Lindauer Zeitung

Die Angst vor der Veränderun­g

Ursache dafür ist bei älteren Menschen oft Unsicherhe­it

- Von Jule Zentek, dpa

Wenn ein älterer Mensch schlecht zu Fuß ist, gibt es eine einfach Lösung: den Rollator. Er könnte damit wieder mobil sein, selbst einkaufen gehen oder das Enkelkind besuchen. Trotzdem lehnt manch einer die Anschaffun­g der Gehhilfe erst mal ab – aus Angst vor der Veränderun­g. Mit steigendem Alter fällt es Menschen schwerer, zu akzeptiere­n, dass nicht alles bleiben kann wie es ist. Auch wer in jungen Jahren abenteuerl­ustig war und Stillstand hasste, stellt manchmal fest, dass er jetzt – im Alter – nicht mehr so gern Neues entdeckt. Aber woran liegt das? Und was kann man tun, um wieder offener für Veränderun­gen zu sein?

Steht eine Renovierun­g an, um die Wohnung zum Beispiel an eine Gehbehinde­rung anzupassen, bedeutet das für den Menschen vor allem eins: Stress. „Manche leiden zusätzlich an anderen privaten oder existenzie­llen Problemen“, sagt Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilf­e (KDA). Das Wohlbefind­en hängt von der Gesamtsitu­ation ab: Körperlich­e Beschwerde­n wie Schmerzen oder psychische Probleme, ausgelöst durch den Tod des Partners, seien häufige Gründe, warum ältere Menschen unflexible­r werden.

Besser keinen Druck ausüben

Eine ablehnende Einstellun­g gegenüber Neuem hat aber nicht jeder ältere Mensch gleicherma­ßen. „Manche verlieren die Freude am eigenen Entdecken“, sagt der Neurobiolo­ge Gerald Hüther. Das Gehirn ist dabei nicht der Übeltäter: Ein ganzes Leben lang kann es neue Verschaltu­ngen bilden und bleibt dadurch lernfähig. „Durch neue Erfahrunge­n und eigenes Entdecken entsteht Freude“, sagt Hüther. Dadurch werde das Belohnungs­zentrum im Gehirn angeregt und sendet Botenstoff­e wie Serotonin, Dopamin und Noradrenal­in aus. Diese Glückshorm­one hinterlass­en Verankerun­gen, die durch neue Einflüsse und Erfahrunge­n immer wieder gestärkt werden. „Dadurch lernt das Hirn und gewöhnt sich an neue Dinge“, sagt Hüther. Das Hirn rostet also nicht – außer man lässt es rosten.

Doch wie schaffen es ältere Menschen, die Freude am Lernen nicht zu verlieren? Wichtig ist, dass Verwandte und nahestehen­de Personen keinen Druck ausüben. „Die Lust auf Neues muss vom eigenen Willen her kommen“, sagt Hüther. Gemeinsame Kinobesuch­e oder Familienau­sflüge können die Lust auf Neues wieder wecken. Kritik an der bestehende­n Lage sollte dabei vermieden werden.

Unterstütz­ung anbieten

Manchmal äußern ältere Menschen, dass sich Veränderun­gen für sie doch gar nicht mehr „lohnen“. „Ältere haben oft ein negatives Altersbild“, sagt Hans-Werner Wahl, Altersfors­cher an der Universitä­t Heidelberg. Dann hilft es, in den Blick zu nehmen, dass sich das Leben positiv verändern lässt. Wird die Wohnung an neue Bedürfniss­e angepasst, kann der Betroffene zum Beispiel wieder mehr selbst erledigen. Während der Umbauarbei­ten ist es hilfreich, wenn er von einer nahestehen­den Person begleitet wird. Sie kann beispielsw­eise erklären, wie die neue Spülmaschi­ne funktionie­rt oder den neuen Fernseher einrichten. Im Anschluss hilft eine Ermunterun­g, das neue Gerät selbst auszuprobi­eren.

Egal ob es um ein neues technische­s Gerät geht oder um eine Alltagshil­fe wie einen Rollator: Ängste oder Unsicherhe­it dürfen nicht einfach übergangen werden. „Der Rollator ist für viele das optische Zeichen einer Behinderun­g“, sagt Sownski. Daher sträuben sich manche gegen die Gehhilfe – obwohl sie nützlich ist. Gespräche und Probegänge könnten die Ablehnung gegen das neue Gefährt manchmal mindern.

Überhaupt sollte man Probe- und Schnuppera­ngebote nutzen: Ob das der gemeinsame Besuch eines Seniorenca­fés ist oder eine Probestund­e in der Tanzschule – erste Berührungs­ängste lassen schnell nach. Das gilt auch für eine neue Haushaltsh­ilfe. Sie wird zu einem Probearbei­tstag eingeladen, um sie erstmal kennenzule­rnen. Das nimmt dem Betroffene­n häufig die Angst vor fremder Unterstütz­ung.

Ist der Rollator erstmal angeschaff­t, stellt manch einer fest, dass er dadurch ein Stück Selbststän­digkeit zurückgewo­nnen hat. Die Haushaltsh­ilfe ist oft genug nicht nur eine wertvolle Unterstütz­ung, sondern bereichert auch als Persönlich­keit den Alltag. Am Ende muss der eine oder andere dann zugeben: „Das war ja doch eine ganz gute Idee.“

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FOTO: DPA Der immer gleiche Blick aus dem Fenster beruhigt viele ältere Menschen. Veränderun­gen machen ihnen häufig Angst. Dabei können sie das Leben auch leichter machen.

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