London gibt sich mutig
Premierministerin Theresa May verstärkt Polizeipräsenz im gesamten Land
LONDON - Am Tag nach dem Anschlag in London dröhnen noch die Hubschrauber über der Stadt. Die Fahnen wehen auf halbmast. Im Fernsehen ist zu sehen, wie Ermittler in weißen Overalls auf den Knien jeden Zentimeter des Tatorts auf dem Parlamentsgelände und auf der Westminster-Brücke davor nach Spuren absuchen.
Menschen kleben Sticker mit den Worten „We are not afraid“– „Wir haben keine Angst“– an die Schilder der U-Bahn-Stationen, weiß auf blauem Grund über einem roten Kreis, wo sonst die Namen der Haltestellen stehen. Das Bild verbreitet sich seit Mittwochnachmittag in den Sozialen Medien. Die Worte von Bürgermeister Sadiq Khan klingen weniger wie eine Ermutigung, eher wie eine lakonische Zustandsbeschreibung: „Londoner werden sich niemals vom Terror einschüchtern lassen“, betont er in einer Videobotschaft.
Premierministerin Theresa May gibt sich am Mittag im Parlament kämpferisch. „Ein Terrorakt gestern war darauf gerichtet, unsere Demokratie zum Schweigen zu bringen“, sagt sie. „Wir haben keine Angst.“
Scotland Yard klärt Identität auf
Doch May hat auch eine beunruhigende Nachricht: Der Angreifer stammt aus Großbritannien und war bereits einmal wegen extremistischer Umtriebe ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Wenig später konkretisiert Scotland Yard: Bei dem Attentäter handelt es sich um einen 52-jährigen Mann namens Khalid Masood aus Mittelengland. Er sei der Polizei bereits aufgrund von Gewaltdelikten und unerlaubtem Waffenbesitz bekannt gewesen, hieß es weiter. Eine Verurteilung wegen terroristischer Aktivitäten habe es nicht gegeben.
Der Rädelsführer der Selbstmord-Attentäter vom Juli 2005, Mohammed Siddique Khan; einer der Mörder des Füsiliers Lee Rigby im Mai 2013; nun der Mehrfachmörder von Westminster – allesamt waren sie britische Muslime, die in den Verdacht der islamistischen Gewaltbereitschaft geraten waren, aber keinen Anlass für dauerhafte Observation gegeben hatten. Auf gut 3000 Gefährder schätzen die Experten die Dschihadisten-Szene auf der Insel. Wieder ist ihnen, so scheint es, einer durch die Maschen des Fahndungsnetzes gerutscht.
Am Mittwoch raste Masood schließlich mit einem in Solihull bei Birmingham gemieteten HyundaiGeländewagen über die Westminster Bridge aufs Parlament zu, lenkte am Südende der Brücke das Fahrzeug auf den Gehsteig und hinterließ eine Spur der Zerstörung. Von 40 Verletzten berichten die Krankenhäuser anderntags. Schulkinder aus der Bretagne sind darunter, Männer und Frauen aus elf Nationen. Zu ihnen zählt Melissa Cochran aus dem US-Bundesstaat Utah. Sie liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Ihr Mann Kurt ist eines von zwei Todesopfern auf der Brücke. Tödlich verletzt wurde auch die aus Spanien stammende Britin Aysha Frade. Die Sprachlehrerin hinterlässt einen Mann und zwei Töchter, 8 und 11 Jahre. Nachdem Masood seine Amokfahrt am Parlamentszaun beendete, drang er in den Hof des Parlaments ein. Dort stach er den 48-jährigen Polizeibeamten Keith Palmer, 48, nieder, ehe ihn drei Schüsse aus einer Polizeipistole selbst tödlich verletzten. Premierministerin May spricht von dem unbewaffneten Polizisten als „Held“. 15 Jahre lang hat der einstige Berufssoldat im Artillerieregiment für Sicherheit im Parlament gesorgt. Am Mittwochnachmittag wurde er zum dritten und letzten Opfer des Birminghamer Gewalttäters.
Der Öffentlichkeit empfiehlt die Regierungschefin May am Donnerstag erhöhte Aufmerksamkeit, warnt aber vor übertriebenen Reaktionen. Offizieller Regierungseinschätzung zufolge müsse ein Terror-Anschlag in Großbritannien weiterhin als „höchstwahrscheinlich“gelten. Das ist die zweithöchste Gefährdungsstufe, an der sich auch nichts ändern solle, sagt May: „Wir haben keine Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden weiteren Anschlag.“May kündigt an, die Polizeipräsenz im ganzen Land zu erhöhen, auch die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Parlament würden geprüft.
Neben den drängenden Fragen zum Attentäter steht das Mitgefühl mit den Betroffenen im Mittelpunkt. „Meine Gedanken, Gebete und mein tiefstes Mitgefühl sind bei all denen, die von der gestrigen furchtbaren Gewalt betroffen sind“, erklärte Queen Elizabeth II. am Donnerstag.