„Die Doppelpass-Regelung war ein Fehler“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß zur Integrationsdebatte und zum Verhältnis zur Türkei
RAVENSBURG - Thomas Bareiß, Abgeordneter für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen, sieht im Doppelpass ein Integrationshindernis. „Wenn jemand in der zweiten, dritten Generation hier lebt und hier seine Zukunft haben will, braucht er keine Rückfahroption. Dann muss er seinen anderen Pass zurückgeben“, sagte Bareiß im Gespräch mit Claudia Kling. Zugleich sprach er sich für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei aus.
Herr Bareiß, Sie waren jahrelang immer wieder beruflich in der Türkei tätig, haben in Izmir auch einige Monate gelebt. Was sagen Ihre Bekannten zur Entwicklung der Türkei?
Das Land ist tief gespalten. Städte wie Izmir sind sehr europäisch und westlich geprägt, ganz anders als beispielsweise Ankara. Viele Türken, die jetzt das Referendum abgelehnt haben und sich Richtung Europa orientieren, sind sehr in Sorge, fühlen sich eingeschränkt in ihrer Lebensform und wollen das Land verlassen, gerade auch Fachkräfte und Führungskräfte von Unternehmen. Die sitzen auf gepackten Koffern, weil sie in der Türkei keine Zukunft mehr sehen.
In Deutschland hat das Ergebnis des Referendums in der Türkei die Debatte um den Doppelpass angestachelt. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Eigentlich muss man die beiden Debatten trennen. Auf der einen Seite haben wir die Situation in der Türkei, die besorgniserregend ist. Auf der anderen haben wir hier in Deutschland die ungelösten Probleme der Integration – und die haben sich gerade in der Zeit des Wahlkampfes für das Referendum wieder besonders deutlich gezeigt. Viele türkische Migranten, die seit Jahren hier leben, haben noch eine sehr enge Bindung an ihr Heimatland. Mich beunruhigt, dass die zweite oder dritte Generation oft noch stärker auf die Türkei fixiert ist als diejenigen, die vor Jahren zu uns kamen. Da ist in der Politik vieles schiefgelaufen.
Was lief denn schief?
Im Kern geht es um einen Richtungsstreit, wie Integration aussehen soll. Wenn Menschen in ein Land kommen, müssen sie sich diesem Land auch anpassen und dessen Werte teilen, Gesetze beachten und in der zweiten und dritten Generation
dann auch sagen: „Meine Bundeskanzlerin ist Angela Merkel, mein Bundespräsident heißt Frank-Walter Steinmeier. Meine Eltern kommen zwar aus der Türkei, aber ich bin in Deutschland zu Hause.“Das sehe ich im Moment bei vielen nicht. Wenn zwei Drittel der türkischen Wähler in Deutschland für ein autokratisches System in der Türkei stimmen, dann finde ich das besorgniserregend, auch im Hinblick auf die Demokratie hierzulande.
Und wie wollen Sie gegensteuern?
Ich erwarte durchaus mehr Solidarität von Migranten für unser Land, die man auch durch seine Staatsbürgerschaft ganz klar zum Ausdruck bringen kann. Deshalb ist das Thema Doppelpass ein sehr offensichtliches. Wenn jemand in der zweiten, dritten Generation hier lebt und hier seine Zukunft
haben will, braucht er keine Rückfahroption. Dann muss er seinen anderen Pass zurückgeben. Ich will es mal sportlich sagen, man kann auch nicht gleichzeitig beim VfB Stuttgart und dem FC Bayern Mitglied sein, man muss sich entscheiden.
Kanzlerin Merkel hat nach dem Parteitag in Essen erklärt, das Thema Doppelpass werde kein Wahlkampfthema der CDU sein. Das scheint die Partei gerade nicht zu interessieren.
Wir müssen uns doch fragen, was die Menschen bewegt und ob wir tatsächlich alles richtig gemacht haben. Ich glaube, dass es ein Fehler war, der Doppelpass-Regelung ohne Optionspflicht in der Großen Koalition so zuzustimmen. Integration muss anders aussehen als in den vergangenen Jahren.
Von den rund 1,8 Millionen Doppelstaatlern in Deutschland haben 246 000 einen deutschen und einen türkischen Pass. Sollen nur diese ihren zweiten Pass abgeben – oder alle anderen auch?
Natürlich darf es keine Sonderlösung für Deutschtürken geben, viele von ihnen sind toll integriert, solidarisch und stehen zu unserem Land. Wenn wir das Thema Doppelpass angehen, dann muss das für alle Betroffenen gleich geregelt werden. Natürlich wird es immer Ausnahmen geben, die doppelte Staatsbürgerschaften möglich machen, aber das sollten dann Sonderfälle bleiben. Dass doppelte Staatsbürgerschaften über Generationen hinweg vererbt werden können, macht einfach überhaupt keinen Sinn, das war ein Fehler, und es ist nicht im Sinne einer dauerhaften Integration.
Zurück zum Verhältnis zur Türkei: 64 Prozent der Deutschen haben sich in einer Umfrage für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche ausgesprochen. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben seit Jahren versucht, der Türkei die Hand zu reichen und sie auf einen demokratischen Weg und in Richtung Europa zu bringen. Die Europäische Union hat diesen Prozess mit viel Geld unterstützt, allein der deutsche Anteil war jährlich circa 500 Millionen Euro. Und was ist passiert: Die Türkei hat sich immer mehr von Europa entfremdet und sich jetzt im Referendum quasi für eine Alleinherrschaft entschieden. Darauf müssen wir reagieren, sonst werden Europa und die Bundesregierung unglaubwürdig, und wir stellen unsere eigenen Werte und Spielregeln infrage. Deshalb müssen wir der Türkei klar sagen, dass Beitrittsverhandlungen über eine EUMitgliedschaft derzeit keinen Sinn mehr machen. Wir sollten auch keine weiteren EU-Hilfen mehr zahlen, weil das das falsche Signal wäre.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Menschen in der Türkei zu unterstützen, die nicht für Erdogan gestimmt haben?
Wir brauchen eine Partnerschaft mit der Türkei, die ist wichtig – nicht nur, weil die Türkei ein Nato-Mitglied und somit unser Bündnispartner ist. Es gibt viele kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verbindungen, oft enge Freundschaften. In der Türkei gibt es viele Menschen, die europafreundlich sind und enge Beziehungen wünschen. Das müssen wir pflegen, gerade auch zwischen den Politikern. Deshalb dürfen wir den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Aber wir müssen auch sagen, was nicht geht – beispielsweise eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Diesen Spagat müssen wir schaffen.
Hat sich die Bundesregierung von der Türkei bereits zu viel gefallen lassen?
Ich hatte selbst schon die Gelegenheit, den türkischen Präsidenten Erdogan bei persönlichen Begegnungen kennenzulernen. Er ist ein Politiker, der nur diejenigen ernstnimmt, die selbst zu ihren Werten stehen und diese Werte in aller Deutlichkeit vertreten. Wir haben ihm immer wieder die Hand gereicht und vielleicht auch unsere Prinzipien teilweise aufgegeben. Es wäre nun an der Zeit, klar zu sagen, wo die roten Linien sind und es nicht mehr weitergeht. Sonst wird er auch uns nicht mehr ernst nehmen.
Inwiefern ist die deutsche Zurückhaltung im Flüchtlingspakt mit der Türkei begründet?
Der Flüchtlingspakt war wichtig, um den Schlepperbanden das Handwerk zu legen und Zeit zu haben, die EUAußengrenzen zu stärken. Zugleich war er ein Signal an Flüchtlinge, dass Deutschland nur diejenigen aufnehmen wird, die tatsächlich Hilfe brauchen. Das Flüchtlingsabkommen kann aber kein Grund sein, sich in dauerhafte Abhängigkeit von der Türkei zu begeben. Das wollen wir nicht, das können wir nicht, und das ist auch nicht der Fall.
Und wie sehr belastet der Fall des verhafteten Journalisten Deniz Yücel das Verhältnis zur Türkei?
Das macht vieles sehr schwierig, aber nicht nur sein Fall. In der Türkei sitzen mehr als 180 andere Journalisten im Gefängnis, fast die Hälfte aller Generäle aus der Vorputschzeit ist in Haft. Es ist eine Misere, was da passiert. Das Land war auf einem guten Weg, auch wirtschaftlich gesehen ging es vorwärts, und jetzt macht Erdogan alles kaputt, was er in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit aufgebaut hat. Das ist ein Jammer. Im Grunde ist selbst die Diskussion um die Todesstrafe nur noch das i-Tüpfelchen auf allem, was er bereits angerichtet hat.