Steinmeier belehrt Trump
Erste Rede des neuen Bundespräsidenten im Ausland: „Yes, we want Europe“
STRASSBURG - Seine erste Rede als Bundespräsident im Ausland, er wollte sie nirgendwo anders als vor dem Europäischen Parlament halten. Frank-Walter Steinmeier definiert in Straßburg Deutschlands Rolle in Europa als starke Macht, die ihre Verantwortung wahrnimmt, doch dies immer im Bewusstsein, dass auch andere Recht haben können. Sein Auftritt ist ein flammender Appell an die europäischen Abgeordneten, weiter für ein geeintes Europa zu kämpfen.
Steinmeier neigt, wie er in seiner Rede sagt, „nicht zum Alarmismus“. Und er gilt in Berlin auch nicht als leidenschaftlicher Redner, der für seine Sache kämpft. Zwischen Claudia Roth und ihm liegen mindestens zwei Welten. Doch wenn er, wie jetzt, in einer bitteren Stunde vor dem Europaparlament auftritt, dann dreht auch Steinmeier auf, dann zeigt auch er Temperament und Gefühl gleichermaßen.
Es sind bittere Stunden für Europa, denn am heutigen Mittwoch werden in Berlin der Bundesrat und in Straßburg das Europäische Parlament den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU diskutieren. In Straßburg wird über eine Entschließung abgestimmt, die die wichtigsten Anliegen und Ziele des Europäischen Parlaments während der Austrittsverhandlungen festlegt.
Für Frank-Walter Steinmeier ist das ein ganz neuer Gedanke. „Europa ist keine Gewissheit, das war sie nie, und das wissen wir nicht erst seit dem Brexit“, sagt Steinmeier. Und doch ist er enttäuscht, erschüttert.
Der 61-jährige Bundespräsident ist in etwa so alt wie die Europäische Union, die gerade ihren 60. Geburtstag feierte. Und er hat bis vor Kurzen die Europäische Einheit für unumkehrbar gehalten.
Er lässt in Straßburg vor dem gut zu zwei Drittel gefüllten Parlamentssaal sein eigenes Leben kurz Revue passieren: Geboren im Nachkriegsdeutschland, in dem die Wunden des Krieges noch zu sehen waren, promoviert, als die deutsche Mauer fiel, ein glückliches Europa voller Verheißung für viele. Jetzt sieht er sich einem völlig anderen Europa gegenüber. „In Zeiten von wachsenden Fliehkräften und von lärmenden Untergangspropheten werde ich Partei ergreifen für Europa“, verspricht Steinmeier fast trotzig. Als Bürger sage er, „ich will Europa“und als neuer Bundespräsident versichere er, dass Deutschland Europa will.
Der Brexit ist für Steinmeier nicht nur „unverantwortlich“, sondern auch falsch. Der deutsche Außenminister zitiert Michael Heseltine, den 84-jährigen angesehenen britischen Konservativen. Der habe gesagt, dass der Brexit vielleicht „der größte britische Souveränitätsverlust“sei, an den er sich erinnern könne. Steinmeier sieht es genauso. Nur gemeinsam könne Europa noch vollwertiger Mitspieler auf der Weltbühne sein, einzeln würden die Staaten zum Spielball anderer Mächte. An dieser Stelle brandet großer Applaus im Europaparlament auf, nur bei der rechten Fraktion für Europa der Nationen und Freiheiten sowie der Allianz für direkte Demokratie rührt sich so gut wie keine Hand.
Donald Trumps Vorwurf, dass die Europäische Union nur ein „Mittel zum Zweck für Deutschland“sei, weist Steinmeier strikt zurück. „Das ist mindestens ein Missverständnis“, belehrt er den US-Präsidenten. Deutschland, so erklärt Steinmeier, sei manchmal in einer Zwickmühle. In einer Situation, in der manche von Berlin mehr europäische Führung verlangen und andere vor deutscher Dominanz warnen. Vor dem Wort Führung scheut Steinmeier jedoch zurück. Für ihn steht fest, dass die Europäische Union in der Verantwortung aller Mitglieder liege, dass Deutschland aber als großes Land auch eine besondere Verantwortung trage.
Treffen mit Tajani
Kinder und Enkelkinder wüssten längst genau, dass man sein eigenes Land lieben und dabei ein guter Europäer sein könne. „Die Jungen haben Recht.“Steinmeier schließt fast pathetisch auf englisch: „Yes, we want Europe“und „yes, we want a European Germany“.
Nach seiner Rede vor dem Parlament traf sich Steinmeier sowohl mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker als auch zunächst zu einem Mittagessen mit dem neuen Parlamentspräsident Antonio Tajani. Der Schulz-Nachfolger ist konservativ, ein Freund Berlusconis, dessen Wahl der liberale Alexander Graf Lambsdorff als „Kröte“bezeichnet hatte, die man schlucken müsse.
Tajani hat in einem Interview davor gewarnt, dass aus Afrika 30 Millionen Flüchtlinge nach Europa drängen könnten und Auffanglager gefordert. Doch in dieser Woche steht nicht die wichtige Flüchtlingsfrage, sondern der Brexit im Vordergrund aller Gespräche und Verhandlungen in Straßburg, London und Berlin. „Es liegt an uns, dass der europäische Traum nicht ausgeträumt ist“, sagt Steinmeier – und die Abgeordneten erheben sich zum Applaus.