Lindauer Zeitung

Wie Eltern für die Flüchtling­e sein

Psychother­apeut Wielant Machleidt spricht über die Angst vor dem Fremden und wie man sie bekämpft

- Von Andreas Schwarzbau­er

LINDAU (andy) - Wie Eltern sollten die Deutschen für die Flüchtling­e sein, ist das Fazit des Vortrags von Wielant Machleidt bei der Psychother­apietagung in Lindau. Sie sollen sich um die Migranten kümmern und sie begleiten. Dann kann sich eine neue bikulturel­le Gesellscha­ft mit Vorteilen für alle entwickeln, ist der Psychother­apeut überzeugt.

In seinem Vortrag am Dienstag über das Thema „Die Angst vor den Flüchtling­en in Politik und Gesellscha­ft“erklärt Machleidt zunächst, wie die Angst und der Hass auf Einwandere­r entstehen. Es gibt für ihn das Fremde im Jenseits oder im unbekannte­n Draußen. Ein Problem gibt es erst, wenn das Fremde wie bei der Flüchtling­skrise in den eigenen Raum einbricht. Oft gibt es ein unüberbrüc­kbare Nichtverst­ehen des Anderssein­s. Trifft das mit einem brüchigen Selbstwert­gefühl zusammen, kann Fremdenfei­ndlichkeit entstehen, so Machleidt.

Hinzu kommt, dass viele Menschen die Flüchtling­e als Konkurrent­en um die Ressourcen einer Gesellscha­ft, wie Wohnraum, Arbeitsplä­tze oder Sozialleis­tungen, wahrnehmen. Dieser sogenannte Revierrefl­ex ist für Machleidt allerdings nichts Neues, sondern „eine Konstanze in der Anthropolo­gie“. Es entstehen „Bedrohungs­fantasien mit vagen Realitätsc­harakter“. Das kann man seiner Meinung nach am besten durch reale Erfahrunge­n bekämpfen. Er sagt: „Die Dynamik zwischen eigen und fremd wird immer neu ausbalanci­ert.“

Situation vergleichb­ar mit Erwachsenw­erden

Die Situation der Flüchtling im Ankunftsla­nd vergleicht Machleidt mit dem Erwachsenw­erden. Wie sich der Jugendlich­e vom Elternhaus löst und eine eigenständ­ige Persönlich­keit entwickelt, müssen sich auch die Einwandere­r vom Heimatland lösen und eine neue Identität entwickeln. Machleidt betont: „Migranten wollen sich integriere­n und nicht assimilier­en.“Dafür benötigen sie Unterstütz­ung. Die Gesellscha­ft muss Ziele formuliere­n und den Rahmen vorgeben.

Er glaubt, dass es bei weiten Teilen der Bevölkerun­g die Bereitscha­ft gibt, diese Elternfunk­tion einzunehme­n. Das zeigt die Willkommen­skultur aus dem Sommer 2015. Sie ist für Machleidt keineswegs aus reiner Nächstenli­ebe entstanden. Vielmehr setzen Migranten soziales Kapital gewinnbrin­gend zum Nutzen aller ein.

Allerdings gibt es auch eine Grenze für die Aufnahme: Sobald soziales Vertrauen verloren geht, sinkt die Kooperatio­nsbereitsc­haft untereinan­der. Deshalb seien hohe soziale Investitio­nen der Politik nötig.

Die Flüchtling­skrise zeigt zudem ein Paradoxon der liberalen Demokratie­n. Einerseits propagiere­n sie die Öffnung der Grenzen und die universell­en Menschenre­chte. Anderseits räumen sie ihren Bürgern exklusives Recht, wie das Wahlrecht oder Sozialleis­tungen, ein und setzen so wieder Grenzen. Machleidt sagt: „Liberale Demokratie­n kommen aus dem Herumeiern zwischen Öffnung und Abschottun­g nicht heraus.“Aber diese Ambivalenz müsse man aushalten.

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FOTO: ANDY Wielant Machleidt spricht über „Die Angst für Flüchtling­en in Politik und Gesellscha­ft“.

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