Am Anfang ist alles schon vorbei
„Der Kirschgarten“kommt in Stuttgart als grelle Pop-Farce daher
diese kapriziöse Person, die sich weigert, ihrem Bankrott ins Auge zu sehen. Das nimmt man dieser Darstellerin ab. Der Regisseur müsste sie dazu nicht auch noch als dumme Pute über die Bühne stöckeln lassen. Doch leider muss auch sie – wie alle anderen Darsteller – ihre Figur viel zu oft in die Karikatur treiben.
Ein langer Theaterabend
Das Stück mit dem letzten, dem vierten Akt beginnen zu lassen, ist ein gähnend langweiliger Einstieg in diesen Theaterabend. Erst in den folgenden Stunden (es werden am Ende dreieinhalb sein!) lernen wir die Gesellschaft kennen, die da auf der schrägen Bühne, umgeben von hohen Wänden vor sich hindämmert – den Pseudophilosophen Leonid (Peter René Lüdicke), den ewigen Studenten Trofimow (Manolo Bertling), den Bankrotteur Simeonow (Robert Kuchenbuch), den irren Kontoristen (Wolfgang Michalek), den alten Diener Firs (Elmar Roloff) und den geckenhaften Lakaien Jascha (Christian Czeremnych).
Und die Frauen? Tochter Anja (Anna Gesa-Raija Lappe) ist ein treuherziges Lämmchen, Pflegetochter Warja (Julischka Eichel) eine strenge Frau, die nicht so recht weiß, wohin. Eigentlich auch nur Hausangestellte, verhält sie sich so, als würde sie zur besseren Gesellschaft gehören. Und dann liebt sie auch noch Lopachin. Er ist der Mann der Stunde. Der Abkömmling von Leibeigenen steht für die neue Zeit – er ist Kapitalist. Manuel Harder wuchtet diesen Aufsteiger, der am Ende der neue Besitzer des Guts ist, als cholerischen Kraftmenschen auf die Bühne.
Doch der Regisseur setzt aufs Plakative. Das gilt auch für die Nebenrollen der Gouvernante Charlotta (Gina Henkel) und des Dienstmädchens Dunjascha (Birgit Unterweger). Die Darstellerinnen können ihre komischen Talente voll ausspielen. Und Kostümbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm darf an diesen Figuren ihre ganze Kreativität austoben, Charlotte zum teuflischen Pierrot oder Dunjascha zur aufgetakelten Fregatte machen.
Aber wozu? Borgmann, der vor zwei Jahren schon Tschechows „Onkel Wanja“in Stuttgart inszeniert hat, gelingt es dieses Mal nicht, klarzumachen, was ihn an diesem Stück interessiert. „Der Kirschgarten“ist 1903 uraufgeführt worden. 1905 fand die erste Revolution in Russland statt. Tschechow zeichnet in all seinen Stücken das Porträt einer Gesellschaft, der Veränderungen bevorstehen. Den „Kirschgarten“nennt er eine „Komödie“. Aber wie immer bei ihm ist das Komische auch tragisch. Doch Borgmann inszeniert nur die Farce. Und die wird, da sie sich beständig wiederholt, vor allem eines: langweilig.