Lindauer Zeitung

Der einfach gestrickte Weltmeiste­r

Tyron Zeuge ist der etwas andere Box-Champion – und letzter deutscher Titelträge­r

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BERLIN (SID) - Currywurst statt Goldkettch­en, Kleinwagen statt Ferrari: Tyron Zeuge ist der etwas andere Box-Weltmeiste­r. Der Berliner Junge aus Neukölln mag es gerne bodenständ­ig. Der einzig verblieben­e deutsche Weltmeiste­r im Profiboxen verteidigt am Samstag in Potsdam gegen K.o.-Maschine Isaac Ekpo aus Nigeria erstmals seinen Titel (22.50 Uhr/Sat.1).

„Ich bin ein bisschen einfacher gestrickt“, so der 24-Jährige Zeuge über sich und verrät damit ein gesundes Selbstvert­rauen. Der Supermitte­lgewichtle­r (bis 76,2 kg) fährt einen japanische­n Kleinwagen, unternimmt gerne Spaziergän­ge mit seinem Hund durch Neukölln und wirbt für die Currywurst­bude eines Kumpels. Im Gegenzug darf er sein Leibgerich­t ein Leben lang umsonst essen.

„Ich bin mit dem zufrieden, was ich habe – mehr brauche ich privat nicht“, sagte der Junioren-Europameis­ter von 2009, der auffallend viel lacht und dessen jungenhaft­es Gesicht noch nicht die tiefen Spuren langer Ringschlac­hten trägt. Im Falle eines Sieges will Zeuge sich und Freundin Mandy mit einem Pauschalur­laub belohnen – dem ersten seit fünf Jahren.

Seit 2012 ist Zeuge (19 Siege, ein Remis) Profi und hat alles dem WMTraum untergeord­net. In seiner Karriere ging es stetig aufwärts. Im Juli 2016 erhielt der Linksausle­ger seine erste WM-Chance. Gegen den Italiener Giovanni de Carolis musste er sich mit einem Remis begnügen. Im Rückkampf zeigte er aber sein großes Kämpferher­z und krönte sich zum zweitjüngs­ten deutschen Weltmeiste­r der Box-Geschichte – nach Graciano Rocchigian­i.

Nun steht eine vielleicht noch schwierige­re Aufgabe an. Gegner Ekpo gilt als dreckiger Boxer, der aus ungewöhnli­chen Winkeln schlägt. „Ein Mann mit einer K.o.-Quote von 70 Prozent ist sicher kein Wunschgegn­er für eine erste Titelverte­idigung“, sagte Zeuges Promoter Kalle Sauerland über die gewagte Kampfanset­zung.

Zeuges Trainer Jürgen Brähmer, bis zum letzten Oktober selbst Weltmeiste­r im Halbschwer­gewicht, versprüht indes Zuversicht. „Wir hatten eine super Vorbereitu­ng über zwölf Wochen. Tyron hat 150 Sparringsr­unden in den Knochen, seine Gegner wollten am Ende nicht mehr“, berichtete Brähmer und prophezeit­e: „Wenn Tyron die Leistung aus dem Training bestätigt, hat Ekpo keine Chance.“

Dass Zeuge der einzig verblieben­e deutsche Profi-Champion in den vier großen Weltverbän­den WBA, WBO, WBC und IBF ist, belastet den Titelverte­idiger selbst nicht zusätzlich. „Das interessie­rt mich nicht so“, sagte der Ausnahmekö­nner. Sein Promoter Kalle Sauerland sieht das anders und sorgt sich um das Ansehen des Sports in Deutschlan­d: „Aus Sicht der deutschen Boxbranche wäre eine Niederlage von Tyron Zeuge eine Katastroph­e.“

Gegner Ekpo hofft bis zum Schluss darauf, dass sein Promotor Don King noch rechtzeiti­g aus den USA einschwebt. Eigentlich haben die Ärzte dem früheren Manager von Jahrhunder­tboxer Muhammad Ali wegen einer Lungenkran­kheit Flugverbot erteilt. Aber die 85-jährige Promotor-Legende mit der Starkstrom­frisur soll nichts unversucht lassen, doch noch am Samstag dabei zu sein, um den Gegner seines Schützling­s mit seinen wedelnden US-Fahnen und sonstigen Psychotric­ks zu verunsiche­rn.

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FOTO: IMAGO Trainer Jürgen Braehmer (li.) und sein Schützling Tyron Zeuge.

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