Der Kampf um die Deutungshoheit in Syrien
Syriens Machthaber Baschar alAssad hat den mutmaßlichen Chemiewaffenangriff von Chan Scheichun als zu „hundert Prozent konstruiert“bezeichnet. Assad warf dem Westen und vor allem den USA in einem Exklusivinterview mit der Nachrichtenagentur AFP in Damaskus vor, den angeblichen Chemiewaffenangriff als „Vorwand“für den US-Luftangriff auf die syrische Armee genutzt zu haben.
Den Vorwurf westlicher Länder, die syrische Luftwaffe habe den Chemiewaffenangriff auf Chan Scheichun geflogen, wies er zurück: „Wir haben unser Chemiewaffenarsenal vor ein paar Jahren aufgegeben.“Selbst wenn Damaskus solche Chemiewaffen noch hätte, hätte es diese „nie“eingesetzt. Syrien habe noch nie Chemiewaffen eingesetzt.
Der französische Außenminister Ayrault kritisierte Assads Äußerungen scharf. „Das sind hundert Prozent Lügen und Propaganda“, sagte Ayrault in Peking und spiegelte damit die Rhetorik Assads wider. „Das sind hundert Prozent Grausamkeit und Zynismus“, fügte Ayrault hinzu. „Die Realität ist, dass mehr als 300 000 Menschen gestorben sind, elf Millionen Menschen vertrieben wurden, Zehntausende in syrischen Gefängnissen sitzen und ein Land zerstört wurde.“
Assad sagte AFP ferner, dass er nur einer „unabhängigen“externen Untersuchung des mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs zustimmen werde. „Wir können eine Untersuchung nur erlauben, wenn sie unabhängig ist“, sagte er. Unparteiische Länder müssten Teil einer solchen Untersuchung sein, um sicherzustellen, dass diese „nicht zu politischen Zwecken“genutzt werde.
Zur Klärung sagte Assads Regierung nun der Organisation für das Verbot chemischer Waffen ihre Unterstützung zu. „Wir werden alles fördern, was zum Erfolg führt, einen objektiven Bericht zu ermöglichen“, sagte Syriens Außenminister Walid al-Muallim laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax.
Der Westen wirft der syrischen Luftwaffe vor, am 4. April einen Giftgasangriff auf die Kleinstadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens geflogen zu haben. Dabei waren nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte 87 Zivilisten getötet worden, unter ihnen 31 Kinder.
Ärzte und Aktivisten vor Ort bezeichneten die Symptome der Opfer als typisch für Giftgas. Ein AFP-Reporter in Chan Scheichun sah in einer Klinik Tote mit Schaum vor dem Mund und Ärzte, die versuchten, Menschen wiederzubeleben. Die Bilder der Toten und der leidenden Menschen hatten weltweit für Entsetzen gesorgt. Moskau und Damaskus hatten jegliche Verantwortung für den Chemiewaffenangriff bestritten und zunächst mitgeteilt, bei einem Luftangriff sei ein Giftgaslager der Rebellen getroffen worden.
Assad sprach in diesem Zusammenhang von „Fake Videos“, von denen es viele gebe. „Wir wissen nicht, ob diese toten Kinder in Chan Scheichun getötet wurden. Waren sie überhaupt tot?“Die Angaben zu dem Giftgasangriff stammten ausschließlich vom syrischen Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front, sagte Assad.
Als Vergeltung griffen die USA einen syrischen Luftwaffenstützpunkt mit Marschflugkörpern an. Es war der erste direkte Angriff der USA auf Syriens Regierungstruppen. (afp)