Junge Flüchtlinge helfen Behinderten
Afghanen arbeiten ehrenamtlich im Ferienhaus „Hand in Hand“.
SIGMARSZELL (andy) - Sie schieben bei der Bergwanderung den Rollstuhl, zeigen den Menschen mit Behinderung, wie sie den Minigolfschläger richtig halten, und helfen ihnen, einen Weg durch das Maislabyrinth zu finden. Abolfazl Sedaqhat und Sabahoon Nadiri arbeiten ehrenamtlich bei „Hand in Hand", einem Ferienhaus für Menschen mit Behinderung in Sigmarszell. Die beiden Jugendlichen sind Flüchtlinge aus Afghanistan, und obwohl sie selbst einige Sorgen haben, wollen sie den Gästen des Ferienhauses helfen und eine gute Zeit bereiten.
Flüchtlinge lernen Sprache und entdecken die Region
Im November 2015 ist „Hand in Hand“auf die Einrichtung in Bösenreutin zugegangen, in der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht sind, und fragte dort nach, ob einige der Jugendlichen ehrenamtlich in dem Ferienhaus arbeiten wollten. Geschäftsführerin Katharina Reinelt erklärt: „ Dabei ging es darum, den Jugendlichen bei der Integration zu helfen und unseren Mitarbeiterstab breiter aufzustellen.“Nach einem Schnuppertag begann im März 2016 der erste der Flüchtlinge, in der Einrichtung zu arbeiten. Inzwischen kommen zehn junge Afghanen und ein Kameruner, die zwischen 13 und 21 Jahren alt sind, regelmäßig an den Wochenenden oder in den Ferien vorbei, um die Behinderten zu betreuen.
Abolfazl Sedaqhat und Sabahoon Nadiri sind seit einem Jahr dabei. Sedaqhat sagt: „Es macht Spaß, und wir wollten ihnen helfen.“Außerdem könnten sie bei der Arbeit Deutsch lernen und die Region, in der sie nun leben, besser kennenlernen. Denn bei „Hand in Hand“finden täglich Ausflüge statt. Und so begleiteten die beiden jungen Afghanen die Gäste bereits nach Konstanz, Friedrichshafen, Ravensburg und München. Nadiri sagt: „Wir lernen die Kultur und die Sehenswürdigkeiten kennen.“Nur ins Ausland dürfen die Jugendlichen nicht mitfahren, aber zumindest ging es beim Segeln auf dem Bodensee in internationale Gewässer.
Reinelt ist begeistert von dem Engagement der jungen Flüchtlinge: „Es ist ganz toll. Sie haben keine Berührungsängste, sondern gehen auf jeden zu.“Sie reichen den Gästen im Ferienhaus das Essen, albern mit ihnen herum und helfen sogar beim Toilettengang. Die Verständigung funktioniere inzwischen einwandfrei, weil die Jugendlichen bereits sehr gut Deutsch sprächen, versichert Reinelt. Auch die behinderten Gäste freuen sich über die neuen Mitarbeiter. Feriengast Patrick lobt beispielsweise: „Sie wollen uns helfen, aber auch Quatsch machen. Das ist gut.“Reinelt sagt: „Es ist für das Ferienhaus ein großer Gewinn, engagierte Leute gefunden zu haben, die auf diese Weise ihrerseits integriert werden, weil ihre Arbeit anerkannt wird.“
Die Jugendlichen arbeiten an den Wochenenden und in den Ferien mit, denn von Montag bis Freitag sind sie in der Schule. Sedaqhat und Nadiri besuchen die Mittelschule in Aeschach und machen im Sommer ihren Abschluss. Sie sind vor einigen Monaten aus der Einrichtung in Bösenreutin ausgezogen und wohnen nun mit einem Freund in einer Wohngemeinschaft in Lindau zusammen.
Der 17-jährige Sedaqhat möchte nach seinem Schulabschluss am liebsten eine Lehre zum Friseur beginnen. Auch den Feriengästen bei „Hand in Hand“schneidet er regelmäßig die Haare. Der 16-jährige Nadiri wiederum möchte eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker absolvieren. Falls das nicht klappt, kann er sich aber auch vorstellen, noch ein Jahr zur Schule zu gehen und seine Mittlere Reife zu machen. Eine Lehrstelle haben beide noch nicht gefunden. Doch auch, wenn sie eine Arbeitsstelle haben, wollen sie weiterhin regelmäßig an den Wochenenden im Ferienhaus helfen.
Ständige Angst vor der Abschiebung
Zwei anderen Jugendlichen gefällt die Betreuung der Behinderten dort sogar so gut, dass sie überlegen, eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger zu machen. Dafür benötigen sie allerdings einen Realschulabschluss und müssten mindestens noch ein weiteres Jahr zur Schule gehen. Das ist deshalb problematisch, weil die jungen Afghanen ständig Angst vor einer Abschiebung haben müssen. Haben sie allerdings einen Ausbildungsplatz, sinkt das Risiko, dass sie zurück nach Afghanistan müssen. Das könnte die jungen Männer davon abhalten eine Ausbildung im sozialen Bereich anzustreben. Reinelt ärgert das, denn gerade dort werde händeringend nach Auszubildenden gesucht.