Von der Kunst, Striche spazieren zu führen
Wieder ein Klassiker der Moderne: Stadtmuseum Lindau zeigt Arbeiten von Paul Klee
LINDAU - Große Kunst in der kleinen Stadt: Mit diesem Motto sorgt Lindau seit Jahren für Höhepunkte im Ausstellungsbetrieb am Bodensee. Nach Chagall, Miró, Matisse, Nolde und zweimal Picasso widmet sich die neue Sommerausstellung nun Paul Klee (1879-1940).
Klee hat als Maler, Zeichner und Grafiker ein facettenreiches Werk hinterlassen und gehört zu den bedeutendsten Wegbereitern der Kunst des 20. Jahrhunderts. Bilderwelten „Zwischen Himmel und Erde“erwarten die Besucher ab Samstag im Stadtmuseum.
Ein kleines Schiff mit gewaltigem Dampfkessel steuert auf das baumbestandene Ufer zu. Am Himmel prangt wegweisend ein großer grüner Stern, während der Horizont in zartem Rosé den Sonnenuntergang andeutet. Links unten steht ein turmartiges Gebäude mit großen Fenstern und bunten Vorhängen im Dachgeschoss. Darüber ragt ein rätselhafter blauer Dreizack in den Himmel. Der Bodensee mit seinen Dampfschiffen könnte Paul Klee zu diesem Aquarell „Kleiner Dampfer“(1919) inspiriert haben. Denn der in Deutschland lebende Künstler überquerte bei seinen regelmäßigen Heimreisen zwischen 1898 und 1919 zum elterlichen Wohnsitz im Schweizerischen Bern jedes Mal den See, indem er am Lindauer Hafen eine Fähre nach Rorschach oder Romanshorn bestieg. Hinweise dazu finden sich in seinen Briefen und Postkarten.
45 Exponate im kleinen Format
Dieser Aspekt im Leben von Klee wurde bislang kaum beachtet, für Lindau ist er jedoch ein willkommener Aufhänger für die neue Ausstellung. Im Katalog findet sich sogar ein extra Kapitel dazu. Die Schau mit 45 Exponaten im kleinen Format umfasst wichtige Themenschwerpunkte im Werk des Künstlers: von den kosmischen Landschaften über die arabischen Aquarelle und zarten Figurenbilder bis zu den konstruierten Farbfeldmalereien und rätselhaften Bildzeichen, die am Ende seines Lebens im Exil in der Schweiz entstanden, als er schon schwer krank war.
Möglich gemacht hat das Projekt wieder Roland Doschka, der einst in Balingen mit Präsentationen zur Klassischen Moderne die Massen anlockte. Der Romanist und Autor pflegt sehr gute Kontakte zu Sammlern und hat dieses Netzwerk über die Jahre hinweg immer mehr ausgebaut. Seit einer Paul-Klee-Schau in Balingen 2001 hat er auch Verbindungen zu den Nachkommen des gebürtigen Berners. Und davon profitiert jetzt wieder die Stadt Lindau.
Allein der Enkel Alexander KleeColl hat 20 Blätter für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen erstmals auch Werke aus öffentlichen Häusern wie dem Kunstmuseum St. Gallen, dem Ulmer Museum oder der Sammlung Berggruen in Berlin. Das ist bemerkenswert, weil Klees Arbeiten extrem fragil und damit schwer zu transportieren sind. Der Künstler hat nämlich nicht nur Leinwand und Papier, sondern auch Gaze, Rupfen, Zeitung und andere empfindliche Materialien als Bildträger verwendet. „Ich habe immer eine Ideal- und eine Realliste. Diesmal kommen wir der Idealliste mit Preziosen in Topqualität sehr nah“, sagt Doschka im persönlichen Gespräch. Und ergänzt: „Wir sind klein, aber fein.“
Wer die intimen Räumlichkeiten im Erdgeschoss betritt, die erstmals aus konservatorischen Gründen mit Panzerglastüren geschützt sind, taucht in ein Meer von Farben ein. Das liegt aber nicht nur an Klees virtuosem Umgang mit der Farbe, die er auf der berühmten Tunisreise 1914 für sich entdeckt hat, sondern auch an der Inszenierung in dem alten Gemäuer. Sämtliche Bilder sind je nach Thema auf unterschiedlich getünchten Wänden gehängt.
Los geht es mit einem Kopf in Aquarell auf azurblauem Grund. Dahinter folgt das Plakatmotiv, das an einen orientalischen Teppich erinnert, auf Saharabeige, während am Ende drei Blätter mit hieroglyphenartigen Zeichen auf Braunrot die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Die Schau ist wie immer geschickt gruppiert, da merkt man die Erfahrung des Kurators. Jeder Schwerpunkt wird in einer eigenen Nische präsentiert und auf Tafeln kurz erklärt. Zugleich gewährt die offene Raumflucht den Blick in die nächste Abteilung. Highlights gibt es einige zu entdecken, wobei dem Besucher klar sein muss, dass es sich hier nicht um Hauptwerke handelt – aber das erwartet ja wohl auch keiner.
Die Handpuppen von Sohn Felix
Charakteristisch für Klee, der sagenhafte 9500 Arbeiten hinterlassen hat, ist zum Beispiel das Bild „Kleine Vignette an Ägypten“(1918), in dem er farbige geometrische Formen mit arabischen Symbolen wie dem Halbmond kombiniert. Erwähnenswert ist auch sein „Tänzerpaar“(1923) auf grün-blau gerastertem Grund, das während Klees Zeit als Lehrer am Bauhaus entstanden ist. Anders als seine Kollegen hat er stets das Konstruktivistische mit erzählerischen Motiven verbunden.
Daneben werden drei selten gezeigte Handpuppen präsentiert, die der Künstler für seinen Sohn Felix entworfen hat. Eine davon hat lustige Stabohren. Und gegenüber hängt Roland Doschkas Lieblingsbild „Mit der sinkenden Sonne“(1919). Zu sehen ist ein kubistisch zerlegter Garten mit der roten Abendsonne und einem Pfeil, der unmissverständlich nach unten zeigt.
Paul Klee hat mit seinen Motiven zwischen Himmel und Erde meist nicht nur Fantasie bewiesen, sondern auch Humor und ein Gespür für Ironie. Manches mag auf den ersten Blick wie eine Kritzelei wirken, doch das täuscht. Wie sagte er einmal: „Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen.“Wer im Lindauer Stadtmuseum genau hinschaut, stellt fest, wie virtuos der Künstler mit Pinsel und Stift zeichnen konnte. Was am Ende des Rundgangs bleibt, ist ein Einblick in zentrale Aspekte seines Gesamtwerks. Das ist mehr als erwartet.