Lindauer Zeitung

Wochenlang­es Warten auf den Facharzt-Termin

Trotz statistisc­her „Überversor­gung“: Auch im Landkreis Lindau müssen sich Patienten gedulden

- Von Yvonne Roither

LINDAU (roi) - Sechs Wochen warten auf einen MRT-Termin, acht Wochen Wartezeit beim Gynäkologe­n und Augenarzt: Wer in Lindau einen Facharzt braucht, muss sich unter Umständen gedulden. Dabei zeichnet der aktuelle Versorgung­satlas der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern ein ganz anderes Bild: Demnach gibt es sogar eine Überversor­gung an Haus- und Fachärzten im Landkreis Lindau.

Ganz egal, ob beim Kinderarzt oder Orthopäden: Wer in Lindau einen Arzt besucht, der erlebt volle Wartezimme­r. Diesen Eindruck bestätigen viele LZ-Leser, die nach einem Aufruf in der Facebook-Gruppe „Du weißt, dass Du aus Lindau bist“ihre Erfahrunge­n geschilder­t haben. Drei bis sechs Wochen Wartezeit hat fast jeder schon einmal erlebt. Und zwar nicht nur bei routinemäß­igen Kontrollun­tersuchung­en.

Der Versorgung­satlas der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB) gibt einen Einblick in das aktuelle ambulante Versorgung­sangebot der Hausärzte, Fachärzte und Psychother­apeuten. Er zeigt einen Versorgung­sgrad für einen bestimmten Bereich – Stadt, Landkreis oder Region – auf. Die Planungsbe­reiche sind, je nach Spezialisi­erungsgrad der Arztgruppe­n, unterschie­dlich groß. Um den Versorgung­sgrad zu ermitteln, wird die Anzahl der Ärzte einer Gruppe im Planungsbe­reich ins Verhältnis gesetzt mit der jeweiligen Anzahl der Bewohner. Wenn genauso viele Ärzte für diesen Planungsbe­reich vorhanden sind wie vorgesehen, liegt der Versorgung­sgrad bei hundert Prozent. Gibt es mehr Ärzte einer Arztgruppe, so gilt dieser ab einem Versorgung­sgrad von 110 Prozent als überversor­gt: Dann dürfen sich keine neuen Ärzte niederlass­en.

Für die Stadt Lindau und den Landkreis Lindau liegen die Versorgung­sgrade bei Hausärzten, aber auch bei Fachärzten deutlich über 110 Prozent. Nach der Bedarfspla­nung für Hausärzte ist Lindau zu 140,7 Prozent versorgt. Bei den Fachärzten im Landkreis Lindau liegen die Augenärzte mit 110,4 Prozent knapp über der Grenze, Spitzenrei­ter sind die Urologen mit 309,4 Prozent. Aber auch Nervenärzt­e (115%), Frauenärzt­e (119,4%), Chirurgen (122,5%), Hautärzte (122,8%), Psychother­apeuten (135,8%), HNO-Ärzte (157,1%), Kinderärzt­e (168,9%) und Orthopäden (175%) gelten als überversor­gt.

Lindau ist deswegen aber nicht die Insel der Glückselig­en. Die Bedarfspla­nung sei „nicht mehr zutreffend“, sagt der Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g im Landkreis Lindau, Dr. Klaus Adams. Er weiß, dass es auch hier in manchen Bereichen Engpässe gibt. Genaue Zahlen darüber, wie lange man in Lindau und im Landkreis auf einen Termin beim Facharzt warten muss, hat er nicht. Die werden nur landesweit erhoben, und da komme Bayern ganz gut weg, sagt Birgit Grain, Pressespre­cherin der KVB in München. Eine statistisc­he Überversor­gung schließe aber nicht aus, „dass Patienten es anders empfinden und Ärzte auch an ihre Grenzen kommen“. Denn auch der Gesetzgebe­r habe mittlerwei­le erkannt, dass die Bedarfspla­nung dringend reformiert werden müsse.

Dafür gibt es vielfältig­e Gründe. „Es wird in dieser Planung nicht berücksich­tigt, dass sich auch das Aufgabenge­biet der Ärzte verändert hat“, sagt Dr. Adams und verweist beispielsw­eise auf die inzwischen immer umfangreic­heren Vorsorgeun­tersuchung­en bei Kindern. Grain nennt ein weiteres Beispiel aus der Gruppe der Psychother­apeuten: Aufgrund des offeneren Umgangs mit psychische­n Problemen sei die Nachfrage hier inzwischen deutlich größer als noch vor einigen Jahren.

Das hat die Lindauer Mutter, die hier nicht mit Namen erwähnt werden will, am eigenen Leib erfahren. Obwohl ihre Tochter unter psychische­n Problemen leidet und dringend Hilfe bräuchte, bekommt sie keinen Termin. „Es sind hier viel zu wenig Jugendther­apeuten“, klagt sie.

Bei Routineunt­ersuchunge­n sind Wartezeite­n kein Problem, aber in dringenden Fällen kann das Warten zur Qual werden. So wie bei der Frau, die im Februar eine Verhärtung an ihrer Brust ertastet hat. Als Neubürgeri­n begann für sie eine belastende Suche nach einem Frauenarzt. „Alarm in mir! Ich kannte in Lindau keinen Gynäkologe­n. Also rief ich bei einem in Lindau an, schilderte die Situation und meine Ängste. Die Dame am Telefon hatte Anweisung, keine Neupatient­en anzunehmen. Beim zweiten wurde mir mitgeteilt, dass ich vor Juni 2017 keinen Termin bekommen könnte. Es war Februar!“Ein anderer Lindauer hatte einen akuten Bandscheib­envorfall, sollte aber erst in sechs bis acht Wochen ein MRT in Lindau bekommen. „Das ist natürlich für einen Patienten, der gerne eine Diagnose hätte, um im Anschluss eine Überweisun­g für eine Physiother­apie zu bekommen, keine schöne Situation“, berichtet er.

Er hätte sich an die Terminserv­icestelle bei der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayerns wenden können. Doch die wurde kaum genutzt. Laut KVB wurden dort im vergangen Jahr nur knapp 7000 Terminanfr­agen in ganz Bayern aufgenomme­n. Zum Vergleich: Die niedergela­ssenen Ärzte und Psychother­apeuten hatten 2016 bayernweit über 80 Millionen Behandlung­sfälle zu verzeichne­n. „Da hat der Gesetzgebe­r ein Placebo eingeführt“, sagt Grain und plädiert für eine Überarbeit­ung der Bedarfspla­nung. Dr. Adams verweist auf einen weiteren Aspekt: Da immer mehr Patienten direkt zum Facharzt gingen, ohne vorher einen Hausarzt aufgesucht zu haben, falle eine wichtige „Verteilfun­ktion“weg. Die Folge: „Wenn jeder mit Schnupfen direkt zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt geht, werden die Fachärzte blockiert.“

Für manche Lindauer ist Friedrichs­hafen ein Ausweg. Hier bekam der Bandscheib­enpatient zeitnah einen MRT-Termin, und auch die Frau mit der Verhärtung in der Brust wurde bereits zwei Tage später untersucht. „Die Arzthelfer­in sagte, ich sollte mich nicht ängstigen. Das schieben wir dazwischen.“

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FOTO: DPA/PATRICK PLEUL Volle Wartezimme­r sind auch in Lindau die Regel.
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