Lindauer Zeitung

Der Bodensee als Torpedo-Teststreck­e

Die Waffenschm­iede „Seewerk“in Immenstaad – Abschussra­mpe auf MS Österreich

- Von Gunnar M. Flotow Das Seewerk in Immenstaad).

FRIEDRICHS­HAFEN - Mit dem Torpedo, der Anfang März aus dem Bodensee geholt wurde, ist auch ein Thema aus der Häfler Industrieg­eschichte wieder aufgetauch­t: die Torpedover­suchsanlag­e Seewerk – die Keimzelle der Dornier-Werke.

Die Geschichte des Seewerks beginnt am 9. Januar 1943, als das Reichsluft­fahrtminis­terium der Luftschiff­bau Zeppelin GmbH den Auftrag erteilt, „am Bodensee eine Anlage für die Fertigung und das Einschieße­n von Flugzeugto­rpedos zu projektier­en“(Quelle: Manfred Bauer, Auf den Bodensee fällt die Wahl , weil ein Gewässer gesucht wird, das – im Gegensatz zur Ostsee, wo es bislang Torpedover­suchsansta­lten gab – weitgehend eisfrei bleibt.

Unter anderem wegen des sandigen Untergrund­s wird die Bucht zwischen Immenstaad und Fischbach als geeigneter Standort betrachtet. Sogenannte Grundgänge­r – also Torpedos, die den Boden berühren – sind so besser vor Beschädigu­ngen geschützt. Es konnte allerdings auch passieren, dass der Sandboden einen Torpedo verschluck­t. So wie im Fall jenes sehr gut erhaltenen Exemplars, das der Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst Anfang März in zehn Meter Wassertief­e aus dem Schlick befreite und an Land schaffte.

Der Plan für das Seewerk sieht 1943 vor, dass auf der Wiese am Ufer ein Torpedomon­tagewerk entsteht. Aus einem Schießhaus, das auf einer vorgelager­ten Kiesbank errichtet wird, sollen die Torpedos in den See geschossen werden. Diese Kiesbank, die zu einem großen Teil von Fremdarbei­tern aufgeschüt­tet wurde, ist heute übrigens als Dornier-Mole bekannt.

Zement statt Sprengstof­f

Die Teststreck­e ist sechs Kilometer lang und verläuft in Richtung Schlosskir­che Friedrichs­hafen, die Wassertief­e beträgt zwischen zehn und 40 Metern. Entlang der Schießbahn sitzen Beobachter auf Pontons und geben mit Fähnchen Signal, wenn der Torpedo vorbeikomm­t. Statt Sprengladu­ngen tragen die Geschosse Zementgewi­chte. „Bereits am 10. Dezember 1943 wurde der Betrieb provisoris­ch aufgenomme­n“, berichtet Ingeborg Cleiss, die sich seit vielen Jahren mit der Geschichte des Seewerks befasst. „Da der Schießstan­d auf dem Damm noch nicht realisiert war, wurden die Torpedos von einem Schiff abgeschoss­en.“Als Abschussra­mpe dient das MS Österreich – ein Salondampf­er, der von der Kriegsmari­ne 1941 beschlagna­hmt wurde.

Auf den Weg gebracht werden die Torpedos mit Druckluft. Mit zirka 60 km/h ziehen sie durchs Wasser, bevor sie kurz vor der Schlosskir­che mit Netzen aufgefange­n werden – wenn ihnen nicht vorher die Puste ausgeht. Ursprüngli­ch sollte das Seewerk bis zu 1000 Torpedos im Monat herstellen, mehr als 80 wurden es jedoch nie. Die Gründe hierfür: Arbeiterun­d Materialma­ngel, eine veränderte Kriegssitu­ation – und heftige Bombenangr­iffe im März und April 1944.

Ende April 1945 wird das Seewerk von den französisc­hen Streitkräf­ten besetzt. Die Franzosen nutzen die Torpedotes­tanlage zunächst weiter und richten später im Schutz der Mole eine Wasserflug­zeug-Basis ein. Später demontiert die französisc­he Marine das Seewerk, 1947 wird die Betonmole gesprengt. 1958 kauft der Flugzeugko­nstrukteur Claude Dornier das Gelände, um dort sein Unternehme­n aufzubauen.

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FOTO: RP STUTTGART Dieser Torpedo, der Anfang März aus dem Bodensee geborgen wurde, hat seinen neuen Platz in der Lehrmittel­sammlung des Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdiensts.

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