Cortison ist oft unverzichtbar
Entzündungshemmer hilft bei Asthma genauso wie bei Rheuma – Dosierung ist wichtig
BERLIN (dpa) - Cortison ist ein hochwirksames Medikament, das bei Entzündungen und überschießenden Immunreaktionen eingesetzt wird. So profitieren zum Beispiel Asthmaund Rheumapatienten davon. Allerdings fürchten sich viele davor, weil der Wirkstoff früher zu hoch dosiert eingesetzt wurde und starke Nebenwirkungen verursachte. Heute ist die Furcht meist nicht begründet.
Wenn Gudrun Baseler erzählt, wie viele Pillen sie täglich einnimmt, erntet sie im besten Fall ungläubige Blicke. Die 39-Jährige hat Rheuma. Seit mehr als 30 Jahren versorgt sie ihren Körper mit Cortison, besser gesagt mit Glucocorticoiden. So heißen die künstlich hergestellten Hormone richtig. Viele Patienten, die ein Glucocorticoidpräparat verschrieben bekommen, haben Angst, dick zu werden, sagt Ursula Sellerberg von der Bundesapothekerkammer.
Glucocorticoide zählen zu den wirksamsten Entzündungshemmern, die die Medizin kennt, erklärt Frank Buttgereit, Leitender Oberarzt an der Charité in Berlin. 1935 wurden sie von US-Forschern in der menschlichen Nebennierenrinde entdeckt, 15 Jahre später gab es dafür den Medizinnobelpreis.
Lokale Anwendung ist unproblematisch
Ärzte setzen künstlich hergestellte Glucocorticoide entweder lokal oder systemisch ein. Zu den Präparaten, die lokal angewendet werden, zählen Nasensprays, Hautcremes oder Asthmasprays. Wer solche Medikamente verordnet bekommt, muss sich keine Sorgen machen, sagt Sellerberg. In der Regel gelangt der Wirkstoff bei lokaler Anwendung gar nicht oder nur sehr minimal in den Blutkreislauf.
„Bei Cremes kann bei sehr großflächiger und lange dauernder Anwendung allerdings die Haut dünn werden“, sagt Sellerberg. Normalerweise wirken Glucocorticoide jedoch schnell. Entsprechend rasch kann der Patient aufhören, das Produkt zu verwenden. Wird Asthma mittels eines Cortisonsprays therapiert, rät Sellerberg, nach jeder Anwendung die Zähne zu putzen und etwas zu trinken. „Die Tröpfchen setzen sonst auch im Mund die Immunabwehr herab.“Dann können unangenehme Pilzinfektionen auftreten.
Bei vielen Patienten werden Glucocorticoide aber auch in Tablettenform, angewendet. Das bedeutet, dass der Wirkstoff ins Blut gelangt. „Bei Autoimmunerkrankungen wie der Rheumatoiden Arthritis (RA) richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper“, erklärt Buttgereit, der auch Experte der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie ist. Weil das Immunsystem dabei großen Schaden anrichten kann, dämpft man es in bestimmten Fällen mit Glucocorticoiden – so wie bei Gudrun Baseler. Die Patienten werden gleichzeitig mit anderen Medikamenten behandelt, die ebenfalls das Immunsystem und Entzündungsprozesse beeinflussen.
Baseler quälen seit Kindertagen bohrende Schmerzen in all ihren Gelenken. Manche mussten schon ersetzt werden, weil sie so stark beschädigt waren. Damit nicht noch weitere Schäden entstehen, bekommt sie seit vielen Jahren Glucocorticoide. Vor kurzem brach jedoch ihr Wadenbein, ohne dass sie irgendwo gegengestoßen wäre. Der Grund ist eine Nebenwirkung der Therapie: Baseler hat brüchige Knochen.
Anders als manche anderen Entzündungshemmer sind Glucocorticoide in der Lage, direkt in die Körperzellen zu gelangen. Sie heften sich an einen im Zellinneren gelegenen Rezeptor, eine Art Wächter der Zelle. Gemeinsam mit ihm gelangen sie als Komplex in den Zellkern und beeinflussen dort, wie die Erbinformation abgelesen wird. Konkret halten sie Körperzellen davon ab, Entzündungsmediatoren zu bilden, also Stoffe, die Entzündungen auslösen und aufrechterhalten. Gleichzeitig helfen sie dem Körper, selbst Entzündungen zu hemmen. Besser kann man gegen Entzündungen kaum vorgehen. Aber: „Leider verändern Glucocorticoide nicht nur Entzündungsprozesse, sondern greifen zum Beispiel auch in den Stoffwechsel ein“, sagt Buttgereit – das kann manchmal Nebenwirkungen wie Diabetes oder Augenprobleme verursachen. Weil das Immunsystem heruntergeregelt wird, sind die Patienten zudem infektanfälliger. Auch das Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen ist erhöht. Die größte Angst haben Patienten allerdings vor einer Nebenwirkung, die eigentlich nicht gefährlich ist, sagt Buttgereit: dem sogenannten Cushing-Syndrom. Betroffene nehmen vor allem in der Körpermitte zu und bekommen ein rundes Gesicht. „Diese äußerlichen Veränderungen können sehr belastend sein.“
So viel wie nötig, so wenig wie möglich
So wie bei anderen Medikamenten gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. „Wir geben immer so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“, sagt Buttgereit. Fünf Milligramm des gängigsten Präparates Prednisolon pro Tag helfen bei den meisten Menschen mehr, als sie schaden, sagt Buttgereit. Nimmt jemand über ein halbes Jahr lang mehr als zehn Milligramm, richte das meist mehr Schaden an, als es nutzt. Grundsätzlich sei das Ziel, Glucocorticoide früher oder später wieder zu reduzieren und dann ganz abzusetzen, stellt Buttgereit klar. Das funktionert aber leider nicht immer.