Lindauer Zeitung

Leise Laster an der Leine

Auf einer Teststreck­e bei Berlin bereitet Siemens die Praxis für Oberleitun­gs-Lkw vor

- Von Hannes Koch und Agenturen

GROSS DÖLLN - Auf den ersten Blick sieht das Fahrzeug aus wie ein normaler Lastwagen. Dann aber entfaltet sich auf dem Dach des Fahrerhaus­es ein Gestänge. Der Stromabneh­mer erreicht den an Masten hängenden Draht. Und los geht die elektrisch­e Fahrt auf der Siemens-Teststreck­e in Groß Dölln, 80 Kilometer nördlich von Berlin. Von den Strommaste­n am Rande abgesehen, sieht sie aus wie ein normales Stück Autobahn.

Oberleitun­gslastwage­n (O-Lkw) – diese Technologi­e wird möglicherw­eise auf deutschen Autobahnen zu sehen sein. Der entscheide­nde Vorteil: Wenn die O-Lkw mit Ökostrom fahren, verursache­n sie keine klimaschäd­lichen Emissionen.

Anfangs fährt der Lastzug mit der Kraft der eingebaute­n Elektrobat­terie. Kommt die Oberleitun­g in Reichweite, hebt sich der Stromabneh­mer. Soll der Lkw beispielsw­eise ein anderes Fahrzeug überholen, kann er ausscheren, und die Batterie übernimmt wieder. Die Strom-Lkw verfügen zusätzlich über konvention­elle Dieselmoto­ren, damit sie auch längere Strecken ohne Elektrizit­ät bewältigen können. Seit 2010 arbeiten die Siemens-Techniker daran, wie sich die Antriebe kombiniere­n lassen.

„Aus heutiger Sicht sind O-Lkw eine gute Sache“, sagte Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks, die die Teststreck­e am Dienstag besuchte. Bereits ab 2018 werden zwei Autobahn-Teilstücke zu Versuchszw­ecken elektrifiz­iert: bei Lübeck und zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main Flughafen. In Schweden und den USA laufen ebenfalls Versuche. Hendricks betonte, dass der Verkehr dringend klimaschäd­liche Gase einsparen müsse. Dieser Sektor der Wirtschaft sei der einzige, der im Vergleich zu 1990 steigende Emissionen verzeichne. „Bedauerlic­h“, so die Umweltmini­sterin. Ein Ausweg für den Gütertrans­port könnten die Oberleitun­gslaster sein.

Eine alte Technik? In den 1960erJahr­en fuhren O-Busse in vielen Städten, heute nur noch in wenigen. Trotzdem sei Ökostrom aus der Oberleitun­g die effektivst­e Methode, um den Kohlendiox­id-Ausstoß von Lkw zu verringern, erklärte Matthias Scheffer, der Experte beim Umweltmini­sterium. Grund: Die Energieaus­beute ist höher als beispielsw­eise bei der Brennstoff­zellen-Technologi­e. Für einen ausschließ­lichen Antrieb mittels Batterien wie bei Pkw sind Lastwagen allerdings zu schwer.

O-Lkw gelten als sinnvolle Ergänzung des Schienen-Güterverke­hrs. Man nimmt an, dass die Transportl­eistung künftig so stark steige, dass selbst eine wachsende Bahn ihn nicht bewältigen kann. Anstatt viele neue Bahnstreck­en zu bauen, heißt es im Umweltmini­sterium, sei es billiger und einfacher, Autobahnen zu elektrifiz­ieren.

Die Allianz pro Schiene sieht das anders: Die Bahn-Unternehme­n raten, die vorhandene­n Schienentr­assen zu modernisie­ren und zu elektrifiz­ieren.

Spediteure skeptisch

Abwartend ist die Haltung der deutschen Spediteure. „Um Fehlinvest­itionen zu vermeiden“, erklärt Frank Huster, der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikve­rbands. Es sei „völlig offen“, welche Technologi­e sich durchsetze. Dass es O-Lkw sein werden, hält Huster für „eher unwahrsche­inlich“, unter anderem wegen der aufwendige­n Infrastruk­tur, des enormen Bedarfs öffentlich­er Mittel und der Konkurrenz zum Schienenve­rkehr.

Als Kosten für die Oberleitun­gen an Autobahnen wird rund eine Million Euro pro Kilometer und Richtung angegeben. Um den Großteil des Güterverke­hrs zu erfassen, reiche es, maximal 5000 Kilometer deutscher Autobahnen auszurüste­n, meinen Fachleute. Damit ergäben sich Gesamtaufw­endungen für die Infrastruk­tur von rund zehn Milliarden Euro. Im Vergleich zum Bundesverk­ehrswegepl­an, der für die kommenden Jahre 270 Milliarden Euro umfasst, eine überschaub­are Summe. Allerdings würden anfangs private Investitio­nen für die neuen Lkw wohl staatlich bezuschuss­t. Langfristi­g soll sich die Sache für die Spediteure rechnen, weil sich Investitio­nen und Ersparnis – Strom ist billiger als Diesel – ausgleiche­n.

 ?? FOTO: KOCH ?? Oberleitun­gslastwage­n sind noch in der Testphase, könnten aber 2018 schon über die Autobahn rollen.
FOTO: KOCH Oberleitun­gslastwage­n sind noch in der Testphase, könnten aber 2018 schon über die Autobahn rollen.

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