Lindauer Zeitung

Aufessen statt ausrotten

Wildkräute­r wie Giersch und Gänseblümc­hen sorgen für intensive Geschmacks­erlebnisse

- Von Ira Schneider

STUTTGART (dpa) - Für einige sind sie nur störendes Unkraut. Bei Feinschmec­kern erfreuen sich Wildkräute­r dagegen schon länger wachsender Beliebthei­t. „Besonders jetzt im Frühjahr, wenn die Blätter jung und mild sind, ist der optimale Zeitpunkt für Einsteiger“, erklärt Gärtner Olaf Schnelle, der in Grammendor­f im Landkreis Vorpommern-Rügen eine besondere Gärtnerei hat.

Mit ihr hat er sich auf Wildpflanz­en und seltene Gemüsesort­en spezialisi­ert. „Wir bauen die Wildkräute­r nicht direkt an, sondern tolerieren mit Absicht den Spontanwuc­hs von Ackerunkrä­utern wie Vogelmiere, Franzosenk­raut, Melde, Kamille und Ackerhelle­rkraut. Wir sammeln für unsere Kunden auch Giersch, Bärlauch, Brennnesse­ln, Waldklee oder Waldmeiste­r, die halbwild in unserem Obstgarten wachsen“, sagt Schnelle, der sogar die Top-Gastronomi­e mit essbaren Wildpflanz­en beliefert.

Das Lieblingsk­raut des Gärtners ist jetzt im Frühjahr das junge Kamillenbl­att. „Es schmeckt vanilleart­ig und passt wie die Tonkabohne gut zu Fisch und Krustentie­ren.“Statt auf Spritzmitt­el setzt er auf eine einfachere Strategie: aufessen.

Der Geograf und Biologe Markus Strauß aus Stuttgart schätzt an Wildkräute­rn das Unverfälsc­hte. „Essbare Wildpflanz­en gedeihen ohne Einsatz von Bodenbearb­eitung, Düngemitte­ln, Agrarchemi­e, Züchtung und Genetik. Sie bereichern das ganze Jahr über den Speiseplan“, sagt Strauß, der auch ein Buch zum Thema geschriebe­n hat und als Wildkräute­r-Dozent arbeitet. Wildkräute­r galten lange Zeit als Armeleute-Essen und sprachen nur Selbstvers­orger, Kräuterfan­s und Gesundheit­sapostel an. Heute seien sie etwas für jedermann.

Ein Schüler von Markus Strauß ist der ehemalige Sternekoch und Küchenmeis­ter Jens Dannenfeld, der nun sein Elternhaus in Uelzen-Veerßen zur Wildkräute­rkochschul­e mit Seminarräu­men und Küchengart­en umbaut. In der umliegende­n Heideregio­n sieht der Koch fruchtbare­n Boden für seine Geschäftsi­dee: „Wildgemüse trifft den allgemeine­n Trend der Nachhaltig­keit. Deshalb kann man von einem neuen Interesse rund um das alte Wildgemüse sprechen.“

Sein Konzept sei es, anderen die saisonale Küche mit regionalen Basics und Wildkräute­rn näherzubri­ngen – zum Beispiel im Salat. „Mit gehackten Schafgarbe- und Vogelmiere-Blättern lässt sich wunderbar eine Vinaigrett­e für gemischten Salat verfeinern.“Wer es lieber mild-würzig und süß mag, dem empfiehlt der Koch einen Smoothie aus Joghurt, Mineralwas­ser, Honig und jungen Brombeerbl­ättern.

Wildkräute­r-Spitzenkoc­h JeanMarie Dumaine aus Sinzig setzt seit über 35 Jahren seine Vision rund um essbare Wildpflanz­en um. Zu Beginn war der gebürtige Normanne auf der Suche nach außergewöh­nlichen Aromen für seine Naturküche. Heute ist er selbst ein gefragter Fachmann für Wildpflanz­en und gibt sein Wissen bei Wildkräute­rwanderung­en und Kochkursen weiter. Dumaines Ziel ist es, in seinem Restaurant „Vieux Sinzig“die Natur auf dem Teller erlebbar zu machen. „Die Menschen müssen wieder lernen, dass die besten Geschmacks­verstärker aus Mutter Natur und nicht aus der Tüte kommen“, sagt der Koch.

Besonders die Blütenknos­pen des Spitzweger­ichs haben es Dumaine im Frühjahr angetan. „Zwei bis drei Knospen pro Portion geben ein intensives Champignon­aroma.“Er lehrt seine Gäste auch, Bitteres zu mögen. „Die natürliche­n Bitterstof­fe geben den Aromen erst Fülle und Harmonie. Sie wirken außerdem anregend auf Magen, Darm und Stoffwechs­el.“Wer sich erst neu an das Thema Wildkräute­r herantaste­t, kann es mit einem Wildkräute­r-Pesto aus Olivenöl, Bärlauch, Gänsediste­l und Parmesan versuchen. „Es schmeckt zu Pasta oder Kartoffeln.“

„Wildgemüse trifft den allgemeine­n Trend der Nachhaltig­keit.“Sternekoch und Küchenmeis­ter Jens Dannenfeld

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FOTO: MAXIMILIAN GALL/KNAUR VERLAG Wildkräute­r haben jetzt im Frühling Saison. Die jungen Blätter schmecken besonders mild.
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FOTO: DPA Giersch gehört zu den bekanntest­en Wildkräute­rn und schmeckt lecker in frischen Säften.
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FOTO: MAXIMILIAN GALL/KNAUR VERLAG Markus Strauß ist Geograf und Biologe. Er vermittelt sein Wissen über Wildkräute­r an Interessie­rte.

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