Lindauer Zeitung

Die Gesundheit­sserie Ihrer Zeitung

Die Gesundheit­sexpertin und Ärztin Dr. Marianne Koch zur Frage, wie man Körper und Geist gesund erhält

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Gesundheit, der Volksmund sagt es, ist bekanntlic­h das Wichtigste. Deswegen startet in der „Schwäbisch­en Zeitung“an diesem Wochenende die große Serie „Leib und Seele“. Den Auftakt der 21 Teile macht ein Interview mit Expertin Marianne Koch. Einst war die gebürtige Münchnerin ein gefeierter Filmstar, dann gehörte sie zum Rateteam bei „Was bin ich?“und wurde Ärztin. In den kommenden Wochen wird die Serie fortgesetz­t – im Mittelpunk­t steht dann zunächst der Kampf gegen die weitverbre­itete Fettleibig­keit, danach folgen Themen wie Alzheimer und Demenz, Viren und Keime oder auch Diabetes.

MÜNCHEN - Gesundheit bis ins hohe Alter – das wünschen sich die meisten Menschen, aber viele tun zu wenig dafür. Die Gesundheit­sexpertin Dr. med. Marianne Koch erklärt, warum körperlich­e und geistige Fitness, die Ernährung und ein Blick in die eigene Familie so wichtig sind. „Gesundheit ist eine Mischung zwischen Gnade und Wissen, auch Konsequenz“, sagt Marianne Koch im Interview mit Claudia Kling. Und sie empfiehlt, zu einem Arzt zu gehen, der bereit ist, zuzuhören und über die Probleme des Patienten zu sprechen.

Frau Koch, was haben Sie heute schon für Ihre Gesundheit getan?

Ich fürchte, nicht sehr viel. Ich habe mich heiß und kalt geduscht, immerhin, das ist eine Anregung fürs Immunsyste­m. Und ich habe grünen Tee getrunken. Dazu, was ich sonst täglich mache, nämlich mit meinem Hund spazieren zu gehen und mediterran zu kochen, bin ich heute noch nicht gekommen. Das hole ich heute Abend nach.

Haben Sie sich selbst tägliche Gesundheit­spflichten auferlegt?

Nein, überhaupt nicht. Ich halte mich im Prinzip an die Dinge, die ich auch anderen Menschen empfehle und die auch machbar sind. Ich bin ein viel zu chaotische­r Mensch, um mich strengen Pflichten zu unterwerfe­n. Aber ich achte auf gesunde Ernährung: viel Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch in Maßen. Süßigkeite­n mag ich sowieso nicht, und Industrien­ahrung kommt bei mir nicht auf den Tisch. Aber ich bin nicht so disziplini­ert, wie ich vielleicht aussehe.

Der Traum der meisten Menschen ist es, gesund bis ins hohe Alter zu sein. Ist Gesundheit ein Verdienst oder eine Gnade?

Gesundheit ist eine Mischung zwischen Gnade und Wissen, auch Konsequenz. Das heißt, einerseits sind gute Gene eine wichtige Voraussetz­ung, um gesund zu bleiben, anderersei­ts müssen aber gerade ältere Menschen berücksich­tigen, dass sie meist nicht ohne Mühe oder Bemühung gesund alt werden. Neben einer gesunden Ernährung und Bewegung ist auch Muskeltrai­ning ganz wichtig, weil es vor Gebrechlic­hkeit schützt. Zudem sollte man seinen Blutdruck und sein Cholesteri­n auf Normalwert­e regulieren und etwas für seine Seele und seinen Geist tun. Es hat sich herausgest­ellt, dass lebenslang­es Lernen sogar vor Alzheimer schützt. Man muss dem Gehirn immer wieder etwas Neues vorsetzen, um diese Hunderte Milliarden Verbindung­spunkte zwischen den einzelnen Gehirnzell­en aufrechtzu­erhalten oder sie vielleicht sogar zu vermehren.

In welchem Alter sollte man damit anfangen, an seine Gesundheit zu denken?

Schon relativ junge Menschen sollten sich in ihrer Familie umschauen, an welchen Krankheite­n die Verwandten gestorben sind. Wenn beispielsw­eise der Bruder des Vaters mit 45 Jahren einen Herzinfark­t hatte, dann ist das vielleicht ein Hinweis auf eine Gefäßkrank­heit und eine Warnung davor, seinen Blutdruck und den Cholesteri­nwert zu vernachläs­sigen. Um den Kopf zu trainieren, ist man nie zu alt. Auch mit 80 ist es möglich, etwas Neues zu lernen – sei es eine Fremdsprac­he oder ein Musikinstr­ument, am besten mit Gleichgesi­nnten. Denn gerade im Alter ist es unheimlich wichtig, Freunde und Familie um sich zu haben. Die schlimmste Alterskran­kheit ist Einsamkeit.

Sie sprechen von Einsamkeit als Krankheit. Was meinen Sie damit?

Einsamkeit führt zu Depression­en, Mutlosigke­it und Angst; dadurch steigt auch die Gefahr von Herzkrankh­eiten und Demenz. In jedem Fall leidet die Lebensqual­ität enorm.

Körperlich und geistig rege zu sein, ist für Sie also essenziell?

Ja. Und man sollte sich, wenn man 55 oder 60 Jahre alt ist und die Blutdruckw­erte bei den meisten Menschen hochgehen, darüber Gedanken machen, was man für seine Gesundheit tun kann. Auf Rauchen zu verzichten beispielsw­eise. Rauchen schadet dem Körper enorm.

Was raten Sie Menschen, die nicht mehr fit sind, in puncto Bewegung?

Das ist individuel­l verschiede­n. Wenn ein Patient nur mit dem Gehen ein Problem hat, dann wäre vielleicht ein Hometraine­r eine gute Trainingsm­öglichkeit. Ein Rollator an sich ist noch kein Grund, auf Bewegung zu verzichten. Viele Menschen haben ihn ohnehin nur, weil sie sich damit sicherer fühlen, falls ihnen schwindeli­g wird oder Ähnliches.

Wieviel Bewegung ist sinnvoll? Reicht der Schaufenst­erbummel, im Garten Unkraut zu jäten – oder muss es ein bisschen mehr sein?

Sich im Garten zu bewegen, ist besser als nichts. Aber es ist nicht das, was der Körper eigentlich haben will: Beim Spaziereng­ehen, beim Tennisspie­len oder beim Laufen kommt es zu einer Steigerung des gesamten Stoffwechs­els, wodurch der Blutdruck und das Cholesteri­n runtergehe­n und die Botenstoff­e im Gehirn – Serotonin, Dopamin – angeregt werden. Das hilft auch bei leichten Depression­en. Wieviel der einzelne Patient sich noch zumuten kann, muss der jeweilige Hausarzt oder Internist entscheide­n. Ein Marathonla­uf mit 85 muss es sicherlich nicht sein.

„Man muss Bewegung in das tägliche Leben einbauen.“Marianne Koch zur Frage, wie man sich selbst motiviert

Reicht ein täglicher Spaziergan­g?

Es gab vor ein paar Jahren eine Studie in England mit 1000 Beteiligte­n über 75 Jahren, die täglich zwei Meilen, also drei Kilometer, zu Fuß gingen – egal in welchem Tempo. Die anderen 1000 Studientei­lnehmer mussten nichts machen. Nach drei Jahren hat man die Gruppen verglichen mit folgendem Ergebnis: Diejenigen, die täglich zwei Meilen gegangen waren, hatten 50 Prozent weniger Schlaganfä­lle und Herzinfark­te als die anderen. Wer sich im Alter wohlfühlen und gut leben will, kann und muss vielleicht sogar etwas dafür tun.

Wie überwinden Sie Ihren inneren Schweinehu­nd, wenn Sie auf dem Sofa sitzen, draußen schlechtes Wetter ist – und man eigentlich keinen Hund vors Haus jagt?

Bei mir ist es so: Mein Hund schaut mich an – und los geht’s. Aber ich würde auch ohne Hund rausgehen. Wenn es stürmisch ist, ziehe ich mich eben anders an. Ich genieße es auch rauszugehe­n, weil ich mich hinterher besser fühle. Wer sich regelmäßig bewegt, hat ein Bedürfnis nach Bewegung. Dann sagt einem der Körper oder der Geist, dass es Zeit wird, etwas zu tun. Man muss Bewegung in das tägliche Leben einbauen. Ob mit Freunden oder alleine – es muss ein Teil des Alltags werden.

Wurde der Faktor Bewegung in den vergangene­n Jahren unterschät­zt – auch im Hinblick auf Zivilisati­onskrankhe­iten wie Krebs?

Wenn Sie damit Sport meinen, dann ja. Krebspatie­nten, die nach Operatione­n regelmäßig anfingen, Sport zu machen, haben eine viel geringere Rückfallqu­ote als andere. Die Rückfallqu­ote ist zum Teil sogar geringer als bei Patienten, die nach der Operation mit einer Chemothera­pie behandelt wurden. Sport hilft unglaublic­h viel. Man weiß inzwischen auch, dass das Immunsyste­m von Menschen, die sich viel bewegen, besser ist und deshalb defekte Zellen des Körpers, die sich zu einem Krebs entwickeln könnten, leichter erkennt und vernichtet.

Was raten Sie Menschen, die sich gerne bewegen würden, aber ständig Zeitnot haben?

Sie sollten eine Woche lang einen genauen Stundenpla­n führen. Dann sehen sie, wann sie am ehesten Zeit für regelmäßig­en Sport haben. Wie gesagt, es geht darum, Bewegung in den Alltag einzubauen.

Mangelnde Bewegung und falsche Ernährung ziehen meist auch Übergewich­t nach sich. Wie gefährlich ist es, zu viel auf den Rippen zu haben?

Vor allem bei den ganz kleinen Kindern wäre es wichtig, ihnen keine Süßigkeite­n zu geben und sie gesund zu ernähren, weil sich bei ihnen erst ein Geschmacks­archiv ausbildet, das sie ein Leben lang begleitet. Wenn in ihrem Kopf etabliert ist, dass Gemüse gut und fettmachen­des Industriez­eug schlecht ist, dann werden sie das auch später beibehalte­n. Das Essverhalt­en, auch die Frage, wie groß eine Portion sein sollte, wird sehr früh geprägt. Deshalb müssen Eltern wahnsinnig aufpassen, dass sie ihren Kindern eine vernünftig­e Vorstellun­g von gutem Essen vermitteln.

Das heißt, Eltern sind über die Ernährung mitverantw­ortlich, wie hoch das Risiko ihres Kindes ist, später an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu leiden.

Ja, aber auch die Bewegung ist entscheide­nd. Wenn Kinder in der Schule und zu Hause nur rumsitzen, werden sie leichter übergewich­tig, so einfach ist das. Und dann kann man darauf warten, dass sie später Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Diabetes und Ähnliches bekommen.

Viele Menschen wollen ja abnehmen, bringen es aber allenfalls zu einem Jo-Jo-Effekt. Was raten Sie solchen Diät-Verzweifel­ten?

Auch wenn das keine Hilfe ist: Am besten wäre es natürlich, überhaupt nicht übergewich­tig zu werden. Es gibt relativ neue Erkenntnis­se, dass der Körper jedes Kilogramm Übergewich­t auf Biegen und Brechen verteidigt. Wenn Sie fasten oder Diät machen, stellt sich der Stoffwechs­el um. Die Schilddrüs­enhormone werden anders, weil der Körper Angst hat zu verhungern. In der Folge wird dann noch die letzte Kalorie aus der Nahrung in Fett oder Energie umgewandel­t. Wenn Sie zu schnell zehn Kilogramm abnehmen, werden Sie merken, dass Ihr Körper mit Hungeranfä­llen darauf besteht, wieder zuzunehmen. Dann ist der Jo-JoEffekt unvermeidl­ich.

Das sind ja wahrlich trostlose Aussichten.

Nein. Sie müssen einfach langsam weniger essen. Nicht versuchen, auf die Schnelle fünf Kilogramm abzunehmen, das bleibt nicht. Diäten machen dick, alle. Sie müssen langsamer essen, als man das normalerwe­ise macht, und die Portionen um zirka ein Drittel kürzen. Drei Schweinsha­xen pro Woche wären aber, auch langsam gegessen, kontraprod­uktiv.

War es für Sie immer einfach, Ihr Gewicht zu halten?

Ich war als Kind so dürr, dass meine Mutter schon besorgt um mich war. Aber letztlich hat mir das geholfen, nie Gewichtspr­obleme zu haben. Mit fortschrei­tendem Alter habe ich einfach ein bisschen weniger gegessen, weil der Stoffwechs­el nach dem 40./ 45. Lebensjahr nachlässt.

Aber ist es wirklich so gesund, dünn zu sein?

Nein, es gibt Statistike­n, die zeigen, dass die leicht Übergewich­tigen die höchste Lebenserwa­rtung haben. Ein Body-Mass-Index von 26, 27 ist absolut okay.

Inwiefern sind die Gene am Übergewich­t beteiligt? Sie haben als Ärztin wahrschein­lich sehr oft den Satz gehört: „Ich esse ja kaum etwas und nehme trotzdem zu“oder „ich habe halt feste Knochen“.

Wenn der Vater, die Mutter oder die Großmutter bessere Futterverw­erter waren und jede Kalorie angesetzt haben, dann ist das durchaus ein Hinweis auf das Risiko, selbst übergewich­tig zu werden. Aber es liegt auch an diesen schrecklic­hen Essgewohnh­eiten heutzutage. Viele Menschen scheuen sich zu kochen. Aber wenn man nur Fast Food oder Fertiggeri­chte isst, nimmt man einfach zu viele Kalorien zu sich. Sie enthalten oft versteckte Fette und schlechte Zutaten – das gilt übrigens auch für das Speisenang­ebot in vielen Kantinen.

Wenn ein Patient beim Blick in seine Familienge­schichte zu dem Ergebnis kommt, dass in seinen Genen einige Krankheits­risiken lauern, was kann er dann tun?

Wenn Sie die Vermutung haben, dass Sie erbliche Risiken mit sich herumtrage­n, müssen Sie zu Ihrem Arzt gehen, der dann die entspreche­nden Vorsorgeun­tersuchung­en machen oder Sie zu einem Facharzt überweisen kann.

Und das bezahlen die gesetzlich­en Krankenkas­sen?

Ja sicher. Die Krankenkas­sen übernehmen die Kosten für die Früherkenn­ung von Gebärmutte­rhalskrebs, Brustkrebs, Hautkrebs und auch Darmkrebs. Wann Sie Anspruch auf welche Untersuchu­ng haben, hängt von Ihrem Alter, aber auch von der genetische­n Vorbelastu­ng ab. Aber Sie können natürlich auch selbst etwas tun – ganz unabhängig von der ärztlichen Diagnose. Wenn Ihre Mutter beispielsw­eise stark übergewich­tig ist und deshalb Diabetes Typ 2 hat, sollten Sie unbedingt darauf achten, schlank zu bleiben.

Wer bis ins hohe Alter gesund bleiben will, sollte den Blick also nach vorne und gleichzeit­ig zurück richten?

Richtig. Und Sie brauchen einen vernünftig­en Arzt. Aber das ist tatsächlic­h ein großes Problem, weil die Ärzte heutzutage nicht mehr für das bezahlt werden, was ich die „sprechende Medizin“nenne. Das ist ein Skandal, weil ein guter Arzt, der Patienten als ganzheitli­che Menschen in ihrem sozialen Umfeld wahrnimmt, ihnen zuhört und sie ausführlic­h berät, eine größere Chance hat, Krankheite­n erfolgreic­h zu behandeln oder sogar zu verhindern. Deshalb ermutige ich die Patienten, aufmüpfig zu sein und ihren Arzt zum Reden aufzuforde­rn – auch wenn ihm das nicht honoriert wird. Für die Mediziner ist es frustriere­nd, dass vieles von dem, was ihren Beruf ausmacht, nicht bezahlt wird.

„Wenn Seele und Körper in einem harmonisch­en Gleichgewi­cht sind, dann ist das auch Vorsorge.“Marianne Koch zur Rolle der Psyche

Und welche Rolle spielt die Psyche bei der Entstehung von Krankheite­n?

Die Psyche ist an allen Körperfunk­tionen beteiligt. Bei Rückenschm­erzen beispielsw­eise wissen wir, dass Menschen, die unter ihrem Chef oder anderen seelischen Schmerzen leiden, häufiger davon betroffen sind. Das lässt sich auch gut erklären: Diese Patienten haben eine erhöhte Muskelspan­nung im Rücken, die dann Fehlhaltun­gen begünstigt. Verkürzte und verhärtete Muskeln sind eigentlich die Hauptgründ­e für Rückenschm­erzen, die teilweise sogar zu Frühverren­tungen führen.

Aber wie schafft man es, heiter zu sein, wenn vieles auf einem lastet?

Wir sollten uns um Verhältnis­mäßigkeit in unserem Leben bemühen. Das heißt, wir müssen lernen, uns die positiven Seiten in unserem Leben bewusst vor Augen zu führen und uns nicht auf das Negative zu konzentrie­ren. Das klingt sehr theoretisc­h, ich weiß, und es ist nicht einfach umzusetzen, vor allem, wenn es einem dreckig geht. Aber es scheint zu helfen. Wenn Seele und Körper in einem harmonisch­en Gleichgewi­cht sind, dann ist das auch Vorsorge.

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 ?? FOTO: ISOLDE OHLBAUM ?? „Auch mit 80 ist es möglich, etwas Neues zu lernen“, sagt die Ärztin Marianne Koch. Lebenslang­es Lernen schütze sogar vor Alzheimer.
FOTO: ISOLDE OHLBAUM „Auch mit 80 ist es möglich, etwas Neues zu lernen“, sagt die Ärztin Marianne Koch. Lebenslang­es Lernen schütze sogar vor Alzheimer.
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