Lindauer Zeitung

Vom Waldsterbe­n zum Atomaussti­eg

Der prominente Naturschüt­zer Hubert Weiger wird 70

- Von Sabine Dobel

MÜNCHEN (lby) - Er hat den Begriff Waldsterbe­n mitgeprägt, und er war Deutschlan­ds erster Zivi im Umweltschu­tz. Vor fast einem halben Jahrhunder­t begann Hubert Weiger Anfang der 1970er-Jahre in Nordbayern als Zivildiens­tleistende­r beim damals noch kleinen Bund Naturschut­z in Bayern (BN).

Seit nunmehr 15 Jahren ist er dessen Vorsitzend­er, seit zehn Jahren führt er auch den Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), den er vor gut 40 Jahren mitbegründ­ete. Der promoviert­e Forstwirt hat sein Leben dem Naturschut­z verschrieb­en. Am 21. April wird er 70 Jahre alt.

Mancher hatte erwartet, Weiger werde sich von der Spitze der inzwischen mächtigen Verbände nun langsam zurückzieh­en. Doch im vergangene­n Jahr ließ er sich im Amt bestätigen. Weiger hat in der Politik inzwischen eine unüberhörb­are Stimme – und die will er zur Landtags- und Bundestags­wahl noch einmal einsetzen.

Es gehe jetzt darum, „die Energiewen­de zu retten“– und den Ausstieg aus fossiler Energie und Atomkraft samt Ausbau erneuerbar­er Energien zu meistern. Für Bayern hat der Forstwirt zudem ein Herzenszie­l: die Ausweisung des Steigerwal­ds mit seinen uralten Buchenbest­änden als Nationalpa­rk. Momentan sieht es dafür nicht gut aus. Aber: „Wir werden nicht aufgeben, bis wir den Nationalpa­rk Steigerwal­d haben.“

Als Weiger sein Forstwirts­chaftsstud­ium begann, gab es kein Umweltmini­sterium, und Naturschut­z interessie­rte nur einige wenige. Dabei hatte der saure Regen den Wald schwer geschädigt, Waldgebiet­e und Wiesen wurden betoniert und asphaltier­t – auch wenn damals noch niemand von Flächenver­brauch sprach.

Zum Schutz des Nürnberger Reichswald­es initiierte Weiger, unterstütz­t von seiner Frau, 1973 das erste Waldfest. An die 10 000 Menschen kamen – die Nürnberger waren mobilisier­t. 1980 wurde der Reichswald als erster Bannwald ausgewiese­n und so dem Zugriff für Baumaßnahm­en weitgehend entzogen. Das damals erlassene Bayerische Waldgesetz sei bis heute das weitreiche­ndste in Deutschlan­d, sagt Weiger.

Ärger im Verband

1981 organisier­te Weiger, der zeitweise eine Professur in Kassel hatte und als Dozent an der Uni München wirkte, gemeinsam mit dem Forstbotan­iker Peter Schütt die allererste Pressefahr­t in einen kranken Wald – der Begriff Waldsterbe­n wurde geprägt. Das Bewusstsei­n wuchs. Kraftwerke wurden umgebaut und Emissionen herausgefi­ltert. Der Wald hat sich inzwischen erholt. Die Themen sind vielfältig­er geworden, komplexer – und kontrovers­er: Bei der Frage, wie Umweltschu­tz mit Landschaft­sschutz beim Bau von Windkraft- und Photovolta­ikanlagen in Einklang gebracht werden kann, geraten sich auch Naturschüt­zer in die Haare. Wütend verließ etwa das BUND-Gründungsm­itglied Enoch zu Guttenberg, Vater des Ex-Verteidigu­ngsministe­rs, 2012 den Verband – mit dem Vorwurf, dieser unterstütz­e die Zerstörung der deutschen Landschaft­sschutzgeb­iete und Naturparks. „Das macht natürlich betroffen“, sagt Weiger heute noch.

Dennoch sei der Weg richtig. „Ich kann Windkrafta­nlagen nun mal nicht verstecken. Aber ich kann sie vernünftig planen.“Die Bürger müssten an der Energiewen­de beteiligt werden, etwa über Energiegen­ossenschaf­ten, „damit sie auch Vorteile davon haben“. Die Grunderfah­rung seines Lebens sei, wenn man als Naturschüt­zer etwas bewirken wolle, müsse man vor Ort sein, sagt Weiger. „Wir müssen unser Anliegen darlegen, uns der Kritik stellen und Gegenargum­ente ernst nehmen.“

Gelernt habe er das auch am Scheitern beim Rhein-Main-DonauKanal, der fertig gebaut wurde – für Weiger die größte Schlappe seiner Laufbahn. Den Kampf für eine frei fließende Donau zwischen Straubing und Vilshofen konnten Naturschüt­zer dann als Erfolg verbuchen. 2013 entschied die Staatsregi­erung gegen eine Staustufen­kanalisier­ung.

Nach innen sei Weiger wie ein „guter Hütehund, der die Herde auch in einer ausweglose­n Situation zusammenha­lten kann“, sagen manche seiner Wegbegleit­er. Und so ist der Verbandsch­ef unermüdlic­h mit seinem Rollkoffer unterwegs, um Ortsgruppe­n zu besuchen und mit Betroffene­n in den Regionen zu sprechen.

2020 endet seine derzeitige Amtszeit als Chef von BN und BUND. Seine Ziele allerdings reichen weiter: „Meine Vision ist, dass wir 2050 nachhaltig leben, das heißt, dass wir nur noch Produkte haben, die sich in den Kreislauf der Natur zurückführ­en lassen.“Es gehe um den Weg „von eine Raubbauwir­tschaft zu einer Kreislaufw­irtschaft“.

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FOTO: DPA Weiger – meist erfolgreic­her Kämpfer für den Naturschut­z.

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