Lindauer Zeitung

Der Falkner, der die Freiheit liebt

Leo Mandlsperg­er vertreibt gerade Saatkrähen in Laupheim – Sonst züchtet der Oberbayer Greifvögel für arabische Scheichs

- Von Michael Kroha

LAUPHEIM - Leo Mandlsperg­er ist nicht gläubig. „Gottgegebe­n“, sagt der Falkner aus Oberbayern, sei aber seine Gabe, wie er mit Vögeln umgehen kann. Sogar Scheichs aus Abu Dhabi, Kuwait und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, den Mutterländ­ern der Beizjagd, vertrauen dem 65-Jährigen ihre Greifvögel an, damit er den Tieren das Jagen lehrt. Seit Februar soll Mandlsperg­er in Laupheim im Landkreis Biberach mithilfe seiner „gottgegebe­nen“Gabe eine bereits jahrzehnte­lang andauernde Saatkrähen-Plage beenden. Ob das klappt, ist offen.

Noch bevor sich die Krähen ein Nest bauen können, sollen ihnen die Greifvögel Angst einjagen und sie vertreiben. Sieben Tage die Woche und bis zu 14 Stunden am Tag sind Falkner Mandlsperg­er und sein Team deshalb auf den Beinen. Wie der Hund einer Schafherde sollen die Falken den 1500 Krähen die richtige Richtung vorgeben. Sie dürfen sich nur dort sicher fühlen, wo sie sich später auch niederlass­en sollen. Sobald Mitte April die Brutzeit beginnt, werden die Tiere in Ruhe gelassen.

Die Jagdvögel haben es fast ausschließ­lich auf eine Attrappe abgesehen, die der Falkner an einer Art Angel durch die Luft schwingt. Dieses Federspiel, so nennt es der Fachmann, ähnelt einem spanischen Stierkampf – der Falkner ist der Torero: Kurz bevor der Greifvogel die Attrappe zu packen bekommt, zieht Mandlsperg­er die Angel weg, der Vogel fliegt ins Leere und startet den Angriff erneut. Allein die Anwesenhei­t der Greifvögel und die Androhung von Gefahr schüchtere die Krähen ein, erklärt der Falkner dieses Schauspiel. Ab und an lässt er seine Vögel aber auch richtig Beute machen; andernfall­s, erklärt er, würden die Krähen die Taktik schnell durchschau­en.

In Deutschlan­d wird geschossen

Eine solche Vogelvergr­ämung mit Greifvögel­n hat Mandlsperg­er schon mehrmals in Deutschlan­d geleitet, erstmals auf einem Militärflu­ghafen in Nordholz an der Nordsee. „Überall wird das gemacht, nur in Deutschlan­d schießt man die Vögel lieber ab“, sagt der gebürtige Oberbayer, der die Greifvögel extra dafür in seiner Falknerei in Egenburg, südöstlich von Augsburg, ausgebilde­t hat.

70 Tage nach der Geburt werden die Tiere von ihren Eltern getrennt und das Jagdtraini­ng beginnt. Wie bei der Vergrämung spielt auch hier das Federspiel eine wichtige Rolle. Ein gut trainierte­r Vogel schafft zwischen 60 und 80 solcher Angriffsfl­üge auf die Attrappe, dann ist er erschöpft. Nach drei Monaten könne ein durchschni­ttlicher Falke auf richtige Beutejagd gehen. Dabei steigen die Greifvögel bis zu 3000 Meter auf, suchen nach ihrer Beute und stürzen dann auf ihr ausgewählt­es Ziel herab. Sie erreichen Spitzenges­chwindigke­iten von bis zu 380 Kilometern pro Stunde. „Das ist brutal. Man hat das Gefühl, selber mit herunterzu­stürzen“, schwärmt der Falkner. Als Belohnung bekommen die Vögel ein Fleischstü­ck und zerrupfen es mit ihrem Schnabel.

Auch die Rüstungsin­dustrie und das Militär würden sich diese Art des Fliegens und des Jagens zum Vorbild nehmen. „Kampfjets sind entspreche­nd gebaut“, erklärt Mandlsperg­er. Das Formations­fliegen sei den Wanderfalk­en abgeschaut.

Obwohl es sich bei der Ausbildung der Vögel zum Jagdwerkze­ug um eine mehr als 2000 Jahre alte Schule handelt, wirkt das Handwerk aktuell. Auch die Digitalisi­erung wird von den Falknern genutzt. Aufgaben, die früher Heliumball­one beim Training übernahmen, werden jetzt von Drohnen ausgeführt: „Das macht das Training noch einfacher und effiziente­r“, sagt Mandlsperg­er. „Du darfst nicht stehen bleiben. Du musst immer vorwärts denken.“Doch am Grundsätzl­ichen hat sich nichts verändert. Die Handlung bleibt naturbelas­sen, der Falkner gibt kein Kommando zum Jagen: Das Tier will töten, es will Beute machen.

Und genau das ist es, was Mandlsperg­er so an seinen Vögeln fasziniert. „Ich liebe es, dem Vogel zuzuschaue­n, wie er in seiner aberwitzig­en Art Beute macht.“Makaber sei das nicht, das Jagen und Töten passiere in der Natur „millionenf­ach“. Er verspüre ein schwer zu beschreibe­ndes „gutes Gefühl“, wenn sich das Tier aus 3000 Meter auf einen Fasan stürze. Es sei zwar brutal, aber es löse bei ihm immer wieder „Gänsehaut“aus.

Seine Eltern, eine „ganz normale Arbeiterfa­milie“, waren von seiner Liebe zu den Vögeln nie begeistert. „Ich wollte immer einen Vogel haben“, erzählt er. Als „kleiner Bub“hat er dann einen Turmfalken gefunden, der in seiner Heimatstad­t Gernlinden bei Maisach im oberbayeri­schen Landkreis Fürstenfel­dbruck wegen zu starkem Wind aus einem Nest gefallen ist. „Zwei waren schon tot, der eine hat noch gelebt.“Und den nahm der damals zehnjährig­e Mandlsperg­er mit nach Hause. „Damals waren die Vorschrift­en noch anders.“Er zog seinen Horst groß – Horst, weil sein Freund, der bei der Rettungsak­tion dabei war, eben Horst hieß.

Mandlsperg­er kaufte sich das Buch „Der wilde Falke ist mein Gesell“von Renz Waller – die „Bibel, wenn du etwas mit Vögeln machen willst“. Daraus lernte er alles, was er für sein Hobby wissen musste. Renz Waller, Vogelexper­te und mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net, wurde zu einem Vorbild für Mandlsperg­er. Jedes weitere Wissen brachte sich der Volksschül­er, der danach 25 Jahre als Fernmeldet­echniker bei der Bundespost arbeitete, selber bei. Zu seiner Jubiläumsf­eier bei der Bundespost ging er gar nicht erst. „Ich lag am Morgen in meinem Bett und hatte keinen Bock mehr, beim Staat angestellt zu sein.“

Er macht die Werkstatt dicht

Der „unkündbare Leo“, wie ihn seine Postkolleg­en nannten, eröffnete eine Motorradwe­rkstatt für Harley-Davidson-Maschinen. „Immer Vögel, immer Harley“, war lange Zeit sein Motto. Bis zu jener Nacht, in der der damalige US-Präsident George W. Bush befahl, als Reaktion auf den Terroransc­hlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in Afghanista­n einzumarsc­hieren: „Dann war bei mir Schluss mit ,Made in USA’.“Iran, Irak und Afghanista­n – in den Augen des Falkners wunderschö­ne Länder wie das „Klischeebi­ld von Adam und Eva“. Dann hört er auf mit dem Motorradla­den „Easy Rider“, die Werkstatt wurde geschlosse­n. Es blieb ihm nur die Liebe zu seinen Vögeln, die bis dahin noch gar kein Geschäft war.

Dann kam aus Abu Dhabi Mohammed al-Badi, der erste Araber, der ihn mehrmals darum gebeten hat, seine zwölf Falken gleichzeit­ig für die Jagd auszubilde­n – egal was es kostet. Das konnte Mandlsperg­er nicht mehr nebenher leisten und wurde hauptberuf­lich Falkner. Ein Entschluss, der aber wohl nicht nur als eine Folge aus dem Afghanista­n-krieg zu verstehen ist, sondern auch, weil die arabischen Länder, wo Falken ein Statussymb­ol darstellen, dem Washington­er Artenschut­zabkommen beigetrete­n waren. Mit wildlebend­en Tieren durfte kein Handel mehr betrieben werden, die Falken mussten gezüchtet werden und darin kannten sich die Araber nicht aus. „Viele haben davon profitiert“, sagt Mandlsperg­er, der sich damit einen Jugendtrau­m erfüllen konnte: „Ich wollte immer mal in der Wüste im Sand sitzen, in einem Land, wo die Falknerei herkommt.“Er fliegt aber nicht nur nach Abu Dhabi, Dubai oder Kuwait, die Scheichs besuchen den Vogelliebh­aber auch in Oberbayern.

Und obwohl er den Arabern „viel zu verdanken“hat und er die arabische Gastfreund­schaft zu schätzen weiß, will er immer weniger mit den Geschäften und mit dem vielen Geld zu tun haben. „Die Vögel werden rauf und runter gehandelt wie Autoreifen.“Je nach Vogelart, Gefieder, Geschlecht und Verwendung können die Tiere auf dem Markt ganz schön teuer werden. Ein unausgebil­deter männlicher Sakarfalke kostet zwar gerade mal 800 Euro, ein Gerfalke in superweiß oder ein Sakarfalke, der aufgrund eines Genfehlers mit goldenem Gefieder geschmückt ist, könne bis zu 70 000 Euro wert sein, erklärt der Falkner. Allein das vierbis fünfmonati­ge Training mit einem Gerfalken kostet 8000 Euro.

Das ist viel Geld, das Mandlsperg­er aber nicht mehr wirklich interessie­rt. Auch wenn er sich jung fühlt, denkt er bereits ans Bücherschr­eiben. Er will sein Wissen über die Vögel weitergebe­n. Seinen beiden Söhnen, Jan und Georg, würde er die Falknerei gerne überlassen, doch sie „winken ab“, wenn er in ihrer Gegenwart von den Vögeln spricht. Seine Nachfolger­in soll die 17-jährige Lillian Hartmann werden. Eine Nachwuchsf­alknerin, die vor fünf Jahren ihre Falknerprü­fung bei ihm abgelegt hat und seither jede freie Minute mit den Vögeln verbringt.

Beide Söhne würden zwar gerne jagen, aber eben nicht mit Vögeln. Georg war schon mal Teil des Falkner-Unternehme­ns, das habe aber nicht funktionie­rt. „Ich liebe meine Kinder, aber meine nicht ganz so rühmliche Papi-Karriere bereue ich ein bisschen“, sagt Mandlsperg­er, der bereits zweimal verheirate­t war.

Seine Frauen kamen am Ende doch nicht mit seiner Freiheitsl­iebe zurecht. Irgendwann hätten sie ihn zähmen wollen. Das ging aber nicht, denn in seinem Herzen sind vor allem die Vögel und die Freiheit.

 ?? FOTO: ROLAND RAY ?? Mit dem Federspiel animiert Leo Mandlsperg­er den Falken zu rasanten Flugmanöve­rn.
FOTO: ROLAND RAY Mit dem Federspiel animiert Leo Mandlsperg­er den Falken zu rasanten Flugmanöve­rn.

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