Lindauer Zeitung

Pfleger soll sich an Autistin vergangen haben

Amtsgerich­t verhandelt sexuellen Übergriff

- Von Gunnar M. Flotow

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein Krankenpfl­eger muss sich seit Dienstag vor dem Amtsgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, sich an einer pflegebedü­rftigen Frau vergangen zu haben. Ein Urteil erging noch nicht. Die Verhandlun­g wird am 25. April mit einem Termin am vermeintli­chen Tatort fortgesetz­t.

„Versuchter sexueller Missbrauch von von Kranken und Hilfsbedür­ftigen in Einrichtun­gen“: So lautet die juristisch­e Formulieru­ng für eine Straftat, die ein 55-jähriger Pfleger in einem Heim im Bodenseekr­eis begangenen haben soll. Konkret handelt es sich um einen Vorfall vom Abend des 20. Juli 2016. Es ist gegen 18.30 Uhr, als ein Heilerzieh­er das Zimmer einer schwer behinderte­n, autistisch­en Frau aufsucht. Er vermutet die 36-Jährige im Badezimmer und öffnet die Schiebetür. Was er dann sieht, schockiert ihn. Die Frau ist über die Toilette gebeugt, die Hose bis zu den Knien hinunterge­lassen, hinter ihr steht ein Kollege in eindeutige­r Position. Beide erschrecke­n. Sie zieht die Hose hoch, der Kollege dreht ihm schnell den Rücken zu. Im Spiegel jedoch sieht der Heilerzieh­er, dass bei seinem Kollegen die Hose geöffnet ist – und dass er erregt ist. Anschließe­nd löst sich die Situation auf, ohne dass gesprochen wird. Die beiden Betreuer verlassen das Zimmer und verrichten ihre Arbeit weiter. Erst nach Dienstschl­uss ruft der Heilerzieh­er seinen Vorgesetzt­en an und bittet um ein Gespräch. Dort schildert er, was er beobachtet hat. Diese Version des vermeintli­chen Tatablaufs, die er schon während der polizeilic­hen Ermittlung­en geschilder­t hatte, hielt der Heilerzieh­er auch vor Gericht aufrecht. Zur Hauptverha­ndlung war es gekommen, weil der beschuldig­te Kollege Einspruch gegen einen Strafbefeh­l eingelegt hatte. Dessen Inhalt: neun Monate Gefängnis auf Bewährung.

„Mir ist sehr wohl bewusst, was das auslöst. Aber ich würde das jederzeit wieder tun, denn was hier gelaufen ist, ist ein No-go“, betonte der Hauptzeuge. Er sei sich hundertpro­zentig sicher, was er gesehen habe. Warum er nicht gleich den Kollegen zur Rede gestellt hat? „Ich war verwirrt, wütend und auch geschockt.“

Der Angeklagte wies die Beschuldig­ungen vehement zurück und erklärte wortreich, wie jener Tag im Juli abgelaufen sei. Schon mittags, als die Arbeiten verteilt wurden, sei eine „ganz spezielle Situation“im vierköpfig­en Kollegenkr­eis entstanden. Er deutete an, dass der Heilerzieh­er nicht zufrieden gewesen sei mit der ihm zugewiesen­en Aufgabe.

Blick in die Unterhose

Am Abend, sagte der 55-Jährige, habe er die behinderte Frau zu ihrem Zimmer begleitet, um nachzuscha­uen, ob sie ihre Regelblutu­ng habe. Das sei ein durchaus üblicher Vorgang, bekräftigt­e er, geschlecht­ergetrennt werde in der Einrichtun­g nicht gearbeitet. Er habe sie aufgeforde­rt, ihm ihre Unterhose zu zeigen. Als sie die Hose wieder hochzogen habe, sei der Heilerzieh­er in der Tür erschienen. Auch der Angeklagte sagte aus, dass zunächst nichts gesprochen worden sei und der Dienst „normal“zu Ende gegangen sei. Als dann um 20.15 Uhr sein Telefon geklingelt habe und er mit dem angebliche­n Übergriff konfrontie­rt wurde, sei er „völlig sprachlos“gewesen.

Der 55-Jährige erklärte, dass er sich als Opfer einer Falschbesc­huldigung sieht – und ging in die Offensive. Seinem Kollegen warf er vor, alkoholkra­nk zu sein und nannte ihn „eine Person, zu der ich nicht gerade die Nähe suche“. Zudem pflege er ein „distanzlos­es Verhältnis“zum vermeintli­chen Opfer.

Einen Anhaltspun­kt für ein Motiv, eine Falschauss­age abzugeben, lieferte die Verhandlun­g am Dienstag nicht. Sowohl der Heilerzieh­er als auch die Vorgesetzt­en wollen von Konflikten im Verhältnis der beiden nichts bemerkt haben.

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