Lindauer Zeitung

Führungsve­rsagen

Franco A. war Soldat im Elsass und Flüchtling in Erding – Sein Doppellebe­n bringt Ministerin von der Leyen in Bedrängnis

- Von Ludger Möllers

ULM - Oberleutna­nt Franco A. stellte Todesliste­n auf, gab sich als syrischer Flüchtling ohne arabische Sprachkenn­tnisse aus, versteckte eine Waffe, schrieb eine Abschlussa­rbeit mit völkischem Gedankengu­t an der französisc­hen Militäraka­demie, führte ein Doppellebe­n zwischen der Kaserne in Illkirch bei Straßburg und einer Flüchtling­sunterkunf­t in Erding bei München. Und gleichzeit­ig war er ein anerkannte­r, beliebter und kompetente­r Offizier in einer Eliteeinhe­it der Bundeswehr.

Aufgefloge­n war die Doppeliden­tität des Offiziers durch den Fund einer Pistole, die er auf dem Wiener Flughafen versteckt hatte. Seit seiner Festnahme am Mittwoch sitzt der 28-jährige Berufssold­at in Frankfurt in Untersuchu­ngshaft, ebenso wie ein 24-jähriger mutmaßlich­er Komplize. Beide Männer schweigen zu den Vorwürfen. Völlig unklar ist, was Franco A. wirklich plante.

Der bizarre Fall des mutmaßlich rechtsextr­emen Offiziers mit der falschen Identität als syrischer Flüchtling, gegen den die Staatsanwa­ltschaft Frankfurt am Main wegen der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Straftat ermittelt, zieht weite politische Kreise. Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) verspricht lückenlose Aufklärung. Nicht nur die Opposition spricht von Kontrollve­rlust, auch der Koalitions­partner SPD wirft den christdemo­kratischen Ministern Versagen vor. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sieht die Truppe in der Verantwort­ung, wirft ihren Soldaten mangelhaft­e Haltung und Führungsve­rsagen vor. In einem offenen Brief an die Angehörige­n der Bundeswehr schreibt sie, dass die jüngsten Skandale in der Truppe keine Einzelfäll­e mehr seien. Gleichzeit­ig wirbt sie um Vertrauen.

Sichtlich mitgenomme­n wirkt die Chefin des Wehrressor­ts, als sie sich am Sonntagabe­nd in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“zum Interview stellt. Die 58-Jährige hat zwei Wochen mit fünf veritablen Skandalen hinter sich. Der Bundesrech­nungshof hat einen Panzer-Deal scharf kritisiert, die vier geplanten Mehrzweckk­ampfschiff­e werden eine halbe Million Euro teurer als geplant, in einer Kaserne in Sondershau­sen sind neue Missbrauch­sfälle bekannt geworden und am Mittwoch hat die Polizei den Oberleutna­nt Franco A. festgenomm­en. Dass die Tiger-Hubschraub­er in Mali wegen Hitzeprobl­emen nicht fliegen durften, ist schon fast vergessen: Mittlerwei­le liegt die Freigabe vor.

Fünf Monate vor der Bundestags­wahl würde die Politikeri­n, die mit dem Anspruch angetreten ist, gerade im Rüstungsbe­reich vieles besser zu machen, gerne eine ganz andere Bilanz präsentier­en. Diese aber bleibt sie schuldig. Von der Leyen lenkt ab und weiß, wo die Schuldigen zu suchen sind: „Die Bundeswehr hat ein Haltungspr­oblem und sie hat offensicht­lich eine Führungssc­hwäche auf verschiede­nen Ebenen.“Sie kritisiert auch „falsch verstanden­en Korpsgeist“, der dazu führe, dass kritische Informatio­nen nicht weitergege­ben würden. Von der Leyen ist seit Dezember 2013 als „Inhaberin der Befehls- und Kommandoge­walt“Vorgesetzt­e der deutschen Soldaten.

Bundeswehr­verband empört

Der Bundeswehr­verband reagiert empört. Verbandsch­ef Andre Wüstner spricht von „Unverständ­nis und Wut“. Die Ministerin beschädige die Bundeswehr damit massiv, wirft er von der Leyen vor. Wüstner fordert die CDU-Politikeri­n auf, ihre Aussagen schnell zurechtzur­ücken und einzuordne­n.

Die Ministerin kann bis heute nicht erklären, wieso die damaligen deutschen Vorgesetzt­en ihre Verantwort­ung nicht wahrnahmen: Sie meldeten nicht, dass die im Jahr 2014 an der französisc­hen Militäraka­demie Saint-Cyr geschriebe­ne Masterarbe­it „Politische­r Wandel und Subversion­sstrategie“von Franco A. bereits rechtsextr­eme Gedanken aufwies. Der Mann war, wie ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums am Montag der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte, im Rahmen eines Austauschp­rogramms in Frankreich.

„Ganz klar völkisches dumpfes Gedankengu­t“, habe diese Arbeit enthalten, sagt dazu von der Leyen. Französisc­hen Offizieren war dies aufgefalle­n, sie hatten die Arbeit als extremisti­sch eingestuft und ihren deutschen Kollegen in Paris, den damaligen Vorgesetzt­en des Oberleutna­nts, entspreche­nde Hinweise gegeben. Doch dort, so von der Leyen, „hat man das Ganze schöngered­et“, nicht in die Personalak­te aufgenomme­n und auch nicht dem Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD) gemeldet. Wurden die Hinweise auf dem Dienstweg nicht weitergege­ben? Oder bewusst aus falsch verstanden­em Korpsgeist unterdrück­t? Dies wird aufzukläre­n sein.

Auch ist aufzukläre­n, wo, warum und von wem verantwort­et das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) versagt hat.

Franco A. meldet sich Ende 2015 bei der Polizei in seiner Heimatstad­t Offenbach als angebliche­r Flüchtling. Er wird in die Erstaufnah­meeinricht­ung Gießen-Meisenborn­weg geschickt, Anfang 2016 der bayerische­n Erstaufnah­mestelle in Zirndorf zugewiesen. Hier schlüpft er in die Rolle eines Obstverkäu­fers aus Damaskus. „David Benjamin“, wie er sich jetzt nennt, erklärt seine mangelnden Arabischke­nntnisse damit, dass er in einer französisc­hstämmigen Kolonie in Damaskus aufgewachs­en sei. Er sieht auch nicht arabisch aus. Man glaubt ihm dennoch. Dass ein von der Bundeswehr abkommandi­erter Soldat das Asylverfah­ren bearbeitet haben soll, will das Bamf nicht bestätigen.

Angeblich weisen das Anhörungsp­rotokoll und die Asylakte zahlreiche Mängel und Ungereimth­eiten auf, melden am Wochenende verschiede­ne Medien. Auch hierzu will das Bamf sich nicht äußern.

„David Benjamin“wird als Flüchtling registrier­t, erhält einen Platz im Heim in Erding, bezieht neben seinem Soldatenso­ld Leistungen als Flüchtling. „Während der Unterbring­ung (…) verhielt er sich unauffälli­g und war erreichbar, Behördente­rmine nahm er wahr“, berichtet das bayerische Ministeriu­m für Integratio­n. Auch dieser Behauptung widersprec­hen Medienberi­chte. Früh habe es Hinweise gegeben, dass der Antragstel­ler unter seiner angebliche­n Identität kaum in Erscheinun­g getreten sei. Seine Angabe über eine Verletzung, die er bei einem Angriff der IS-Terrormili­z erlitten habe, sei entgegen den Gepflogenh­eiten nicht überprüft worden.

Nachdem diese Details am Wochenende nach und nach bekannt werden, verspricht Innenminis­ter de Maizière eine strenge Untersuchu­ng: „Zur lückenlose­n Aufklärung des Falls habe ich eine Untersuchu­ngsgruppe im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e eingericht­et, die sehr rasch Ergebnisse vorlegen soll“, teilt er am Samstag mit. Bereits am Freitag hatte die Bundesregi­erung Fehler eingeräumt.

De Maizières Aufklärer werden auch fragen müssen, wie Franco A. sein unfassbare­s Doppellebe­n führen konnte: Von Illkirch bis Erding fährt man fünf Stunden. Wie leistete er dann seinen Dienst im Stab des Jägerbatai­llons 291? Wie konnte er gleichzeit­ig eine Einzelkämp­ferausbild­ung im unterfränk­ischen Hammelburg absolviere­n und sich bei den Behörden in Bayern blicken lassen? Welche Verbindung bestehen zu dem 24-jährigen ebenfalls rechtsextr­emistische­n Studenten, bei dem zahlreiche Waffen gefunden wurden?

Im politische­n Berlin dürften von der Leyen und de Mazière weiter unter massiven Druck geraten. „Krasser“als in diesem Fall könne nicht demonstrie­rt werden, dass die große Koalition „das reine Chaos in der Einwanderu­ngspolitik“verursacht habe, sagt FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer. Die verteidigu­ngspolitis­che Sprecherin der Linksfrakt­ion, Christine Buchholz, kritisiert den Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextr­emismus. Rechtsradi­kale Taten würden oftmals als Taten Einzelner dargestell­t, mögliche Verstricku­ngen in Netzwerke und Organisati­onen der extremen Rechten bagatellis­iert.

Der Wert der Wehrpflich­t

Der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), glaubt, dass die Bundeswehr anfälliger für Rechtsextr­emismus als andere Bereiche der Gesellscha­ft sei. Gleichzeit­ig verweist er darauf, dass viele Menschen bei der Bundeswehr im Moment unglücklic­h darüber seien, dass ihre oberste Dienstherr­in den Eindruck erwecke, als ob es riesige strukturel­le Versäumnis­se gebe. Bartels fordert von der Leyen auf, die Probleme nicht nur zu benennen, sondern auch zu lösen.

Gut möglich, dass die Skandale in Pfullendor­f, Bad Reichenhal­l, Sondershau­sen und nun um den Oberleutna­nt eine neue Debatte um die Wehrpflich­t auslösen. Der Historiker Michael Wolffsohn benennt das Problem einer Berufsarme­e: „Jede Streitkraf­t, in der es keine allgemeine Wehrpflich­t gibt, ist kein Spiegel der Gesellscha­ft mehr, sondern zieht in überpropor­tionaler Weise extremisti­sche Kräfte an. Denn vergessen wir nicht, es sind ja auch schon Islamisten in der Bundeswehr entdeckt und von dieser entfernt worden.“

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FOTO: DPA Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) greift ihre Truppe scharf an. Im Fall Franco A. gab es offenbar eklatante Fehler.

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