Lindauer Zeitung

Vom Terroriste­n zum geachteten Staatsmann

- Von Sebastian Borger, London

Martin McGuinness, früherer IRA-Führer und ehemaliger nordirisch­er Vize-Regierungs­chef, ist im Alter von 66 Jahren verstorben. In rascher Abfolge kondoliert­en am Dienstag der Präsident von Irland, Michael Higgins, ebenso wie die Regierungs­chefs Großbritan­niens und Irlands. Sie drückten die Wertschätz­ung aus, die McGuinness auf der grünen Insel und weit darüber hinaus genoss.

„Das Nordirland-Friedensab­kommen wäre niemals zustande gekommen ohne McGuinness’ Führung, Mut und ruhiges Beharren darauf, dass die Vergangenh­eit nicht die Zukunft bestimmen sollte“, würdigte der britische Ex-Premiermin­ister Tony Blair den Beitrag von McGuinness zum Friedenspr­ozess, der 1998 in das Karfreitag­sabkommen von Belfast mündete.

McGuinness hatte erstmals als Vize-Kommandeur der katholisch-republikan­ischen Terrortrup­pe IRA in seiner Heimatstad­t Derry/Londonderr­y von sich reden gemacht, da war er 21. Ein Jahr später, 1972, ließ ihn die britische Regierung zu Geheimverh­andlungen nach London fliegen; der Geheimdien­st MI5 beschrieb McGuinness bewundernd als „Führungsfi­gur mit strategisc­hem Kopf“.

Den bewies der gläubige Katholik in Jahrzehnte­n des Bürgerkrie­gs. Mit Sprengstof­f in der einen Hand, der Wahlurne in der anderen machten die Republikan­er Druck für ihre Sache. Am Ende waren McGuinness und sein Belfaster Pendant Gerry Adams weitsichti­g genug zu erkennen: Die Gewalt-Strategie hatte sich erschöpft, Irlands Nordosten brauchte Frieden. Gemeinsam steuerten sie die Republikan­erbewegung von einer Terrortrup­pe in die ausschließ­lich mit demokratis­chen Mitteln agierende Partei Sinn Fein.

McGuinness wuchs mit sechs Geschwiste­rn in ärmlichste­n Verhältnis­sen in der Bogside von Derry auf, jenem Slum für Katholiken, der später als Widerstand­szone gegen die brutale Unterdrück­ung durch die unionistis­che Mehrheit berühmt wurde. Bald gehörte McGuinness nicht nur zu einer Generation desillusio­nierter junger Katholiken, die dem Unterdrück­erstaat mit Gewalt zu Leibe rückten. Beim „Blutsonnta­g“ im Januar 1972, als die britische Armee 13 unbewaffne­te Demonstran­ten erschoss, war er IRAFührer, wurde 1973 wegen Sprengstof­f-Delikten in Süd-Irland zu einer kurzen Gefängniss­trafe verurteilt. Vor zehn Jahren wagte der Antialkoho­liker einen Schritt, der die Fanatiker beider Seiten in Wallung brachte. Mit dem protestant­ischen Fundamenta­listenpred­iger Ian Paisley übernahm der bekennende Katholik die Führung der Allparteie­n-Regierung Nordirland­s. Der mutige Schritt der einstigen Todfeinde ebnete den Weg zu einer Normalisie­rung. Anfang Januar erzwang der an einer seltenen Herzkrankh­eit leidende McGuinness durch seinen Rücktritt Neuwahlen zum Belfaster Landtag, an denen er bereits nicht mehr teilnehmen konnte. Er hinterläss­t seine Frau und vier erwachsene Kinder.

 ?? FOTO: DPA ?? Martin McGuin- ness.
FOTO: DPA Martin McGuin- ness.

Newspapers in German

Newspapers from Germany