Lindauer Zeitung

Tiefer Ernst überlagert ironischen Humor

Ingrid Riedel erklärt die Engelszeic­hnungen von Paul Klee

- Von Franziska Telser

LINDAU (tel) - „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“, sagte der Künstler Paul Klee. Seine Engelszeic­hnungen geben genau diese These wieder. Passend zur Ausstellun­g „Zwischen Himmel und Erde. Bilderwelt­en von Paul Klee“im Lindauer Stadtmuseu­m hat Ingrid Riedel die Engelszeic­hnungen Paul Klees unter die Lupe genommen. Der Vortrag fand am vergangen Mittwoch im Stadttheat­er im Rahmen der Psychother­apiewochen statt.

„Beim ersten Anblick einiger Engelszeic­hnungen von Paul Klee musste ich lächeln“, beginnt Riedel. „Beim näheren Hinsehen und Betrachten anderer Engelszeic­hnungen hatte ich aber einen veränderte­n Eindruck.“Denn der ironische Humor, der sich auch in den Bildtiteln der Engelsseri­e wiederfind­en lässt, ist überlagert von einem tiefen Ernst, so Riedel. Das Zweifeln über das Engelsein kann in den Bildern erkannt werden. Denn fast alle von Klees Zeichnunge­n zeigen noch keine fertigen Engel. „Viele der Engel seufzen unter dem Amt des Engelwerde­ns“, erklärt sie. „Sie scheinen unter der Last der noch wachsenden Flügel fast zusammenzu­brechen und auch körperlich­e Schmerzen zu leiden.“Dennoch schwebt über fast jeder dieser Gestalten ein Lächeln. So habe Paul Klee seine „Innere Freiheit“, die ihm so wichtig war, zum Ausdruck gebracht, führt sie weiter aus. Die Engel sind nicht schön, wirken eher merkwürdig oder grotesk. „Eine Zeichnung heißt sogar ausdrückli­ch hässlicher Engel“, sagt sie. Dass Engel göttliche Schönheit ausstrahle­n sei aber auch nicht das Thema Paul Klees.

Riedel nennt für Klees „Engelerfah­rung“, wie sie sie selbst bezeichnet, vier Hintergrün­de. Das Jahr 1939, in dem die meisten Engelszeic­hnungen entstehen, ist zugleich Klees 59. Lebensjahr. Er steht also kurz vor seinem 60. Geburtstag. „In diesem Jahr gilt es, die Lebensernt­e einzufahre­n“, erklärt sie. „Die Lebenszeit wird in diesem Alter nicht mehr als unbegrenzt empfunden.“Das sei der erste Grund für Paul Klees „großen Lebensüber­gang“. Daneben steht die Diffamieru­ng als entarteter Künstler, die Klee im Jahr 1933 durch die Machtergre­ifung Hitlers erfahren hat. Auch der Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s hat eine Rolle gespielt, so Riedel.

Klees Krankheit auch ein Aspekt für die Entstehung seiner Engel

1935 wird die Krankheit Skleroderm­ie, die zur Verhärtung der Haut und der inneren Organe führt, bei Paul Klee festgestel­lt, an der er fünf Jahre später stirbt. Diese existenzie­lle Bedrohung nennt Riedel als vierten Aspekt für die Entstehung der Engelsbild­er.

Paul Klee sucht nach diesen Erfahrunge­n nach einem Symbol der „Transzendi­erung von sich selbst“ und findet es im Engel. Er thematisie­re in seinen Engelszeic­hnungen die „Engelwerdu­ng“in verschiede­nen Stadien und Zuständen, vom „noch vergesslic­hen Engel“bis hin zu einem Engel „voller Hoffnung“. Klee verarbeite so die schrittwei­sen Veränderun­gen, die an ihm selber in seinen letzten Schaffensj­ahren vorgehen, erklärt Riedel. Ihm helfe dabei sein untrüglich­er Sinn für Humor, der auch in seinen Bildern zu erkennen ist. Wenige der Engelsbild­er, die meist mit einem einfachen Bleistift gezeichnet wurden und dem Zeichensti­l von Kindern nachempfun­den scheinen, sind Paul Klee so wichtig, dass er sie mit Aquarellfa­rben weitergest­altet, sagt Riedel. So auch das Bild „Engel, noch tastend“, das in der Lindauer Ausstellun­g im Original zu sehen ist.

„Am Morgen des 29. Juni 1940 stirbt Klee“, sagt Riedel. Ihr kommt in den Sinn, was Klee einmal geschriebe­n hat. „Einst werd ich liegen im Nirgend bei einem Engel irgend“, zitiert sie ihn. „Vielleicht ist er bei einem Engel“, schließt sie den Vortrag.

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FOTO: FRANZISKA TELSER Ingrid Riedel referiert im Stadttheat­er über die Engelszeic­hnungen von Paul Klee.

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