Der Weg zur Versöhnung beginnt im rauen Gelände der Entzweiung
Tilman Evers berichtet von den Aktivitäten des Zivilen Friedensdienstes
LINDAU (seg) - Nach den Ausführungen über Terrorismus und Fanatismus ist die positive Kraft im Dreigespann „Hass-Fanatismus-Versöhnung“in den Mittelpunkt der zweiten Psychotherapiewoche gerückt. Tilman Evers, Mitbegründer des Forums Ziviler Friedensdienst, berichtete von seinen Erfahrungen und stellte fest: „Versöhnung klingt gut, aber der Weg zur Versöhnung beginnt im rauen Gelände der Entzweiung - verfeindeter Einzelner oder Großgruppen.“
Im Oktober 2016 erhielt der kolumbianische Präsident Santos den Nobelpreis für seine Bemühungen, Frieden zu schaffen. Der Bürgerkrieg hatte 1964 begonnen und war einer der ältesten Gewaltkonflikte der Welt, mit vielen Opfern und noch mehr Vertriebenen. Evers zeigte bewegende Fotos von Tätern und Opfern. „Als klar wurde“, so Evers, „dass der Krieg nicht militärisch gewonnen werden kann, kam ein Friedensprozess in Gang, der in eine Friedensvereinbarung mündete – mit allen beteiligten Konfliktgruppen.“Gegen die zugesicherte Straflosigkeit der Mitglieder paramilitärischer Banden stimmte dann allerdings die Mittelschicht. Nachverhandlungen wurden geführt, man kam den Gegnern der Straffreiheit in einigen Punkten entgegen. „Ein erster Schritt ist getan, aber“, so Evers, „das schwierigere Wegstück kommt noch.“
Jeder Konflikt habe eine eigene Geschichte, die berücksichtigt werden müsse. Der Weg zur Heilung einer zerbrochenen Beziehung sei ein langer Prozess, der Veränderung von allen Beteiligten erfordere und den Verzicht auf Rechthabenwollen und Überlegenheit. Evers: „Dem Glück der Versöhnung geht die Trauer über erlittenes und begangenes Unrecht voraus. Der Weg zur Versöhnung führt durch den eigenen Schatten.“
Kniefall von Willi Brandt war wichtiges Zeichen
Er erwähnte den schwierigen Umgang der Deutschen mit den NS-Verbrechen. Ein wichtiges Zeichen der Reue sei der Kniefall von Willi Brandt in Warschau gewesen. „Auch das ist wichtig“, sagte Evers, „das Setzen von Zeichen in einem Prozess der Versöhnung.“Versöhnung müsse bei großen Konflikten auf jeder Ebene stattfinden, kollektiv und individuell.
Die Idee zur Gründung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) entstand während das Balkankriegs. Inzwischen sind 300 Fachkräfte mit ihren Teams in 43 Ländern tätig. Die Menschen, die im ZFD arbeiten, kommen aus allen Berufen, durchlaufen eine gründliche Ausbildung und werden in Krisengebieten eingesetzt. Die Arbeit wird finanziert vom Entwicklungsministerium.
Der ZFD ist unter anderem tätig in libanesischen Flüchtlingslagern. Die Friedensarbeiter führten unter anderem Mülltonnen und Mülltrennung ein, um das Problem der Müllberge in den Griff zu bekommen. Eine verschmutzte Quelle wurde gefasst, statt Schlauch gibt es nun Wasserhähne.
Wichtig sei bei einer Konfliktberatung, alle Beteiligten ins Boot zu holen, erst in Einzelgesprächen und dann in allgemeinen Gesprächsrunden. Gesprächsfäden werden geknüpft und dürfen nicht wieder abreißen. Die Beteiligten müssen aufhören, sich über den Konflikt zu identifizieren und sollten lernen, miteinander statt übereinander zu reden. Evers: „Wir haben einen systemischen Ansatz. Alle Beteiligten sollten sich als Teil eines Systems begreifen, und Verantwortung übernehmen für ihr Handeln und den eigenen Beitrag zum Konflikt.“
Ein Frieden, der nur zwischen den Machtakteuren geschlossen werde, stehe auf tönernen Füßen, es sei wichtig, auch die Bevölkerung einzubeziehen. Damit die Versöhnung haltbar sei, müsse eine Win-Win-Lösung gefunden werden, im Geist der Nicht-Verletzung anderer. Evers: „Kein Versöhnungsprozess gelingt ohne Gespräch. Achtsames Zuhören, Einfühlung und Verstehen sind wichtige Bestandteile der Entfeindung.“
Notwendig sei auch der Blick auf die Vergangenheit. Massengräber müssen geöffnet werden, um den einzelnen Familien zu ermöglichen, ihre Angehörigen individuell zu bestatten.
Das rühre an große und schwierige Gefühle. Evers: „Wo Massenverbrechen geschehen sind, ist die Ahndung jedes einzelnen Verbrechens unmöglich. Es hängt auch vom kulturellen Kontext ab, wie eine Untat zu sühnen ist.“
Die Delegationen des zivilen Friedensdienstes sind paritätisch mit Männern und Frauen besetzt. Evers: „Männer und Frauen erleben Gewalt und Konflikte unterschiedlich.“Gewalt gehe überwiegend von Männern aus, und oft seien Frauen die Opfer. Wege in die Versöhnung, so das Resümee seines Vortrags, können durch konfliktexterne Dritte geöffnet werden, gehen müssen ihn die Betroffenen jedoch selbst.