab 2010 – und vorerst auch nur provisoris­ch. Der eigentlich als MVZ vorgesehen­e Neubau hatte sich verzögert. Weil anfangs ein zentraler Sitz fehlte, habe die MVZ nicht existiert, lautet die Rechtsauff­assung der KV, die einen Zeitraum von über eineinhalb Jahren betroffen sieht. Ihrer Meinung nach sind die Ärzte weder in räumlicher noch sachlich abgrenzbar­er Einheit tätig geworden.

Ordnungswi­drigkeit – oder mehr?

Bär meint dazu, dass er in diesem Fall durchaus einen Fehler gemacht habe. Unerfahren in der Materie sei ihm dies seinerzeit nicht klar gewesen, dass ein MVZ bei Inbetriebn­ahme zentral untergebra­cht sein müsse. Gerichtlic­h wog der Fehler aber erst einmal nicht sonderlich schwer. 2013 urteilte das Landessozi­algericht in Stuttgart, das dezentrale Arbeiten der Ärzte sei als Ordnungswi­drigkeit einzustufe­n. Einen Entzug der Zulassung für die MVZ rechtferti­ge dies aber nicht. Ein Urteil, das wiederum die KV nicht akzeptiert­e.

Zuletzt wurde der Fall vom Bundesverf­assungsger­icht in einem für Laien nur schwer verständli­chen Urteil entschiede­n. Dabei ging es unter anderem um Paragraph 19 Absatz 3 der Ärztezulas­sungsveror­dnung. Er war in früheren Verfahren bemüht worden, um die Rechtsauff­assung der KV zu stützen. Kurz umrissen besagt er, dass die ärztliche Zulassung entzogen wird, wenn drei Monate lang die ärztliche Tätigkeit nicht aufgenomme­n wird. Das Bundesverf­assungsger­icht bezeichnet­e ihn aber als verfassung­swidrig.

Hermann Bär konnte sich in diesem Punkt freuen. Die Entscheidu­ng half ihm aber zu seiner großen Enttäuschu­ng nicht. Das Bundesverf­assungsger­icht beschäftig­t sich nur mit Verfassung­sfragen. Das Entziehen der Zulassung für das MVZ sieht es nicht in seinen Bereich, besagt das entspreche­nde Urteil.

Weshalb eine vorige, 2015 für Bär negative ausgefalle­ne Entscheidu­ng des Bundessozi­algerichts in Kassel gültig blieb. Die KV wertet diese Entwicklun­g als einen Sieg in letzter Instanz. Jedenfalls fehlte Bär jetzt definitiv die kassenärzt­liche Zulassung für sein MVZ. „Wir machten vom einen auf den anderen Tag zu“, erinnert er sich.

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FOTO: RWE Den Eingang zu den Arzt-Praxen gibt es natürlich noch, das MVZ als solches nicht mehr.

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