In Ratzenrieds Ochsen hat der Zeitgeist Lokalverbot
A ch, was ist das oft für ein deprimierender Anblick, wenn man durch die Dörfer Oberschwabens oder des Allgäus gondelt: Neben der Kirche steht zwar ein Gasthof, aber im Leuchtkasten steckt nicht etwa eine appetitanregende Speisekarte, sondern der trübselige Hinweis „Dauerhaft geschlossen“. Wie schön ist es da, wenn der hungrige Mensch – noch dazu zur Mittagszeit – unerwartet Leben in einem Gasthof vorfindet. Der Ochsen in Ratzenried ist so ein Ort des Widerstands gegen die Unkultur, mittags höchstens gehäckselte Gemüsedrinks durch den Strohhalm zu saugen (Aber bitte mit ohne Kohlehydrate!). Hier hat der Zeitgeist jedenfalls Lokalverbot. Wer gerne schick essen geht und nur glücklich ist, wenn er einen Sanddorn-Smoothie mit Hafermilchschaum aus dem Plastikbecher nuckeln kann, ist hier falsch. Und zwar dermaßen! Denn im Ochsen, da sind die Leut’ halt noch so, wie sie eben sind. Zum Beispiel der Stammgast am Stammtisch, der in breitem Dialekt mit der Wirtin parliert. Fragt, was die Kinder so machen. Aufmerksam nickt, wenn diese von Urlaub oder Führerscheinprüfungen berichtet. Den heimlichen Zuhörer umspülen bei solch ungekünstelten Gesprächen handwarme Heimatgefühle. Und auch die Einrichtung lässt keinen Zweifel daran, dass im Ochsen ein Regisseur, der einen Drehort mit dem Charme alter Zeiten sucht, entzückt wäre. Sozusagen Nostalgie aus der großen Schöpfkelle, nur eben echt und nicht nachgeahmt. Aber genug geschwafelt, was gibt’s zu essen? Erwartungsgemäß die Segnungen der allgäuschwäbischen Küche, und zwar satt. Zu Anfang trägt die Wirtin das Suppentöpfle an den Tisch. Dabei handelt es sich um eine Terrine, die so üppig bestückt ist, dass der Brätknödel weit über den Rand hinausragt. Drin sind auch Maultasche, Backerbsen sowie Kräuterflädle. Und naturgemäß Suppe, der man die hausgemachte Brühenkunst deutlich anmerkt. Auch die Maultasche ist kein Industrieprodukt, was leicht daran zu erkennen ist, dass sie deutlich nach Fleisch schmeckt und einen kernigen Biss besitzt. Tadellos und fast schon genug, um satt zu sein.
Große Sorgfalt ist auch dem bunten Salat zuteilgeworden: Tadellose Frische bei Verwendung intensiver Kräutersalatarten wie etwa Rucola. Krautsalat ohne Kümmel, und gerade deshalb ausgezeichnet. Gurke, Karotte – der Mensch in der Küche versteht sein Handwerk, auch wenn es ums Abschmecken des säuerlichen Dressings geht.
Was als Hauptgang folgt, mag zwar der Alptraum jeder Diätassistentin sein, ist aber jede einzelne Kalorie wert: Schweinsbraten mit Blaukraut, Spätzle und Soße! Er ist vom Hals und so zart, dass es kein Messer braucht. Die mürbe Faser gibt schon unter dem leichten Druck der Gabel nach. Saft, Aroma, beherzte Würze – Schweinebraten als echtes Superfood und Beleg, dass gerade die einfachen Dinge oft am besten sind. Begleitet von einer echten Bratensoße mit tiefdunklen Röstaromen und ganz ohne Glutamat. Kernige Spätzle und herbsüßliches Blaukraut. Die perfekte Komposition, um sich hinterher zwei, drei Stündchen aufs Kanapee zu legen. Das soll man ja früher noch gemacht haben, als zum Mittag noch ein richtiges Essen gehörte. Gasthaus zum Ochsen Wetzelsrieder Str. 21 88260 Argenbühl-Ratzenried Telefon 07522-912146 www.der-ochsen.de Geöffnet Dienstag ab 17 Uhr, Mittwoch bis Donnerstag 11-14 und ab 17 Uhr, Freitag bis Sonntag von 11-24 Uhr, Montag Ruhetag. Hauptgerichte 11,50-22,50 Euro.
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