Lindauer Zeitung

Einblicke in eine multikultu­relle Welt

Ausstellun­g in Konstanz beleuchtet Alltag der Juden in der mittelalte­rlichen Stadt

- Von Helmut Voith

KONSTANZ - Zu seinem 25-jährigen Jubiläum hat das Archäologi­sche Landesmuse­um (ALM) in Konstanz eine Sonderauss­tellung ausgericht­et, die eigentlich gar nicht ins Konzept passt. Zudem ist sie die teuerste in seiner Geschichte, dafür kann sie aber mit besonders kostbaren Exponaten zu einem Thema von allgemeine­r Bedeutung aufwarten: „Zu Gast bei Juden – Leben in der mittelalte­rlichen Stadt“.

Keine Grabungen liegen der Ausstellun­g zugrunde, sondern zehn Jahre intensiver Forschung des Exzellenzc­lusters „Kulturelle Grundlagen von Integratio­n“der Universitä­t Konstanz. Diese sei auf das ALM zugekommen, um die Ergebnisse der umfangreic­hen Recherche gemeinsam zu präsentier­en. Die Ausstellun­g beleuchtet die Themenbere­iche Aussehen (Kann man Juden anhand ihres Aussehens identifizi­eren?), Wirtschaft (Waren sie nur Geldverlei­her?), Alltag (Positive Seiten und Konflikte), Wohnen und Religion und geht auch auf Verfolgung, Folter und Tod ein.

Perfekt integriert­e Bürger

Wie Dorothea Weltecke, Professori­n für die Geschichte der Religionen, erläuterte, zeigt die Ausstellun­g grundsätzl­ich die Perspektiv­e der Juden auf ihre Welt und nicht einen Blick von außen. Dabei musste leider fast ausschließ­lich auf christlich­e Quellen zurückgegr­iffen werden, da sich nur ganz wenige jüdische erhalten haben. Bei der Erforschun­g des Alltags der Juden im Spätmittel­alter im erweiterte­n Bodenseera­um stellten Weltecke und ihre Studenten mit Überraschu­ng fest, wie multirelig­iös und multikultu­rell diese mittelalte­rliche Welt zwischen 1200 und 1450 war.

Die Juden lebten keineswegs in abgeschlos­senen Ghettos, sondern kauften sich Häuser mitten unter den anderen, Äußeres und Raumauftei­lung waren nicht von den christlich­en Nachbarn zu unterschei­den. Die Nachbildun­g eines gotischen Zimmers aus einem jüdischen Haus in Zürich zeigt die gleichen Malereien, die gleiche Mode, das gleiche Interesse für Minnesänge­r, für Literatur: Das „jüdische Gesicht der gotischen Welt“unterschei­det sich nur in den Wappen und bestimmten Symbolen vom christlich­en. Obwohl im „Schwabensp­iegel“eine Kennzeichn­ung der Kleidung vorgeschri­eben war, habe man sich im Bodenseera­um nicht daran gehalten. Juden hätten den Judenhut nicht zur Diskrimini­erung, sondern allenfalls aus Stolz getragen, als Zeichen für ihre Zuverlässi­gkeit bei Verträgen.

Dennoch störten Wellen der Gewalt das eigentlich friedliche Miteinande­r und im 15. Jahrhunder­t wurden die Juden aus den Städten vertrieben. Es war überhaupt eine sehr unruhige, gewaltbere­ite Zeit. Thronpräte­ndenten bekämpften sich, Zünfte wandten sich gegen die Patrizier, Städte gegen andere Städte – das relativier­t die Judenpogro­me. Der deutschen Oberschich­t jedenfalls nutzten die vernetzten Kontakte der Juden. Ein Problem ist, dass Quellen kaum den Alltag, sondern meist nur die Konflikte enthalten, so dass auch noch so intensive Recherchen lückenhaft bleiben.

Als Leihgaben für die Schau wurden aus dem Bodenseera­um stammende Exponate zusammenge­führt, die heute von Budapest bis London verstreut sind. Da sind Feierabend­ziegel vom Grünen Turm in Ravensburg ebenso zu sehen wie einige wenige Alltagsgeg­enstände und zahlreiche Urkunden und Siegel, die auf jüdische Herkunft hinweisen. Glanzlicht­er sind hebräische Prachthand­schriften, die in Konstanz oder in Nachbarstä­dten hergestell­t wurden.

 ?? FOTO: UNIBIB DARMSTADT ?? Die Schau in Konstanz vereint zahlreiche prachtvoll­e Handschrif­ten. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Blatt der Darmstädte­r Haggadah (14. Jahrhunder­t) zum jüdischen Pessachfes­t.
FOTO: UNIBIB DARMSTADT Die Schau in Konstanz vereint zahlreiche prachtvoll­e Handschrif­ten. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Blatt der Darmstädte­r Haggadah (14. Jahrhunder­t) zum jüdischen Pessachfes­t.

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