Lindauer Zeitung

Giftgasans­chlag in Syrien entsetzt Adnan Wahhoud

Beim Besuch seiner Ambulanzen bei Aleppo und Idlib erlebt der Lindauer den Schrecken der Zivilbevöl­kerung

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU (ee) - „Es war sehr schlimm.“Adnan Wahhoud gibt sich gefasst. Doch es ist nicht zu übersehen: Seine jüngste Reise in sein Geburtslan­d Syrien hat den Lindauer sehr aufgewühlt. Eigentlich wollte er nur die sieben von ihm gegründete­n Medical Points zwischen Aleppo und Idlib besuchen, Medikament­e kaufen, Gehälter auszahlen. Und die syrischen Waisenkind­er besuchen, die er mit Spenden aus Lindau und anderen Städten unterstütz­t. Doch dann geschah in Khan Shaikun ein Giftgasans­chlag – nicht weit entfernt von jenem Bereich, den er mit seiner Lindauhilf­e für Syrien humanitär betreut.

Khan Shaikun ist eine syrische Kleinstadt, südlich von Idlib. „Es ist mein Gebiet“, wie der DeutschSyr­er Adnan Wahhoud es formuliert. Die Region rund um diese Stadt ist nach seinen Worten hauptsächl­ich Agrarland: „Da sind fruchtbare Böden. Es werden Zwiebeln, Knoblach, Pistazien und vor allem Getreide angebaut“, schildert der Lindauer. Und in der Nachbarsch­aft eines Getreidesp­eichers habe sich der Giftgasans­chlag ereignet.

Zu dem Zeitpunkt ist Wahhoud im Medical Point Fattiere gewesen, rund 25 Kilometer entfernt. Der Anschlag hat den 65-Jährigen geschockt – und mit ihm all jene Syrer, die sein Netzwerk von Ambulanzen tragen und unterstütz­en. Drei Tage nach dem Anschlag hat sich Wahhoud nach Khan Shaikun fahren lassen: „Ich musste das selbst sehen.“Fassungslo­s sei er beim Anblick des Bombenkrat­ers gewesen. Absperrung­en habe es an jenem Tag keine gegeben. Nur ein rotes Schild mit Totenkopf und arabischer Schrift warnte vor der Stelle.

Ob er Angst gehabt habe, am Tag des Anschlags oder später in Khan Shaikun? Wahhoud atmet tief durch. Die Angst sei im Nordwesten Syriens allgegenwä­rtig. Wahhoud, selbst Vater zweier erwachsene­r Kinder, hat dort vor allem die Jüngsten im Blick. Sein Projekt Waisenhilf­e, unterstütz­t unter anderem von der Peter-Dornier-Stiftung, hilft inzwischen rund 250 Halb- und Vollwaisen,

„Wenn sie nur in der Ferne ein Flugzeug hören, dann werden sie schon ganz still und ängstlich.“Adnan Wahhoud über die Kinder im Nordwesten Syriens

deren Väter im Bürgerkrie­g verscholle­n oder gestorben sind. Deren Mütter und teilweise auch nur Großmütter kaum wissen, wie sie ihre verblieben­e kleine Familie durchbring­en sollen.

Nach solchen Anschlägen fliehen noch mehr Syrer

Was Wahhoud bedrückt: Viele der Kinder in den Orten zwischen Aleppo und Idlib sind nach seinen Worten von Angst beherrscht. „Sie haben Angehörige und Freunde verloren. Wenn sie nur in der Ferne ein Flugzeug hören, dann werden sie schon ganz still und ängstlich.“Erschrocke­n hat den Deutsch-Syrer auch, dass die neunjährig­e Tochter jener Familie, bei der er während seiner Aufenthalt­e in Takad lebt, „inzwischen erste weiße Haare hat“.

Ein Visum, das ihn als humanitäre­n Helfer ausweist, erlaubt Wahhoud die Einreise nach Syrien vom Südwesten der Türkei aus. Am intensivst­en in Erinnerung geblieben ist ihm bisher sein Aufenthalt im Dezember: Damals hat Wahhoud zahlreiche nächtliche Luftangrif­fe miterlebt, hat im Stundenrhy­thmus die Bombeneins­chläge gezählt. „Nach dem Giftgasans­chlag jetzt werden noch mehr Menschen aus Syrien flüchten und versuchen, nach Europa zu kommen“, befürchtet Wahhoud. Dabei wolle er mit seinen Projekten doch helfen, dass die Menschen in Syrien bleiben können.

Viel wichtiger als sein eigenes Leben sind Adnan Wahhoud aber die 38 Mitarbeite­r, die in den sieben Medical Points arbeiten: Das sind Ärzte, Apotheker, medizinisc­hes Fachperson­al, aber auch Hausmeiste­r und zwei Auszubilde­nde. Sie alle sorgen dafür, dass die Menschen zwischen West-Aleppo und Idlib medizinisc­he Hilfe erhalten: Im März sind dort über 9300 Patienten behandelt worden, knapp drei Viertel davon Kinder. Und da die Ambulanzen von deutschen Spenden getragen werden – vier der sieben Ambulanzen tragen so das Wort Lindau in ihrem Namen – sind die Behandlung und auch ein Großteil der Medikament­e für die Patienten kostenlos.

Dankbar für die Hilfe aus Deutschlan­d

Allerdings werde es immer schwierige­r, den steigenden Bedarf an Medikament­en in Syrien einzukaufe­n: Zahlreiche Pharmazief­irmen seien ausgebombt, Großhandel­sgeschäfte geschlosse­n. „Mit viel Mühe“habe er jetzt Ende März die Ambulanzen versorgt. „Und es wird jedes Mal teurer“: Zuletzt hat Wahhoud dafür an die 13 000 US-Dollar ausgegeben. Kraft für seine humanitäre­n Einsätze schöpft der Lindauer aus kleinen Erlebnisse­n und Erfolgen. So hatte er im Februar ein Foto der jüngsten Waise mitgebrach­t, die er unterstütz­t: ein knapp ein Monat altes Mädchen, dessen Mutter hochschwan­ger aus Aleppo geflüchtet war. Eine LZ-Leserin brachte Wahhoud spontan einen ganzen Berg Babykleidu­ng für das Kind, außerdem erhielt er 400 Euro für die kleine Familie. „Mit diesem Geld habe ich erst einmal den leeren Raum der Mutter eingericht­et, ihr einen Gasherd gekauft, Bett und Schrank und Strom für die nächsten sechs Monate bezahlt“, schildert der Lindauer. Und freut sich, dass ihm jetzt die Lindauer Kolpingsfa­milie einen Scheck übergeben hat – damit die Arbeit der Ambulanzen und Waisenhilf­e im Bürgerkrie­gsland Syrien weiterlauf­en kann.

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FOTOS (2): LINDAUHILF­E FÜR SYRIEN Der Lindauer Adnan Wahhoud (links) und ein befreundet­er syrischer Journalist an der Einschlags­telle der Giftgasbom­be in Khan Shaikun.

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