Petrys Rückzug löst Streit in der AfD aus
Frage nach einem Spitzenkandidaten entzweit die Partei – Meuthen unterstützt Weidel
BERLIN/RAVENSBURG - Nach dem Verzicht von AfD-Chefin Frauke Petry auf eine Spitzenkandidatur im Bundestagswahlkampf ist in der Partei ein erneuter Streit ausgebrochen. Während sich der Berliner AfD-Landeschef Georg Pazderski am Donnerstag in der ARD dafür aussprach, ohne Spitzenkandidaten Wahlkampf zu machen, forderten sowohl der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen, Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, als auch Sachsen-Anhalts Landeschef André Poggenburg ein Festhalten daran. Pazderski hatte gesagt, „dass man ohne Spitzenkandidaten oder Spitzenteam in den Wahlkampf zieht“.
Poggenburg hingegen plädierte für ein Spitzenteam, „das die verschiedenen Strömungen der AfD abbildet“. Meuthen wurde im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“noch deutlicher. Auf ein Spitzenteam zu verzichten, „wäre ein völlig falsches Signal. Jede Kampagne, jeder Wahlkampf braucht Köpfe“. Dies gelte auch nach dem Verzicht von Petry. „Wir haben glücklicherweise auch andere Personen in der AfD, die geeignet sind“, erklärte Meuthen.
Beim Bundesparteitag am Samstag in Köln gelten nun vor allem der rechtskonservative Alexander Gauland (76) und die eher wirtschaftsliberale Ökonomin Alice Weidel (38) als Favoriten auf die Spitzenkandidatur. Weidl, die mit ihrer Lebenspartnerin in Überlingen lebt, war gescheitert, als sie sich Anfang März in Baden-Württemberg um den Landesvorsitz beworben hatte. Hier gewann Ralf Özkara, der frühere Bürochef Meuthens. Nun jedoch ließ Meuthen mitteilen: „Ich würde eine Kandidatur von Frau Weidel als Mitglied des AfD-Spitzenteams für die Bundestagswahl sehr begrüßen.“
Die Polizei in Köln bereitet sich derweil für den Parteitag der „Alternative für Deutschland“vor. Erwartet werden rund 50 000 Demonstranten. Circa 4000 Polizisten werden im Einsatz sein, teilte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies am Donnerstag mit. Angekündigt sind zwei große Demonstrationen der Bündnisse „Köln stellt sich quer“und „Köln gegen Rechts“. Die Polizei rechnet mit einigen Hundert gewaltbereiten Demonstranten.
BERLIN - Am Tag, nachdem AfDChefin Frauke Petry ihre Ambitionen auf eine Führungsrolle im Wahlkampf aufgegeben hat, brodelt es mächtig in der Partei. Anhänger und Gegner bringen sich in Stellung für den bevorstehenden Machtkampf.
Am Mittwoch hatte Petry völlig überraschend in einer Videobotschaft erklärt, weder für die Spitzenkandidatur noch für ein Wahlkampfteam zur Verfügung zu stehen. Ein taktisches Manöver, um in Köln einer Schlappe zu entgehen und ihren innerparteilichen Widersachern den Wind aus den Segeln zu nehmen, glauben nicht nur ihre schärfsten Rivalen wie der Co-Bundesvorsitzende und baden-württembergische Landtagsfraktionschef Jörg Meuthen, Parteivize Alexander Gauland und Rechtsaußen Björn Höcke.
Intrigant und nicht teamfähig
Hauen und Stechen schon vor dem mit Spannung erwarteten Showdown des Parteitages der AfD in Köln: Ihre Gegner wollen Petry mit ihren eigenen Waffen schlagen und verhindern, dass über ihren umstrittenen „Zukunftsantrag“, mit dem Petry die AfD auf einen realpolitischen Kurs drängen und koalitionsfähig machen will, beraten und entschieden wird. Die Kritiker halten der AfD-Vorsitzenden vor, die Partei im Alleingang führen zu wollen, intrigant und nicht teamfähig zu sein. Das Bedauern über ihren Verzicht auf die Spitzenkandidatur hält sich in Grenzen. „In unserer Partei ist jeder ersetzbar“, erklärte der Berliner AfDChef Georg Pazderski.
Zuletzt hatte die Partei in den Meinungsumfragen deutlich an Zustimmung verloren. Anders als Petry setzen Meuthen, Gauland, Höcke und ihre Anhänger weiter auf einen fundamentalistischen Kurs, halten nichts von einem Schwenk in Richtung etablierte Parteien und Regierungsfähigkeit, wollen die AfD-Chefin im Zuge dieser Auseinandersetzung ins Abseits stellen.
Petry hat sich in der Partei zuletzt mehr und mehr isoliert. Ihr Plan, den thüringischen Rechtsaußen Björn Höcke wegen seiner antisemitischen Äußerungen in seiner Dresdner Rede aus der Partei ausschließen zu lassen, droht zu scheitern. Der Landesverband Bremen stellt auf dem Parteitag einen Antrag zur Abstimmung, der die Rücknahme des Parteiausschlussverfahrens fordert.
Höcke selbst wird in Köln nicht dabei sein und den Parteikongress per Live-Übertragung via Internet verfolgen. Die Hotelkette hat ein Hausverbot gegen ihn verhängt.
Traumziel „Seniorpartner“?
Ob Petry für ihren Schwenk weg von Rechtsaußen hin in Richtung Realpolitik eine Mehrheit der Basis hinter sich bringt, ist offen. Petry will die AfD für die Zeit nach der Bundestagswahl 2021 als „Seniorpartner“regierungsfähig machen – eine Rolle, von der sie bislang noch weit entfernt ist. Petrys Rivalen wollen ganz bewusst im rechten Wählerspektrum fischen – auch in Zukunft.
Möglicherweise zeichnet sich aber ein Kompromiss ab, mit dem die gegnerischen Lager den ganz großen Knall am Wochenende verhindern können. Er halte Petrys Antrag zwar weiterhin für „Unsinn“, sagte Gauland nun dem „Tagesspiegel“. „Aber wenn mein Name da rauskommt, kann man dem Antrag zustimmen. Dann kann die Partei dem Antrag zustimmen.“In dem Antrag wird Gauland ausdrücklich aus Vertreter einer fundamentaloppositionellen Strategie benannt.
Auf dem Parteitag entscheidet sich womöglich die Frage, wie die AfD künftig mit Hass und Hetze umzugehen gedenkt, und ob sie Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus weiter in ihren Reihen duldet. Gelingt es den Petry-Gegnern, eine Mehrheit gegen ihren „Zukunftsantrag“zu organisieren oder ihn erst gar nicht zur Abstimmung bringen zu lassen, wäre dies eine schwere Schlappe für die Parteichefin.
Eigentlich sollte beim Kölner Parteitag das Wahlprogramm im Mittelpunkt stehen. Eine Debatte, die jetzt in den Hintergrund gerät.