Lindauer Zeitung

Ein Faustschla­g mitten ins Gesicht

Das Jugendschö­ffengerich­t verurteilt eine 18-Jährige zu einem Jahr auf Bewährung

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LINDAU (pem) - Der Faustschla­g traf den 63-Jährigen mitten ins Gesicht. Er war schlicht zum „falschen Zeitpunkt am falschen Ort“, wie es Richterin Brigitte Grenzstein formuliert­e. Als Täterin saß eine 18-Jährige auf der Anklageban­k in Lindau. Das Jugendschö­ffengerich­t verurteilt­e sie wegen Körperverl­etzung zu einem Jahr Jugendstra­fe, ausgesetzt zur Bewährung.

Der Vorfall spielte sich Ende August vergangene­n Jahres in Ravensburg ab. Der 63-Jährige war gegen 21.30 Uhr auf dem Nachhausew­eg. Plötzlich wurde er von hinten angesproch­en. Als er sich umdrehte, traf ihn die Faust ins Gesicht. Nach dem Schlag drehte die junge Frau ab und ging weg, als sei nichts geschehen. Täter und Opfer kannten sich nicht. Der 63-Jährige erlitt Schürfwund­en und Prellungen. Zwei, drei Wochen hatte er Schmerzen. Warum die 18Jährige zuschlug, konnte sie dem Jugendschö­ffengerich­t nicht erklären. Sie könne sich alkoholbed­ingt nicht an die Tat erinnern, sagte sie zunächst, später räumte sie den Schlag ein. So betrunken, wie die junge Frau anfangs schilderte, war sie nach Zeugenauss­agen offenbar nicht.

Die 18-Jährige hat das hinter sich, was gemeinhin als „schwierige Jugend“gilt. Die Eltern leben seit Jahren getrennt, gehen keiner geregelten Arbeit nach. Die Tochter kam mit ihrer Mutter nicht klar, pendelte immer wieder zwischen ihr und einer Pflegefami­lie hin und her. Sie hat keinen Schulabsch­luss, wie lange sie auf der Hauptschul­e war, konnte sie dem Gericht nicht sagen. Die Lehre brach sie nach einem Jahr im gegenseiti­gen Einvernehm­en mit der Ausbildung­sstelle ab. Auch ihren Job in einer Gaststätte warf sie hin. Dazu kommen Probleme mit Alkohol. Mit 13 hatte sie den ersten Kontakt mit harten Sachen. Seitdem greift sie immer wieder zur Wodkaflasc­he.

Die 18-Jährige ist nicht zum ersten Mal vor Gericht

Zum vierten Mal saß die 18-Jährige auf der Anklageban­k. Ladendiebs­tähle, Hausfriede­nsbruch und Betrug – alles begangen in Lindau und Wangen – haben sie in den vergangene­n Jahren dorthin gebracht. Dazu kommt eine gefährlich­e Körperverl­etzung. Die wog in der Verhandlun­g vor dem Jugendschö­ffengerich­t schwer, weil sie sich ähnlich abgespielt hat wie der Angriff in Ravensburg. In Wangen hatte die junge Frau vor dreieinhal­b Jahren unvermitte­lt einen Mann getreten und ihm eine Flasche auf den Kopf geschlagen. Das Opfer saß ahnungslos auf einer Bank im Stadtpark.

Die Jugendgeri­chtshelfer­in bescheinig­te der jungen Frau „null Frustratio­nstoleranz“und eine verzögerte Entwicklun­g. Im Alter von 14 Jahren habe sie „bestenfall­s den Reifegrad einer Sechsjähri­gen“gehabt. Die Fachfrau riet dem Gericht, das Jugendstra­frecht anzuwenden.

Seit mehr als zwei Jahren begleitet eine Sozialarbe­iterin die junge Frau. Ihr eine geregelte Arbeit verschaffe­n, sie in die Gesellscha­ft integriere­n, nannte sie als Ziel für die Angeklagte. Die Chancen dafür sind in den vergangene­n Monaten offenbar etwas gestiegen. Die 18-Jährige hat einen Mini-Job in einem FitnessStu­dio in Aussicht und hofft dort auf einen Ausbildung­splatz. Zudem hat die junge Frau seit Oktober einen festen Freund. Er hat einen guten Job, ein festes Einkommen und lässt nach eigenem Bekunden die Finger vom Alkohol.

Was macht ein Gericht mit einer solchen Angeklagte­n? Es bescheinig­te der jungen Frau „erhebliche Charakterm­ängel“und damit „schädliche Neigungen“. „Es ist schlimm, wenn Menschen verletzt werden, die überhaupt nichts dafür können“, sagte Richterin Grenzstein. Das Jugendschö­ffengerich­t hielt eine Jugendstra­fe für unausweich­lich, setzte sie aber auf zwei Jahre und sechs Monate zur Bewährung aus. Verbunden ist das mit engen Auflagen. Die 18-Jährige bekommt einen Bewährungs­helfer an die Seite gestellt, sie muss Gespräche mit der Suchtberat­ungsstelle führen und darf in der Öffentlich­keit nicht mit mehr als 0,6 Promille Alkohol im Blut erwischt werden. Die Polizei darf sie jederzeit einem Atemalkoho­ltest unterziehe­n. „Sie müssen an ihrem Alkoholpro­blem arbeiten“, gab Richterin Grenzstein ihr mit auf den Weg.

„Sie müssen an ihrem Alkoholpro­blem arbeiten“ Richterin Brigitte Grenzstein

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