Tiefer Ernst überlagert ironischen Humor
Ingrid Riedel erklärt die Engelszeichnungen von Paul Klee
LINDAU (tel) - „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“, sagte der Künstler Paul Klee. Seine Engelszeichnungen geben genau diese These wieder. Passend zur Ausstellung „Zwischen Himmel und Erde. Bilderwelten von Paul Klee“im Lindauer Stadtmuseum hat Ingrid Riedel die Engelszeichnungen Paul Klees unter die Lupe genommen. Der Vortrag fand am vergangen Mittwoch im Stadttheater im Rahmen der Psychotherapiewochen statt.
„Beim ersten Anblick einiger Engelszeichnungen von Paul Klee musste ich lächeln“, beginnt Riedel. „Beim näheren Hinsehen und Betrachten anderer Engelszeichnungen hatte ich aber einen veränderten Eindruck.“Denn der ironische Humor, der sich auch in den Bildtiteln der Engelsserie wiederfinden lässt, ist überlagert von einem tiefen Ernst, so Riedel. Das Zweifeln über das Engelsein kann in den Bildern erkannt werden. Denn fast alle von Klees Zeichnungen zeigen noch keine fertigen Engel. „Viele der Engel seufzen unter dem Amt des Engelwerdens“, erklärt sie. „Sie scheinen unter der Last der noch wachsenden Flügel fast zusammenzubrechen und auch körperliche Schmerzen zu leiden.“Dennoch schwebt über fast jeder dieser Gestalten ein Lächeln. So habe Paul Klee seine „Innere Freiheit“, die ihm so wichtig war, zum Ausdruck gebracht, führt sie weiter aus. Die Engel sind nicht schön, wirken eher merkwürdig oder grotesk. „Eine Zeichnung heißt sogar ausdrücklich hässlicher Engel“, sagt sie. Dass Engel göttliche Schönheit ausstrahlen sei aber auch nicht das Thema Paul Klees.
Riedel nennt für Klees „Engelerfahrung“, wie sie sie selbst bezeichnet, vier Hintergründe. Das Jahr 1939, in dem die meisten Engelszeichnungen entstehen, ist zugleich Klees 59. Lebensjahr. Er steht also kurz vor seinem 60. Geburtstag. „In diesem Jahr gilt es, die Lebensernte einzufahren“, erklärt sie. „Die Lebenszeit wird in diesem Alter nicht mehr als unbegrenzt empfunden.“Das sei der erste Grund für Paul Klees „großen Lebensübergang“. Daneben steht die Diffamierung als entarteter Künstler, die Klee im Jahr 1933 durch die Machtergreifung Hitlers erfahren hat. Auch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat eine Rolle gespielt, so Riedel.
Klees Krankheit auch ein Aspekt für die Entstehung seiner Engel
1935 wird die Krankheit Sklerodermie, die zur Verhärtung der Haut und der inneren Organe führt, bei Paul Klee festgestellt, an der er fünf Jahre später stirbt. Diese existenzielle Bedrohung nennt Riedel als vierten Aspekt für die Entstehung der Engelsbilder.
Paul Klee sucht nach diesen Erfahrungen nach einem Symbol der „Transzendierung von sich selbst“ und findet es im Engel. Er thematisiere in seinen Engelszeichnungen die „Engelwerdung“in verschiedenen Stadien und Zuständen, vom „noch vergesslichen Engel“bis hin zu einem Engel „voller Hoffnung“. Klee verarbeite so die schrittweisen Veränderungen, die an ihm selber in seinen letzten Schaffensjahren vorgehen, erklärt Riedel. Ihm helfe dabei sein untrüglicher Sinn für Humor, der auch in seinen Bildern zu erkennen ist. Wenige der Engelsbilder, die meist mit einem einfachen Bleistift gezeichnet wurden und dem Zeichenstil von Kindern nachempfunden scheinen, sind Paul Klee so wichtig, dass er sie mit Aquarellfarben weitergestaltet, sagt Riedel. So auch das Bild „Engel, noch tastend“, das in der Lindauer Ausstellung im Original zu sehen ist.
„Am Morgen des 29. Juni 1940 stirbt Klee“, sagt Riedel. Ihr kommt in den Sinn, was Klee einmal geschrieben hat. „Einst werd ich liegen im Nirgend bei einem Engel irgend“, zitiert sie ihn. „Vielleicht ist er bei einem Engel“, schließt sie den Vortrag.