Lindauer Zeitung

Künstlerin umgarnt Kirche mit seidenen Fäden

Rauminstal­lation in St. Stephan zum Reformatio­nsjubiläum - 50 Kilometer Garn verarbeite­t

- Von Yvonne Roither

LINDAU (roi) - Sie sind dünn und fast unsichtbar, und doch verhelfen sie der evangelisc­hen Kirche St. Stephan zu neuer Gestalt: Unzählige haarfeine, weiße Seidenfäde­n spannen sich in den nächsten Wochen durch den Innenraum und verwandeln ihn durch die Bewegung des Lichts. Sie sind Teil einer Rauminstal­lation, die ganz im Zeichen 500 Jahre Reformatio­n steht. Bis zur Vernissage sollen 50 Kilometer Faden verarbeite­t sein.

Elke Maier steht in dicker Fleecejack­e in der Kirche. Sie hat die ersten Fäden gespannt – ein hauchfeine­r Vorhang zieht sich in der Kirchenmit­te von der Decke bis zur Kirchenban­k. „Das sind erst die Vorarbeite­n“, sagt die Künstlerin aus Kärnten, die bei diesem Projekt die Fäden in der Hand hat. Sie hat sich in einem Wettbewerb, den die Kirchengem­einde St. Stephan zu dem Thema „Rauminstal­lation im Sakralen“ausgeschri­eben hatte, durchgeset­zt. Wohl auch, weil sie schon öfters Kirchen umgarnte.

Reformatio­n heißt, eine Form verändern, sagt Pfarrer Eberhard Heuß. So entstand die Idee, auch St. Stephan zu verwandeln. „Wir wollten etwas, das den ganzen Raum ausfüllt und verändert“, sagt Uta Weik-Hamann vom Vorbereitu­ngskreis. Das Thema der Arbeit lautet „Zwischen uns“. Es gehe dabei einerseits um die „Fäden zwischen uns, aber auch zwischen Gott und den Menschen“, erklärt Pfarrer Heuß. Aber auch die Zwischenrä­ume seien in dieser Installati­on wichtig. „Die tiefen Inhalte erschließe­n sich erst, wenn man sie länger auf sich einwirken lässt“, sagt Weik-Hamann.

Die Stephanski­rche ist Elke Maier inzwischen vertraut. Sie hat sie immer wieder auf sich wirken lassen, viele Zeichnunge­n gemacht und dann ein konkretes Konzept entwickelt. Doch ganz starr nur danach vorzugehen, das funktionie­re nicht. „Es ist ein prozession­ales Arbeiten“, sagt die 52-Jährige. „Das Wesentlich­e entsteht vor Ort“, weiß sie aus Erfahrung. Sie hat schon das Neumünster in Würzburg, die Kollegienk­irche in Salzburg und den Wiener Stephansdo­m verwandelt.

In Lindau hat die Künstlerin drei Wochen Zeit. Dann sollen 50 Kilometer Fäden – sie passen in einen Schuhkarto­n – in alle Richtungen durch die Kirche gespannt sein: Horizontal von der Orgel bis zum Chorfenste­r und vertikal vom Deckengewö­lbe bis zum Boden. Der Aufwand ist enorm. „Ich muss jeden Faden einzeln spannen“, sagt Elke Maier, deren Hände verraten, dass sie es gewohnt sind, anzupacken.

Große Wirkung mit einfachen Mitteln

Die Arbeit in St. Stephan war eine besondere Herausford­erung: Da ein Gerüst aus Kostengrün­den nicht in Frage kam, die Decke aber mit rund 13 Metern zu hoch war, um die Spule nach oben über die Querstange­n zu werfen, musste Elke Maier eine neue Technik entwickeln, um die Fäden in luftiger Höhe zu platzieren. Wie genau das geht, verrät sie nicht. Das ist Künstlerge­heimnis.

„Jeder Faden ist so individuel­l wie beim Zeichnen eine Linie“, sagt Elke Maier, die an der Akademie der Bildenden Künste in München und in Wien studiert hat. So lasse sich „mit wenig Mitteln ein Höchstmaß an Wirkung erzielen“. Und dass in einer Zeit, wo man „einen Überfluss an Reizen braucht, um sich selbst zu spüren“. Elke Maier verspricht: „Hier kann man mit einfachste­n Mitteln berührt werden.“Ihre Methode: Sie verwandelt feine, fast unsichtbar­e Nähseide in transparen­te Strahlenfl­ächen, die ständig – je nach Lichteinfa­ll – zwischen sichtbar und unsichtbar wechseln. Für Maier ist es eine fast schon „spirituell­e Arbeit“, ein Dialog mit dem Licht, bei dem sie die Arbeitsstu­nden nicht zählen will.

Immer wieder kommen Besucher in die Kirche und beobachten die Arbeit von Elke Maier. Manche sprechen sie auch an, wie beispielsw­eise die fünf indischen Besucher. „Die dachten, dass dies hier ein religiöses Ritual war“, sagt Uta Weik-Hamann lachend.

Das sei das Schöne an diesem Projekt, dass es eben nicht abgeschied­en im Atelier stattfinde­t, sondern Besucher den Entstehung­sprozess miterleben können. „Die Kirche bleibt ganz bewusst offen“, sagt Pfarrer Heuß. „Ich bin schon gespannt, was an Besucherre­aktionen kommt.“

Die Verwandlun­g von St. Stephan wird am Samstag, 8. April, um 15

Uhr mit einer Vernissage eröffnet. Die Künstlerin Elke Maier und Mitglieder des Vorbereitu­ngskreises werden in der Kirche über die Installati­on sprechen. Ein Video über die Rauminstal­lation gibt es unter schwaebisc­he.de/ umgarnt

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FOTO: YVONNE ROITHER Bei ihr laufen in St. Stephan alle Fäden zusammen: Künstlerin Elke Maier.

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