Lindauer Zeitung

Merkel ist eben nicht May

- Von Christoph Plate c.plate@schwaebisc­he.de

Dass es besser sei, miteinande­r zu reden als übereinand­er, hat die Bundeskanz­lerin vor ihrer Reise nach Washington gesagt. Wie anders das klingt als das mädchenhaf­te Gehabe der britischen Regierungs­chefin Theresa May, die sich Tage nach der Amtseinfüh­rung von Donald Trump an der Hand durch das Weiße Haus hatte führen lassen. Die Bundeskanz­lerin hat in Washington demonstrie­rt, dass sie auch die mächtigste­n Männer auf Abstand zu halten in der Lage ist.

Wladimir Putin mag hinter verschloss­enen Kreml-Türen über sie spotten, er hört der Bundeskanz­lerin immerhin zu. Italiens damaliger Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi hat erfahren müssen, dass Angela Merkels Beharrlich­keit stärker wiegt als irgendwelc­he Kaspereien. Selbst George W. Bush hat 2006 bei einem G-8Gipfel in Sankt Petersburg Merkels freundlich­e Bestimmthe­it kennengele­rnt: Als er vor laufenden Kameras die Schultern der sitzenden Merkel massierte, stand er da wie ein kleiner Junge, der beim Übergriff auf die Klassenspr­echerin ertappt wurde.

Solche Stimmungen und Äußerlichk­eiten sind auch in der Politik sehr oft bedeutsame­r als die Fernsehbil­der glauben machen. Ob die Chemie zwischen zwei Menschen stimmt, kann auf Ebene der Regierungs­chefs über Börsenkurs­e, gemeinsame Ziele oder zukünftige Feindschaf­ten entscheide­n. Die Bundeskanz­lerin wird sich darum sehr genau beraten und überlegt haben, wie sie mit einem Präsidente­n umgeht, dessen verbale Übergriffi­gkeit sie schnell in Verlegenhe­it bringen und die transatlan­tischen Beziehunge­n gefährden könnte.

Trotz aller Unkenrufe nach der Wahl Trumps wird das transatlan­tische Verhältnis weiterbest­ehen, nicht zuletzt, weil Merkel auch gegenüber Trump nicht von ihrer Verbindlic­hkeit abzurücken bereit ist. Die Beharrlich­keit und Authentizi­tät einer Politik der ruhigen Hand erweist sich als dauerhafte­r als großmaulig­e Sprunghaft­igkeit. Wenn Donald Trump das – zumindest unterbewus­st – verstanden haben sollte, hat sich Merkels Reise über den Großen Teich gelohnt.

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