Leise Laster an der Leine
Auf einer Teststrecke bei Berlin bereitet Siemens die Praxis für Oberleitungs-Lkw vor
GROSS DÖLLN - Auf den ersten Blick sieht das Fahrzeug aus wie ein normaler Lastwagen. Dann aber entfaltet sich auf dem Dach des Fahrerhauses ein Gestänge. Der Stromabnehmer erreicht den an Masten hängenden Draht. Und los geht die elektrische Fahrt auf der Siemens-Teststrecke in Groß Dölln, 80 Kilometer nördlich von Berlin. Von den Strommasten am Rande abgesehen, sieht sie aus wie ein normales Stück Autobahn.
Oberleitungslastwagen (O-Lkw) – diese Technologie wird möglicherweise auf deutschen Autobahnen zu sehen sein. Der entscheidende Vorteil: Wenn die O-Lkw mit Ökostrom fahren, verursachen sie keine klimaschädlichen Emissionen.
Anfangs fährt der Lastzug mit der Kraft der eingebauten Elektrobatterie. Kommt die Oberleitung in Reichweite, hebt sich der Stromabnehmer. Soll der Lkw beispielsweise ein anderes Fahrzeug überholen, kann er ausscheren, und die Batterie übernimmt wieder. Die Strom-Lkw verfügen zusätzlich über konventionelle Dieselmotoren, damit sie auch längere Strecken ohne Elektrizität bewältigen können. Seit 2010 arbeiten die Siemens-Techniker daran, wie sich die Antriebe kombinieren lassen.
„Aus heutiger Sicht sind O-Lkw eine gute Sache“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, die die Teststrecke am Dienstag besuchte. Bereits ab 2018 werden zwei Autobahn-Teilstücke zu Versuchszwecken elektrifiziert: bei Lübeck und zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main Flughafen. In Schweden und den USA laufen ebenfalls Versuche. Hendricks betonte, dass der Verkehr dringend klimaschädliche Gase einsparen müsse. Dieser Sektor der Wirtschaft sei der einzige, der im Vergleich zu 1990 steigende Emissionen verzeichne. „Bedauerlich“, so die Umweltministerin. Ein Ausweg für den Gütertransport könnten die Oberleitungslaster sein.
Eine alte Technik? In den 1960erJahren fuhren O-Busse in vielen Städten, heute nur noch in wenigen. Trotzdem sei Ökostrom aus der Oberleitung die effektivste Methode, um den Kohlendioxid-Ausstoß von Lkw zu verringern, erklärte Matthias Scheffer, der Experte beim Umweltministerium. Grund: Die Energieausbeute ist höher als beispielsweise bei der Brennstoffzellen-Technologie. Für einen ausschließlichen Antrieb mittels Batterien wie bei Pkw sind Lastwagen allerdings zu schwer.
O-Lkw gelten als sinnvolle Ergänzung des Schienen-Güterverkehrs. Man nimmt an, dass die Transportleistung künftig so stark steige, dass selbst eine wachsende Bahn ihn nicht bewältigen kann. Anstatt viele neue Bahnstrecken zu bauen, heißt es im Umweltministerium, sei es billiger und einfacher, Autobahnen zu elektrifizieren.
Die Allianz pro Schiene sieht das anders: Die Bahn-Unternehmen raten, die vorhandenen Schienentrassen zu modernisieren und zu elektrifizieren.
Spediteure skeptisch
Abwartend ist die Haltung der deutschen Spediteure. „Um Fehlinvestitionen zu vermeiden“, erklärt Frank Huster, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbands. Es sei „völlig offen“, welche Technologie sich durchsetze. Dass es O-Lkw sein werden, hält Huster für „eher unwahrscheinlich“, unter anderem wegen der aufwendigen Infrastruktur, des enormen Bedarfs öffentlicher Mittel und der Konkurrenz zum Schienenverkehr.
Als Kosten für die Oberleitungen an Autobahnen wird rund eine Million Euro pro Kilometer und Richtung angegeben. Um den Großteil des Güterverkehrs zu erfassen, reiche es, maximal 5000 Kilometer deutscher Autobahnen auszurüsten, meinen Fachleute. Damit ergäben sich Gesamtaufwendungen für die Infrastruktur von rund zehn Milliarden Euro. Im Vergleich zum Bundesverkehrswegeplan, der für die kommenden Jahre 270 Milliarden Euro umfasst, eine überschaubare Summe. Allerdings würden anfangs private Investitionen für die neuen Lkw wohl staatlich bezuschusst. Langfristig soll sich die Sache für die Spediteure rechnen, weil sich Investitionen und Ersparnis – Strom ist billiger als Diesel – ausgleichen.