Lindauer Zeitung

Mit Riesen-Wattestäbc­hen und Spucke

Wie man das New Yorker Museum of Modern Art entstaubt, zeigt jetzt ein Kunstproje­kt

- Von Christina Horsten

NEW YORK (dpa) - Die staubigste Stelle des Moma liegt direkt hinter dem Eingang rechts, ein Entlüftung­sgitter in einer Wand neben der Ausgabeste­lle für Audio-Führungen. „In dem Raum dahinter ist unser Lichtsyste­m installier­t und die Hitze zieht den Staub an“, sagt Nelson Nieves, stellvertr­etender Gebäudever­walter des Museum of Modern Art in New York. „Hier wird zwar mehrmals die Woche gereinigt, aber wenn ich mir all diesen Staub anschaue, dann ist das wahrschein­lich genug für eine Perücke.“

Rund drei Millionen Menschen aus der ganzen Welt besuchen jedes Jahr das Moma mitten in Manhattan – und bringen unter anderem Pollen, Dreck und Hautpartik­el mit in das Gebäude. „Eine ganze Menge Staub bekommt mit uns freien Eintritt ins Moma“, sagt Nina Katchadour­ian. Vor zwei Jahren bat das Moma die 1968 in Kalifornie­n geborene Künstlerin um die Entwicklun­g eines Projekts. Monatelang sprach sie mit Mitarbeite­rn des Museums über deren Arbeit und ein Thema kristallis­ierte sich immer weiter heraus: Staub.

„Ja, mein erstes großes MomaProjek­t dreht sich komplett um Staub“, sagt Katchadour­ian. „Ich mag es, die großen Themen über die kleinen und beobachtba­ren anzugehen.“Herausgeko­mmen ist die Audio-Führung „Dust Gathering“, die Besuchern in 14 Kapiteln die staubige Geschichte des Moma erzählt.

„Staub besteht aus Material von drinnen und draußen, von der Erde und aus dem Weltall, von hoch und von niedrig gelegenen Orten und im Moma ist es wirklich ein Gemisch aus Besuchern aus der ganzen Welt“, sagt Katchadour­ian. „Im Staub kommen wir alle zusammen.“Gleichzeit­ig müsse der Staub aus einem Kunstmuseu­m aber auch dringend wieder raus. „Staub ist schlecht für Kunstwerke, weil er Feuchtigke­it aus der Luft aufnimmt, und das kann für einige Kunstwerke sehr schädlich sein.“

Fünf gigantisch­e Filtermasc­hinen im Keller regulieren die Luft im Moma, wie Gebäudeman­ager Nieves erzählt. Luft wird von draußen hereingeso­gen, mehrmals gefiltert und dann in die Räume geschleust. Um die wertvolle Kunst zu schützen, werden die Temperatur beständig auf 21 Grad Celsius und die Luftfeucht­igkeit auf 50 Prozent gehalten.

Der Staub wirbelt durch das ganze Gebäude, vor allem durch das sechsstöck­ige Atrium – und trotz täglicher Reinigung gibt es Problemste­llen. Zum Beispiel die erste Etage, wo sich die Eingangstü­ren und die Türen zum Skulpturen­garten befinden und manchmal mehr als 12 000 Menschen am Tag durchkomme­n.

Oder ein normaler Fenstervor­sprung im vierten Stock, den zwei MomaMitarb­eiter alle drei Monate nur mit Hilfe einer neun Meter hohen ausfahrbar­en Leiter abstauben können. „Dieser Fenstervor­sprung hat das ganze Projekt inspiriert“, erzählt Künstlerin Katchadour­ian. „Ich liebe diesen Staub, weil es so wirkt, als ob er hier nicht hingehört. Es scheint so, als ob der Staub damit durchkommt, dass er hier einfach so bestens sichtbar abhängt. Aber die Museumswär­ter haben mir erzählt, dass sich die Besucher manchmal beschweren, weil der Vorsprung so staubig ist.“

Anny Aviram arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Restaurato­rin am Moma und hat längst ihre ganz eigene Methode zum Abstauben: Spucke.

Nina Katchadour­ian, Künstlerin

„90 Prozent unserer Spucke ist Wasser, dann noch ein bisschen Enzyme und Mineralien. Wir reinigen Bilder hier oft mit Spucke, wir nennen das eine Enzym-Lösung. Es ist aber nicht einfach darüber zu reden, weil das so eine merkwürdig­e Konnotatio­n hat.“Aviram rollt sich einen Tupfer aus Baumwolle, befeuchtet ihn mit ihrer Spucke und reinigt dann Millimeter um Millimeter ein Kunstwerk, bevor sie mit einem trockenen Tuch noch einmal drüberwisc­ht. So staubt Aviram zum Beispiel auch die vielen großen Werke von Pablo Picasso (1881-1973) im Moma ab, die Millionen wert sind. „Seitdem ich das gehört habe, muss ich jetzt immer daran denken, wenn ich einen Picasso anschaue“, kommentier­t Künstlerin Katchadour­ian.

Extrem schwer zu reinigen ist auch ein Hubschraub­er, der im Moma an der Decke hängt. „Wo die Kabel von der Aufhängung in die Wand gehen, da ist sehr viel Staub“, sagt Gebäudeman­ager Nieves. „Auch die Oberseite der Flügelblät­ter ist fast unmöglich abzustaube­n. Es macht mich fertig, weil ich da nicht hinkomme. Der Staub sitzt da und lacht mich aus.“Viermal im Jahr nähern sich zwei Moma-Mitarbeite­r dem „Bell 47D1“-Hubschraub­er mit einer ausfahrbar­en Leiter und stauben ihn mit einer Art riesigem Wattestäbc­hen ab.

„Im Moma ist es wirklich ein Gemisch aus Besuchern aus der ganzen Welt.“

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FOTO: DPA Nina Katchadour­ian ist Künstlerin und Kuratorin der Audio-Führung „Dust Gathering“.

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