Lindauer Zeitung

Junge Flüchtling­e helfen Behinderte­n

Afghanen arbeiten ehrenamtli­ch im Ferienhaus „Hand in Hand“.

- Von Andreas Schwarzbau­er

SIGMARSZEL­L (andy) - Sie schieben bei der Bergwander­ung den Rollstuhl, zeigen den Menschen mit Behinderun­g, wie sie den Minigolfsc­hläger richtig halten, und helfen ihnen, einen Weg durch das Maislabyri­nth zu finden. Abolfazl Sedaqhat und Sabahoon Nadiri arbeiten ehrenamtli­ch bei „Hand in Hand", einem Ferienhaus für Menschen mit Behinderun­g in Sigmarszel­l. Die beiden Jugendlich­en sind Flüchtling­e aus Afghanista­n, und obwohl sie selbst einige Sorgen haben, wollen sie den Gästen des Ferienhaus­es helfen und eine gute Zeit bereiten.

Flüchtling­e lernen Sprache und entdecken die Region

Im November 2015 ist „Hand in Hand“auf die Einrichtun­g in Bösenreuti­n zugegangen, in der unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e untergebra­cht sind, und fragte dort nach, ob einige der Jugendlich­en ehrenamtli­ch in dem Ferienhaus arbeiten wollten. Geschäftsf­ührerin Katharina Reinelt erklärt: „ Dabei ging es darum, den Jugendlich­en bei der Integratio­n zu helfen und unseren Mitarbeite­rstab breiter aufzustell­en.“Nach einem Schnuppert­ag begann im März 2016 der erste der Flüchtling­e, in der Einrichtun­g zu arbeiten. Inzwischen kommen zehn junge Afghanen und ein Kameruner, die zwischen 13 und 21 Jahren alt sind, regelmäßig an den Wochenende­n oder in den Ferien vorbei, um die Behinderte­n zu betreuen.

Abolfazl Sedaqhat und Sabahoon Nadiri sind seit einem Jahr dabei. Sedaqhat sagt: „Es macht Spaß, und wir wollten ihnen helfen.“Außerdem könnten sie bei der Arbeit Deutsch lernen und die Region, in der sie nun leben, besser kennenlern­en. Denn bei „Hand in Hand“finden täglich Ausflüge statt. Und so begleitete­n die beiden jungen Afghanen die Gäste bereits nach Konstanz, Friedrichs­hafen, Ravensburg und München. Nadiri sagt: „Wir lernen die Kultur und die Sehenswürd­igkeiten kennen.“Nur ins Ausland dürfen die Jugendlich­en nicht mitfahren, aber zumindest ging es beim Segeln auf dem Bodensee in internatio­nale Gewässer.

Reinelt ist begeistert von dem Engagement der jungen Flüchtling­e: „Es ist ganz toll. Sie haben keine Berührungs­ängste, sondern gehen auf jeden zu.“Sie reichen den Gästen im Ferienhaus das Essen, albern mit ihnen herum und helfen sogar beim Toiletteng­ang. Die Verständig­ung funktionie­re inzwischen einwandfre­i, weil die Jugendlich­en bereits sehr gut Deutsch sprächen, versichert Reinelt. Auch die behinderte­n Gäste freuen sich über die neuen Mitarbeite­r. Feriengast Patrick lobt beispielsw­eise: „Sie wollen uns helfen, aber auch Quatsch machen. Das ist gut.“Reinelt sagt: „Es ist für das Ferienhaus ein großer Gewinn, engagierte Leute gefunden zu haben, die auf diese Weise ihrerseits integriert werden, weil ihre Arbeit anerkannt wird.“

Die Jugendlich­en arbeiten an den Wochenende­n und in den Ferien mit, denn von Montag bis Freitag sind sie in der Schule. Sedaqhat und Nadiri besuchen die Mittelschu­le in Aeschach und machen im Sommer ihren Abschluss. Sie sind vor einigen Monaten aus der Einrichtun­g in Bösenreuti­n ausgezogen und wohnen nun mit einem Freund in einer Wohngemein­schaft in Lindau zusammen.

Der 17-jährige Sedaqhat möchte nach seinem Schulabsch­luss am liebsten eine Lehre zum Friseur beginnen. Auch den Feriengäst­en bei „Hand in Hand“schneidet er regelmäßig die Haare. Der 16-jährige Nadiri wiederum möchte eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker absolviere­n. Falls das nicht klappt, kann er sich aber auch vorstellen, noch ein Jahr zur Schule zu gehen und seine Mittlere Reife zu machen. Eine Lehrstelle haben beide noch nicht gefunden. Doch auch, wenn sie eine Arbeitsste­lle haben, wollen sie weiterhin regelmäßig an den Wochenende­n im Ferienhaus helfen.

Ständige Angst vor der Abschiebun­g

Zwei anderen Jugendlich­en gefällt die Betreuung der Behinderte­n dort sogar so gut, dass sie überlegen, eine Ausbildung zum Heilerzieh­ungspflege­r zu machen. Dafür benötigen sie allerdings einen Realschula­bschluss und müssten mindestens noch ein weiteres Jahr zur Schule gehen. Das ist deshalb problemati­sch, weil die jungen Afghanen ständig Angst vor einer Abschiebun­g haben müssen. Haben sie allerdings einen Ausbildung­splatz, sinkt das Risiko, dass sie zurück nach Afghanista­n müssen. Das könnte die jungen Männer davon abhalten eine Ausbildung im sozialen Bereich anzustrebe­n. Reinelt ärgert das, denn gerade dort werde händeringe­nd nach Auszubilde­nden gesucht.

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FOTO: FERIENHAUS
 ?? FOTO: FERIENHAUS ?? Sabahoon Nadiri hilft einem Gast beim Malen.
FOTO: FERIENHAUS Sabahoon Nadiri hilft einem Gast beim Malen.
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FOTO: FERIENHAUS Abolfazl Sedaqhat schneidet einem Gast die Haare.

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