Füssener Forscher geht dem Forggensee auf den Grund
Abgelassener Stausee birgt Spuren aus römischer Zeit – Was es mit der Sage vom versunkenen Dorf auf sich hat
BRUNNEN/OSTALLGÄU - Wer im Frühjahr über den abgelassenen Forggensee wandert, begibt sich auf eine Zeitreise in eine komplett andere Welt. 1954 sind die Weiler Forggen, Brunnen und Deutenhausen für den Stausee geflutet worden. Auf dem lehmigen Grund der ehemaligen Höfe und Häuser finden sich Zeugnisse von der Steinzeit bis in die 1950erJahre des 20. Jahrhunderts.
Der Füssener Architekt und Geschichtsfreund Magnus Peresson befasst sich schon seit Jahren mit der Geschichte dieses Gebiets, haben seine Großeltern doch einst hier gelebt. Jahr für Jahr geht er dort spazieren, sucht nach Erinnerungsstücken und gibt Führungen für Interessierte.
„Mir gefällt der leere See besser als der volle“, sagt er schmunzelnd und deutet auf eine quadratische Ansammlung von Steinen. Hier, ganz in der Nähe der Schwangauer Ortschaft Brunnen, stand früher ein Hof mit dem Namen „Thadl“. 1575 gehörte der dem Füssener Postmeister Innocenz Taxis und seiner italienischen Frau. „Das ist schon spannend, dass die Venezianer hier Spuren hinterlassen haben“, sagt Peresson.
Jahrelange Prozesse
Mehrere solcher versunkener Bauernhöfe entdeckt man als Spaziergänger über den trockenen Seegrund. Viele Grundmauern aus verschiedenen Epochen sind zu sehen. Einige davon müssen schon in der Römerzeit entstanden sein. Peresson macht das an Funden wie Rohglas fest: „Das muss aus ganz früher Zeit stammen“, sagt der Füssener. Das Wasser des Forggensees tue dem Glas nichts, deswegen sei es auch heute noch so gut erhalten.
Verschwunden sind die Höfe alle beim ersten Aufstau des Sees 1954. Als Entschädigung bekamen die Anwohner neue Grundstücke oder Häuser zugesprochen. Doch nicht alle waren damit einverstanden, es folgten teils jahrelange Prozesse. Die Geschichte des Forggensees ist auch eine Geschichte von Heimatverlust.
Als Spaziergänger kommt man auch an der ehemaligen Römerstraße Via Claudia Augusta vorbei, die 46/47 nach Christus angelegt wurde. Die über 500 Kilometer lange Alpenstraße Magnus Peresson, Hobbyhistoriker
verlief von Füssen kommend höchstwahrscheinlich auch durch Forggen und Dietringen. Sie verband den süddeutschen Raum mit Norditalien. Bei abgelassenem Wasser sind Teile der Trasse bei Osterreinen (Gemeinde Rieden) auch heute noch zu erkennen.
In der Gegend des Forggensees sind viele Allgäuer Sagen entstanden, die von Mund zu Mund weitergegeben wurden. Die bekannteste ist wohl die vom versunkenen Dorf. Es erzählt von einer sündigen Gemeinde, die mitsamt ihren Anwohnern untergegangen sein soll. Die Ortsangaben waren sehr genau, südlich von Forggen sollte es liegen. Erst 1974 entdeckte man ein Dorf, das Überreste eines imposanten römischen Grundbesitzes aus dem 2. und 3. Jahrhundert, einer „Villa rustica“, darstellt: „Das Dorf ist davor nie zum Vorschein gekommen“, sagt Peresson. Er selbst hat 1976 bei den Ausgrabungen der Villa mitgeholfen. Heute sind unter anderem die Grundmauern eines Badhauses und Ofens dort zu sehen.
Ab Juni wird der Forggensee wieder voll aufgestaut sein. Dann nutzen Badegäste und Touristen das Gebiet zur Erholung. Was sich auf dem Grund verbirgt, wissen aber wohl nur die wenigsten.
„Mir gefällt der leere See besser als der volle.“