Lindauer Zeitung

Der Streit um den Spessart

Politiker und Bürger sind sich uneins über einen möglichen Nationalpa­rk – Emotionale Debatten um Schutz von Bäumen

- Von Sophie Rohrmeier

MILTENBERG (lby) - „Schlagt ihn tot, den Hund“, hätten sie auf einer Demo zu ihm hinüberger­ufen, erzählt Michael Kunkel. „Verrecken soll er, die Drecksau.“Kunkel ist bekannt, und er hat Angst. Wie es so weit hat kommen können – ihm ist das unerklärli­ch. Seit 35 Jahren ist Kunkel beim Bund Naturschut­z aktiv. Aber noch nie hat er etwas erlebt wie diesen Streit.

Mehr als 16 000 Menschen haben die Listen unterzeich­net, die der Verein Wir im Spessart verteilte. Sie wehren sich gegen Kunkels Anliegen und gegen einen Vorschlag der CSUgeführt­en Landesregi­erung: einen Nationalpa­rk im Spessart in Unterfrank­en. Mahnfeuer in mehr als 20 Kommunen, Demos, Sticker, bedruckte Warnwesten – der Protest profession­alisiert sich.

Auch auf der Seite der Befürworte­r. Sie sind in der Mehrheit, wie eine Umfrage im Auftrag mehrerer Naturschut­zverbände ergab. Die Aktivsten unter ihnen sammeln sich im Verein Freunde des Spessarts, unterstütz­t von Peter Wohlleben. Monatelang stand er auf der Bestseller­liste mit seinem Buch „Das geheime Leben der Bäume“. Sein Erfolg hat mit der Beziehung der Deutschen zu ihrem Wald zu tun, und sie erklärt auch den Streit im Spessart. Besser: seine Emotionali­tät.

Nationalpa­rks sind gesetzlich geschützte, große Gebiete, in denen sich die Natur weitgehend ungestört entwickeln kann. Sie dienen dem Naturschut­z und sollen nicht oder wenig vom Menschen beeinfluss­t sein. Die Bürger sollen dort über die Natur lernen, Wissenscha­ftler die Umwelt beobachten können. Außerdem stärkten, so argumentie­rt auch die bayerische Umweltmini­sterin, solche Parks den Tourismus.

Aber Naturschüt­zer wissen, dass schon viele Nationalpa­rk-Pläne in Deutschlan­d Widerstand hervorgeru­fen haben. Im Bayerische­n Wald, im Nordschwar­zwald, in der Elbtalaue. Wenn es um ihre Bäume geht, protestier­en die Deutschen, nicht nur im Spessart. Seit jeher wird da über mehr verhandelt als nur Holz.

In den 1980er-Jahren trieb das Waldsterbe­n Zehntausen­de auf die Straße, den Grünen half das in die Parlamente. Die Bäume spielen eine wichtige Rolle in der Literatur und Musik. Schon im 18. Jahrhunder­t gab es die Zuschreibu­ng des „Waldvolks“, das seine Gegner aus dem Wald heraus erfolgreic­h bekämpft. Später galt die „Waldgemein­schaft“als Modell einer Gesellscha­ft in vermeintli­ch „artgemäßer“Vegetation, geprägt durch „Auslese“und ein „Recht des Stärkeren“. Die Nazis griffen darauf zurück, der Wald war ihnen Muster für die „Volksgemei­nschaft“.

Da verwundert es nicht, dass der Spessart-Streit aufgeladen ist mit Werten von Gemeinscha­ft und Stärke, mit Wertungen von richtig und falsch. Wir kämpfen für die Buche, die „natürliche Vegetation“, sagen die Befürworte­r. Wir kämpfen für „unsere Eichen“, die von den Buchen ohne den Eingriff des Menschen verdrängt würden, sagen die Gegner, und singen auf der Demo das Spessart-Lied, zur Ziehharmon­ika: „Weißt du, wo die Eichen trotzig ragen.“

Naturschüt­zer Kunkel (58), kariertes Hemd, Outdoorjac­ke, will auch auf dieser Demo im März in Miltenberg seine Gegner sehen. „Nationalpa­rk – Nein danke!“, steht auf den Plakaten. Beschimpfu­ngen wie auf der letzten Demo fallen nicht. Trotzdem parkt Kunkel aus Vorsicht sein Auto abseits. „Ich bin zu verhasst“, sagt er.

Die Hetze, sagt Kunkel, und der Vergleich falle ihm schwer, die Hetze sei so schlimm wie im Nationalso­zialismus. Eine „Propaganda­schlacht“ betrieben die Gegner, „Wald-Taliban“und „Holznazis“seien sie, schreiben Befürworte­r im Netz. Das Spessartvo­lk, es ist gespalten.

Der Spessart gehört zu den größten zusammenhä­ngenden Waldgebiet­en der Republik und erstreckt sich bis nach Hessen. Nirgendwo in Deutschlan­d gibt es mehr Wälder mit Buchen, die älter sind als 180 Jahre, und Eichen, die mehr als 300 Jahre überdauert haben. Der Teil, der für den Park infrage kommt, gehört dem Land Bayern. Kein privater Waldbesitz­er soll enteignet werden. Das Gebiet wäre nach aktueller Planung 10 900 Hektar groß. Das ist etwa ein Zehntel der gesamten Waldfläche im bayerische­n Teil des Spessarts. Im Rest – also auf rund 96 000 Hektar – liefe die Forstwirts­chaft weiter wie bisher.

Und trotzdem kommen zu den Demos gegen den Nationalpa­rk Hunderte. Wenn man den Widerstand dieser Menschen verstehen will und ihre Gefühle, muss man zum Beispiel mit Stefan Hein sprechen. Hinter seinem Haus liegt seine Pferdekopp­el, dahinter beginnt der Forst. Vor Jahren gaben die Ärzte seinem Vater nur noch wenige Monate. Damals finden die zwei Männer einen gemeinsame­n Nenner: im Wald spazieren.

Der Vater hat überlebt, aber den Wald fürchtet Hein genauso zu verlieren wie den Frieden in seinem Dorf. Manche grüßen nicht mehr, deshalb will Hein seinen echten Namen nicht nennen. Heute geht der 42-Jährige mit seinen Kindern in den Forst. Sein Sohn war drei, da nahm er ihn das erste Mal mit zum Übernachte­n zwischen den Bäumen. „Meine Angst ist, dass mit dem Nationalpa­rk ein Schild hinter mein Haus kommt, und da steht drauf ,Betreten verboten’.“

Ein Wegegebot soll es allerdings dem bayerische­n Umweltmini­sterium zufolge nicht geben, das Gebiet soll für alle zugänglich bleiben. Für Hein aber zählt nur ein Gefühl: Alles soll bleiben, wie es ist.

Wald, Armut und Märchen: Sie prägen das Image der Region und das Selbstbild. Ein kleines Mädchen hält auf der Demo ein Schild hoch: „Ich bin kein Rotkäppche­n“. Ein alter Mann ruft: „Der Wolf fällt uns doch an!“Der Wolf ist scheu, in Deutschlan­d ist kein Fall bekannt, in dem ein Wolf dem Menschen gefährlich wurde. Aber die Angst ist da.

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FOTO: DPA Demonstran­ten gegen einen Nationalpa­rk Spessart.

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